press release only in german

Zum 20sten Todestag von Marc Chagall, der im biblischen Alter von 98 Jahren 1985 starb, zeigt das Clemens-Sels-Museum aus den Beständen seiner Graphischen Sammlung, unterstützt mit Leihgaben aus Privatbesitz, das wohl reifste graphische Werk des Künstlers: Seine Radierungen zu den Büchern des Alten Testaments.

1930 erhielt Chagall von dem Kunsthändler und Verleger Ambroise Vollard in Paris den Auftrag, die Bibel zu illustrieren. 1931 bis zu Vollards Tod 1939 entstanden 105 Platten, von denen 66 Radierungen in der Werkstatt von Maurice Potin unter der Anleitung des Künstlers bis 1939 abgezogen wurden. Die Arbeit an den restlichen 39 Radierungen wurden von Chagall nach seiner Emigration in die USA – 1947 kehrte er nach Paris zurück – unter der Mitarbeit von Raymond Haasen 1952 wieder aufgenommen und 1956 fertiggestellt. Die Radierungen wurden schließlich in zwei Bänden von dem Verleger Tériade 1957 in einer Auflage von 295 Exemplaren veröffentlicht.

Chagalls Beschäftigung mit dem Alten Testament umfasst somit einen Zeitraum von über 25 Jahren. Über sein Verhältnis zur Bibel schrieb Chagall: „ Seit meiner frühsten Jugend hat mich die Bibel gefesselt. Die Bibel schien mir - und scheint mir heute noch - die reichste poetische Quelle aller Zeiten zu sein. Wenn ich zweifelte, hat mich ihre Größe und Weisheit beruhigt. Seither habe ich ihr Abbild im Leben und in der Kunst gesucht. Die Bibel ist wie ein Nachklang der Natur, und dieses Geheimnis habe ich weiterzugeben versucht.“ Und als sich Chagall nach Palästina begab - nach Haifa, Tel Aviv und Jerusalem -, um die Orte und die Atmosphäre des Heiligen Landes zu studieren, sagte er: “Ich bin der Künstlichkeiten aller Art müde, ich fliehe aus dem Lärm des Heute, um mich in den Wäldern der Vorfahren zu verlieren, um die Bibel zu lesen, deren Poesie mich verschlingt.“

Mit seinen Illustrationen, die eine Folge eigenständiger Bildfindungen sind, verfolgt Chagall keine dogamtisch-theologisches Konzept, sondern ein sehr persönliches, in welchem seine ostjüdisch-chassidische Glaubenshaltung zur Sprache kommt: Chagall behandelt in seinen Blättern vorrangig die Urväter, den Patriarchen Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Joseph und Moses, die Gründer der jüdischen Gemeinde, die von Gott den Bundespakt und das Gesetz empfängt. Auch diejenigen, die die Errichtung der jüdischen Nation vollendet haben, Josua, Simson, David und Salomon, sind für Chagall unverzichtbar ebenso wie die Propheten Elias, Jesajas, Jeremia und Hesekiel in ihrer Integrität und in ihrer Einsamkeit mit Ihren Visionen von Gott, mit ihren Prophezeiungen von Unglück und Tröstung des Volkes Israel.

Chagall handhabt die Technik der Radierung, die er in den 1920er Jahren bei Hermann Struck in Berlin erlernt hat, meisterhaft. Er webt ein mikroskopisches Netz von Punkten, Strichen, Parallel- und Kreuzschraffuren auf die Kupferplatte, arbeitet mit Hell-Dunkel-Kontrasten und erzeugt damit ein heimliches Pulsieren des Blattes, das die Darstellungen so überaus lebendig macht. Zarte Schattierungen und ein ausgeglichenes Gefüge von dichter Verwobenheit und sich öffnenden, lichten Stellen verweisen auf seinen großen Lehrmeister Rembrandt, dessen Radierwerk er während eines längeren Aufenthaltes in Amsterdam studiert hatte.

Einen besonderen Reiz dieser Ausstellung bilden einige seltene Probe- und Zustandsdrucke, die das Clemens-Sels-Museum in den 1950er Jahren aus dem Kunsthandel erwerben konnte. Sie ermöglichen im vergleichendem Blick auf die endgültige Fassung der jeweiligen Radierungen, den ersten Bildgedanken Chagalls und dessen Korrekturen zu verfolgen. Bereits vor 50 Jahren, im Jahre 1955, richtete das Clemens-Sels-Museum eine kleine Ausstellung mit jenen ersten Probedrucken aus, die große Beachtung fand, da sie vor dem Erscheinen der geschlossenen Folge durch den Verleger Tériade (1957) im wörtlichen Sinne Proben der faszinierenden Radierkunst Chagalls der Öffentlichkeit präsentierte.

Neben den Radierungen zeigt das Clemens-Sels-Museum auch Chagalls Farblithographien zur Bibel, die der Verleger Tériade in einer Doppelnummer der Zeitschrift VERVE 1956 und 1960 in Paris herausgegeben hat. Die 18 farbigen Lithographien der Zeitschriften, die auch einfarbige Lithographien und Heliogravüren der Radierungen umfassen, wurden nochmals gesondert ediert.

Pressetext

only in german

Weisheit und Geheimnis - Die Bibel von Marc Chagall
Radierungen und Farblithographien aus dem Besitz des Clemens-Sels-Museum