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Die Lücke zwischen den Zeichen
Beiträge zu einer Festkörperphysik des Sprechens

11.03.2020 bis 26.04.2020
Eröffnung 10. März 2020, 18:00 Uhr

„Die Lücke zwischen den Zeichen“ ist eine Ausstellung als provisorischer Freiraum. Draußen fliegen uns die Meinungen um die Ohren. Sätze spitzen sich zu, bis sie Waffen gleichen. In der Ausstellung aber übernimmt die Kunst die sprachliche Macht, in dem sie unser Sprechen in Material verwandelt. Sie widersetzt sich den sprachlichen Rezepten und erdet die rhetorischen Kurzschlüsse, ohne dabei politische Haltung einzubüßen.

Künstler: Candice Breitz, Alice Creischer, Chto Delat?, Heinrich Dunst, Léon Ferrari, Hiwa K, Henrike Naumann, Oswald Oberhuber, Tobias Zielony

"Die politische Sprache ändert sich. Einerseits lösen die sozialen Medien unsere Erstarrung. Es gibt so viele Proteste wie seit langen nicht mehr. In Südamerika, in Hong Kong, in der arabischen Welt genauso wie in Europa beim Klimaprotest: Menschen organisieren sich online. Zwischen ihnen kommt eine Sprache der Demokratisierung zum Fließen. Sie verselbständigt sich und zeigt sich unmittelbar auf der Straße.

Andererseits bedroht uns ein Paradox: Je weniger wir für unsere digitalen Worte Verantwortung übernehmen müssen, weil die Medien uns im Moment unserer Äußerungen verbergen, desto gewalttätiger scheint die Wirkung der Sprache. Spontane Empörung und Wut, die es immer gab, bündeln sich zu digitalen Strömen, die sich in Kettenreaktionen als Hass entladen. Das Wort wird zum Geschoss. Die Sprache wird zum Hintergrund, vor dem aus Menschen Täter werden.

Die ganz andere, weniger unmittelbare Seite des Sprechens gerät unterdessen an ihre Grenzen. Kritische Reflektion, abwägende Vernunft wirken wie Werkzeuge aus einer anderen Zeit. Kriterien wie Angemessenheit oder vermittelnde Mäßigung zielen ins Leere. Das digitale Sprechen fließt am Nachdenken vorbei und unter den Abwägungen hindurch. Wir sind so sehr an eine Sprache gewöhnt, die unsere Gefühle weckt, dass hundertmal gebrauchte Argumente, tausendmal erwogene Gedanken keine Wirkung mehr entfalten. Die Reflektion setzt sich als Sediment am Boden der medialen Fließgewässer ab.

Was also, wenn die Sprache wieder fester wird? Wenn Text sich materialisiert? Wenn die handfeste Sprache wieder zum Gegenüber wird?

Wenn Text und Sprache zum Mittelpunkt künstlerische Reflektion werden, geschieht oft das Gegenteil von dem, was wir von Medien erwarten. Sprache nimmt eine Haltung ein und kann sich trotzdem der Eindeutigkeit entziehen. Sie kann Fragen stellen, die allen etwas bedeuten, auf die es aber nur individuelle Antworten gibt. Oder sie vermag Antworten zu geben, zu denen jeder von uns mit einer anderen Frage gelangt.

Wenn Kunst Sprache zum greifbaren Gegenstand macht, können Gespräche entstehen, die sich nicht verallgemeinern lassen. Kunst entsteht nicht nach Formeln und Mustern.

Die versammelten künstlerischen Positionen trotzen einem alltäglichen Textgebrauch. Sie kopieren, zerschneiden, kombinieren, rahmen und spüren auf, was sonst ungelesen bliebe. Sie legen Bedeutung zwischen die Zeilen und hinter die Zeichen. Sie überlassen es uns, Worte so zu betrachten wie Farben und Muster, Spuren und Klänge oder sichtbare Fragmente einer Sprache des Unausgesprochenen. Sie hören nicht gesagten Worten zu. Oder bestehen darauf, uns eine Sprache zu erfinden, von der noch niemand von uns Gebrauch gemacht hat. In den Lücken zwischen den Zeichen schafft die Kunst der Sprache einen neu verhandelbaren Raum."

Sebastian Peter

Die Ausstellung ist Teil einer unregelmäßigen Folge von Projekten zur politischen Sprache in den Zeiten des Populismus. Unter dem Titel "In einem Meer des Nichtverstehens" versammelt sie künstlerische Alternativen zu einer Sprache der Zuspitzung und der Ausbeutung des Ressentiments, der Vereinfachung und der Empörung.