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Genau einhundert Jahre nach der Großausstellung von 1914 präsentiert die Übersichtsschau "Dem Licht entgegen" die ganze Bandbreite des kreativen Schaffens der Künstlerkolonie Darmstadt kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Möbel, Kunstgegenstände, Schmuck und Fotografien sowie ein Parcours im Außenraum und eine digitale Zeitreise lassen den Geist dieser letzten Ausstellung vor dem Krieg lebendig werden.

Als krönender Abschluss der wegweisenden Kultur- und Wirtschaftsförderung des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein öffnete die Ausstellung der Künstlerkolonie Darmstadt am 16. Mai 1914 ihre Pforten. Keine drei Monate vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs war auf der Mathildenhöhe Darmstadt ein harmonisches Zusammenspiel von Architektur, Baukunst, Malerei, Skulptur, Angewandter Kunst, Gebrauchsgrafik, Textilkunst, Musik und Tanz zu sehen, zu hören und zu erleben.

Die Jubiläumspräsentation zur Ausstellung von 1914 – der letzten Großausstellung der Künstlerkolonie nach 1901, 1904 und 1908 – zeigt die große Vielfalt an künstlerischen Ideen auf, die vor hundert Jahren auf der Mathildenhöhe Darmstadt präsentiert worden sind. Die Werke und Zeitdokumente von Albin Müller, Bernhard Hoetger, Elizabeth Duncan, Friedrich Wilhelm Kleukens, Emanuel Josef Margold, Arnold Mendelssohn und Heinrich Jobst beleuchten zugleich den historischen Stellenwert dieser Leistungsschau.

In Erweiterung der Präsentation im Museum Künstlerkolonie können die Besucher auf dem Freigelände der Mathildenhöhe mittels eines Audioguides (54 Minuten, 21 Tracks, deutsch und englisch) die bis heute erhaltenen Elemente der Ausstellung aufsuchen. Große Bildtafeln und Transparentbildkästen mit historischen Aufnahmen veranschaulichen temporäre oder heute zerstörte Bauten. Ein weiterer Höhepunkt der Jubiläumsausstellung ist die digitale Rekonstruktion der damaligen Schau: Ein auf Originalfotografien basierender Film ermöglicht den Besuchern im Foyer des Museums einen virtuellen Flug über die Ausstellung von 1914: eine regelrechte Zeitreise. Diese Einheit von Exponaten, Bildtafeln, Audioguide und filmischer Rekonstruktion macht die visionäre und zugleich stets auf den Menschen ausgerichtete Moderne erlebbar, die das Gesamtkunstwerk Mathildenhöhe bis heute prägt.

Erst diese – bislang eher wenig wahrgenommene und damit unterschätzte – Ausstellung der Künstlerkolonie Darmstadt hat das heute noch erlebbare Gesamtbild der Mathildenhöhe abgerundet. Die Tradition der Künstlerkolonie seit 1901, Architektur, freie und angewandte Kunst als Gesamtkunstwerk in einer Ausstellung zu präsentieren, kam 1914 noch einmal zum Tragen und setzte mit verschiedenen Werken Zeichen, die bis in die heutige Zeit weisen.

Viele der heute ikonischen Elemente des Ensembles entstanden für die letzte Präsentation der Künstlerkolonie Darmstadt, so Bernhard Hoetgers Skulpturenpark im Platanenhain. Hoetger betrieb für die Ausgestaltung aus heutiger Sicht ein regelrechtes Kultur-Sampling: In seinen Skulpturen, Plastiken und Textfeldern setzte er Buddha, Krishna, Echnaton, Goethe, Gauguin und Modersohn-Becker eindrucksvoll zueinander in Beziehung. Friedrich Wilhelm Kleukens’ Mosaik „Kuss“, seine Sonnenuhr und der Portalschmuck des Hochzeitsturms, sowie Albin Müllers Lilienbecken, Mosaiknische und der „Schwanentempel“ sind ebenfalls erst seit 1914 auf der Mathildenhöhe zu erleben.

Einige Zeugnisse der Ausstellung von 1914 sind heute in Darmstadt jenseits der Mathildenhöhe zu finden. So befindet sich seit 1926 das eindrucksvolle Ausstellungsportal, „Löwentor“ genannt, am Eingang zur Rosenhöhe: Die sechs Löwen von Hoetger stehen dort auf hohen Backsteinpfeilern der 1920er Jahre, während die Originalsäulen von Albin Müller mit einem Betonarchitrav aus den 1930er Jahren den Eingang zum Hochschulstadion im Süden Darmstadts bilden. Neben diesen bekannten Werken präsentiert die Schau weitere, heute nicht mehr vorhandene Bauensembles der historischen Ausstellung. So wurde östlich des Ausstellungsgebäudes Mathildenhöhe von Albin Müller eine dreigeschossige Miethäusergruppe errichtet, die aus acht Gebäuden mit insgesamt 37 Wohnungen und acht Ateliers bestand und in denen ebenso moderne wie kostengünstige Inneneinrichtungen zu bewundern waren. Es war das erste Mal in der Geschichte von Architekturausstellungen, dass man einen solchen Gebäudekomplex mit voll ausgestatteten Musterwohnungen zeigte.

Noch heute besticht die Gestaltung der Miethäusergruppe mit ihrer charaktervollen Struktur. Sie umfasste zugleich städtebaulich die Stadtkrone mit ihren Baukörpern, wurde jedoch bis auf einen Ateliertrakt im Zweiten Weltkrieg zerstört. Nach den Künstlervillen der ersten Künstlerkolonie-Ausstellung von 1901 und den Arbeiterhäusern der Hessischen Landesausstellung 1908 führte Albin Müllers Miethäusergruppe samt Innendekoration 1914 eine sachlichere Gestaltung vor, die in Einklang mit den wichtigsten Tendenzen des Neuen Bauens stand und sich an aktuellen Wohnraumbedürfnissen orientierte: eine Wohnkultur, die Zeichen setzt – bis in unsere Gegenwart mit ihren oft gesichtslosen Einheitsbauten.

Um den Geist der Künstlerkolonie-Ausstellung von 1914 lebendig werden zu lassen, präsentiert das Museum Künstlerkolonie Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Schmuck und Fotografien aus der Städtischen Kunstsammlung Darmstadt sowie wertvolle Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Sie alle zeugen vom ungebrochenen Optimismus der Moderne, der in der Künstlerkolonie Darmstadt bis zum Ersten Weltkrieg herrschte und noch heute auf der Mathildenhöhe Darmstadt zu spüren ist.

Kurator: Dr. Philipp Gutbrod, Sammlungskonservator und Kurator, Institut Mathildenhöhe Darmstadt