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"Nothing behind me, everything ahead of me, as is ever so on the road." (Jack Kerouac, On the Road, 1957)

Die Galerie Jette Rudolph freut sich sehr, ihre mittlerweile vierte Soloshow des Berliner Künstlers Dennis Rudolph präsentieren zu dürfen.

Alle Utopien sind gescheitert. Alle nahmen ihren Anfang in Europa. Mit einem vermessenen Land Art Projekt hat sich der Künstler Dennis Rudolph zur Aufgabe gemacht, die Schwellen der westlichen Ideenwelt zu markieren. Auf einem Hügel am Stadtrand von California City wird Rudolph im Frühjahr 2013 ein zweiseitiges Tor errichten: eine Seite den Eingang zur Hölle symbolisierend, die andere den Eingang zum Paradies. Die Schwelle der Pforte bildet gleichfalls die Schwelle von Stadt zu Wüste, von Okzident zu Orient und von Kunst zu Kult.

Das zentrale Motiv in Rudolphs neuer Werkserie bildet die Modellstadt California City: eine 1958 in der Mojave-Wüste gegründete, gescheiterte stadtplanerische Utopie des ehemals erfolgreichen, doch heutzutage nahezu vergessenen Immobilienentwicklers und Soziologie-Professors Nat Mendelsohn (1915–1984). Mendelsohns Ehrgeiz war es, mit seinem Projekt California City in Konkurrenz zur Megacity Los Angeles zu treten. Demographisch gelang ihm dies nicht annähernd (2010 ca. 14.000 Einwohner), doch zeugen die im lokalen Amt für Liegenschaften archivierten und in Rudolphs Cyanotypien wiederzufindenden Grundrisse California Cities von einem in der Tat weit ausgedehnten Straßennetz mitsamt unzähliger eingetragener Grundstücke. Und auch Satellitenaufnahmen beweisen die deutlich sichtbar in die Erdoberfläche geprägten Pfade einer Musterstadt, die bis heute dem Anspruch Stand hält, zumindest geographisch Kaliforniens drittgrößte Stadt zu sein.

In der Ausstellung sind die von Rudolph in seinem dreimonatigen Arbeitsaufenthalt bei Los Angeles entstandenen Studien sowie Fund- und Recherchematerial in einer dokumentarisch das Projekt umkreisenden Weise zu sehen: eine Reihe groß- bis mittelformatiger Cyanotypien, eine tableauartige Video-Arbeit, welche die einmalige Atmosphäre des Ortes einfängt, Notizen, Portraitstudien von vor Ort gefundenen Vermisstenanzeigen, zahllose Skizzen und ein umfangreiches Fotoarchiv. Außerdem werden zwei monumentale Studien zur Höllen-/Paradiespforte gezeigt, eine davon auf Leinwand, die andere auf gebrannten Fliesen ausgeführt. Rudolphs Entscheidung, Fliesen als künstlerisches Medium der Pforte zu wählen, verweist auf die im mexikanischen Raum traditionelle Fayence-Technik. Motivisch, ikonographisch und stilistisch wagt Rudolph eine Vermischung von kalifornisch-amerikanischer Moderne und europäischem Barock, gebrochen durch verkitschte Reminiszenzen an mexikanische Murals und die Bilderwelt Hollywoods.

Immer wieder drängt Dennis Rudolph in der Ausstellung Blick und Gedanken des Rezipienten in Richtung der inhärenten Zwiespältigkeiten utopischer Ansätze und der Frage nach der Macht idealistischer Gedankenkonstrukte auf der einen und der Gefahr ihres Scheiterns auf der anderen Seite. Wenn z.B. in den durch die grelle kalifornische Sonne eingebrannten Cyanotypien der direkt lesbare malerische Duktus der Landschafts- und Porträtstudien wirkungsvoll mit den fotogrammartig reproduzierten Skylines Downtowns oder den Grundrissplänen California Cities kontrastiert. Es entstehen auf diese Weise beeindruckende mediale wie ikonographische Überlagerungen, die sowohl die visuelle Erfahrung als auch den Bilderspeicher im Gedächtnis des Betrachters maßgeblich irritieren wie provozieren.

Nichts scheint gewiss, und doch treibt die Sehnsucht nach Arkadien immer wieder an. In dieser Hinsicht widmet sich Dennis Rudolphs Ausstellung mit dem Titel "PARADISE LOST" dem in der Geschichte immer wiederkehrenden Motiv der Utopie als Inspiration künstlerischen Schaffens, das aber zumeist am Paradox seiner totalitären Voraussetzungen scheitert. So wie in Thomas Morus' 1516 verfassten Roman "Utopia" die Hoffnung auf eine gerechte Gesellschaft am Widerspruch zwischen Idee und Praxis zerbricht. Vergleichbar findet sich die Idee des Gesamtkunstwerks im ästhetischen Programm der Idealstadt wieder verbunden mit den sozialutopischen Projektionen fiktiver Stadtplanungen in den Epochen von Renaissance und Barock bis hin zu den gattungsübergreifenden Werktheorien der Avantgarde der Moderne nach 1918, worin die Kunst ein ganzheitliches und gesellschaftskritisches Denken übernimmt.

Dennis Rudolph entwirft als Künstler selbst keine Utopie. Vielmehr stellt er die Frage, ob und wenn ja, welcher Utopie wir zuletzt aufgesessen sind. Und gelten noch die eingeübten Muster? "PARADISE LOST" spielt an auf den spürbaren Wandel in den aktuellen wirtschaftlichen, politischen wie kulturellen Verhältnissen, wenn sich die Parameter von Orient und Okzident vermischen.

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Dennis Rudolph
PARADISE LOST feat. White Supremacy