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Das Videoscreening Das zweite Bild präsentiert eine Auswahl aus dem OEuvre von sechs jungen Videokünstlerinnen: Yael Bartana (IL/NL), Jeanne Faust (D), Nina Könnemann (D), Julika Rudelius (NL), Corinna Schnitt (D) und Gitte Villesen (DK/D). Die Arbeiten werden als Mini-Personalen vorgeführt, um die jeweiligen Arbeitsstrukturen, Motivationen und Bildgegenstände der einzelnen Künstlerinnen nachvollziehen und diskutieren zu können.

Die inhaltliche Schnittstelle der ausgewählten Künstlerinnen ist das Interesse an sozialen und alltäglichen Kontexten. Trotz des gemeinsamen Feldes unterscheiden sich die filmische Umsetzung und Bildgegenstände der Künstlerinnen durch jeweils sehr eigenständige Techniken des Erzählens. Im Vordergrund der filmischen Ästhetiken steht die Entwicklung von internen Dynamiken, die zu einer Geschlossenheit der filmischen Form führen.

Äußerlich betrachtet bewegen sie sich im weiten Feld der so genannten Dokumentarischen Strategien in der Kunst, die seit Anfang der neunziger Jahre als ein noch genauer zu klassifizierendes Genre im Kunstfeld an Bedeutung gewonnen haben. Viel diskutiert, aber bisher wenig theoretisch reflektiert und spezifiziert, kreisen die unterschiedlichsten dokumentarischen Ansätze zwischen dokumentarischem Konzeptualismus und medialen Repräsentationsanalysen. Diese Taktiken artikulieren sich nicht nur durch ihre verschiedenen Vorgehensweisen, sondern repräsentieren auch verschiedene Formen von Wahrheitsansprüchen. Im folgenden möchte ich zwei verschiedene Ansätze des Dokumentarischen vorstellen. Zum einen eine Form des dokumentarischen Realismus, der im Abbild eine bildimmanente Authentifizierung findet und zum Anderen einen medienreflexiven Ansatz, der seine filmischen Werkzeuge zu einer kritischen Reflexion des Dargestellten einsetzt.

In ihrem Aufsatz "Politik der Wahrheit - Dokumentarismen im Kunstfeld" 1 unterscheidet Hito Steyerl diese zwei unterschiedlich agierende Vorgehensweisen des Dokumentarischen in der Kunst: zum Einen künstlerische Arbeiten, "die den Anspruch künstlerischer Arbeiten auf den Kontakt mit einem auratisierten Feld des Sozialen, bzw. Politischen gewährleisten sollen. Die formalen Mittel, die hier eingesetzt werden, sind oft sozialrealistisch und versuchen möglichst transparent zu bleiben. (...) Hier wird das dokumentarische Moment als Beweismittel sozialer Relevanz und als Beleg eines 'organischen' Verhältnisses zum sozialen Feld eingesetzt. (...) Authentizität wird zur vitalistischen Ideologie, die gerade auch im Kontext der Globalisierung zum begehrten Rohstoff der Differenz erkoren wird und vom Mythos jenes echten und differenten Lokalen zehrt, der gegenwärtig in postethnografischen und neokulturalistischen Ausstellungen reproduziert wird."

"Dem entgegen steht eine andere, reflektiertere Strömung des Dokumentarischen, die ihre eigenen Mittel als sozial konstruierte epistemologische Werkzeuge wahrnimmt." Die Sichtbarmachung dieser jeweils spezifischen Werkzeuge und dem Kurzschluss der ästhetischen Reflektion eines Gegenstands oder Phänomens mit diesen Werkzeugen, erscheint hier als unverzichtbares Mittel zur Erzeugung eines kritischem Bewusstseins. In diesen filmischen Strategien liegt die Repräsentation einer Wirklichkeit, die ausdrücklich eine spezifische Sicht zu einer vorgefundenen Wirklichkeit einnimmt. Aus der jeweilig spezifischen Bearbeitung der Bilder vermittelt sich die Struktur des Erzählstranges, dem die Betrachter folgen. Dies scheint so allgemein gesprochen dem bekannten Vorgang des Editings von Filmmaterial zu entsprechen. Dennoch zeichnen sich die ausgewählten Künstlerinnen dadurch aus, dass sie eine jeweils individuelle Technik des diskontinuierlichen Erzählens, eines 'Dazwischen-Erzählens' gefunden haben. Diese sind etwa die Verwendung von Bildwiederholungen, Verlangsamung der Bilder und Überblendungen (Bartana), performative Interventionen, die sich in das vorgefundene Geschehen einfügen (Könnemann), Re-Inszenierung der vorgefundenen oder erinnerten Situation (Faust und Rudelius), Verwendung einer Overvoice, die eine ganz andere Geschichte erzählt als das gleitende Bild zeigt (Schnitt) oder Interviewsituationen, in denen der Verlauf eine Eigendynamik entwickelt, die von beiden Gesprächspartnern bestimmt und immer wieder gebrochen wird (Villesen). Das Bildfeld wird zu einer dynamische Konstruktion.2 Die verschiedenen Bearbeitungstechniken haben in diesem Sinne eines gemeinsam: Sie setzen bei dem bereits vorhandenen medialen Wissen des Zuschauers an und entwickeln darauf eine 'zweite Schicht' des Erzählens, die oft mit einem Mini-Szenario auskommend, Bedeutungen produzieren, die sozusagen über die dargestellte Bildebene hinauswachsen.

In einer von Jan Verwoert zur Differenzierung dokumentarischer Strategien in der Kunst vorgeschlagenen Analyse des Aufsatzes "Der Essay als Form" von Theodor W. Adorno findet sich eine hilfreiche Beschreibung dieser künstlerischen Technik. "Der Essay setzt dem linear objektivierenden Denken der Wissenschaft eine andere Form der Erkenntnis entgegen, die auf der Erfahrung assoziativ angeordneter Aussagen im Vollzug persönlicher Erfahrung beruht. (...) Adorno zeigt, dass der Essay überraschenden Wahrheitsgehalt hervorbringen kann, gerade weil er das Risiko eingeht, Fehlstellen und mangelnde Legitimation mit einzukalkulieren. (...) Die Arbeit eines Essayisten ist es, eine Struktur aus zueinander verwandten Kategorien herzustellen - nicht im Sinne eines linearen Zeitverlaufs, sondern eher als eine 'konstruierte Koexistenz' im Raum, als ein 'Kraftfeld' oder ein 'Mosaik'. Durch 'die Wechselwirkung seiner Begriffe im Prozess geistiger Erfahrung' (Adorno) bringt der Essay, eine Form des Verstehens der Zusammenhänge hervor. Die Erfahrung wird zur Grundlage, auf der die Vermittlung zwischen verschiedenen Elementen in einer einem komplexen Zusammenhang möglich wird."3

In diesem Sinne gehen die Wirklichkeit, wie sie sich zeigt und das daraus bearbeitete Bild, eine Koexistenz ein. Die wahrgenommene oder erinnerte Wirklichkeit wird als erfahrene Wirklichkeit mit Hilfe von filmischen oder performativen Mitteln in ein neues Dokument transformiert. Diese Wahrnehmungen basieren sowohl auf individuellem als auch allgemeinem Wissen von der Wirklichkeit. Beim Einsatz von solchen filmischen Techniken geht es also weniger um Objektivierung oder Interpretation des Dargestellten im didaktischen Sinn; es geht eher darum die oder besser gesagt die selbst gewählte Repräsentation des Bildes sichtbar zu machen. Somit gibt das Dargestellte selbst die Idee zum Bild vor, das sich aus der Wahrnehmung der Wirklichkeit entwickelt. Diese Form der Materialisierung des visuellen Denkens in formalen Techniken der Bildbearbeitung erlaubt es, sowohl die Repräsentation des Dargestellten, als auch die Koexistenz von Assoziationen, Fragen und gewünschte Verschiebungen sichtbar zu machen. Vielleicht wäre dies der Unterschied des einfachen Abbildes zum zweiten Bild .

Yael Bartana beschäftigt sich mit der Konstitution der nationalen Identität Israels. In ihren Videoarbeiten lotet sie den Zusammenhang von gemeinschaftlich begangen Ritualen und der Konstruktion einer Zusammenhalt stiftenden "Imagined Community" (B. Anderson) aus. Yael Bartana arbeitet mit Wiederholungen, Überblendungen und Verlangsamung der Bilder; mit diesen technischen Verfremdungseffekten formuliert sie eine distanziert-kritische Reflexion der kollektiven Muster einer Nation. In "Trembling Time" (2001) zeigt Yael Bartana, dass sogar die Autos, sobald eine Sirene am Soldiers Memorial Day ertönt, auf einer vierspurigen Straße anhalten, um der gefallenen israelischen Soldaten zu gedenken. Bartana filmt diese Situation nachts von einer Autobahnbrücke aus. Die heranfahrenden Autos scheinen immer langsamer zu werden, sich in Überblendungen selbst zu überholen, bis zum tatsächlichen Stillstand. In "Profile" (2000) sind israelische Soldatinnen bei Ladeübungen am Gewehr zu sehen. Diese Arbeit ist ebenfalls stark verlangsamt und als Loop angelegt, so dass der Eindruck eines immer währenden 'vorbereitet Seins' entsteht. In beiden Arbeiten sind es staatlich verordnete Maßnahmen, die in ritualisierter Form die allgegenwärtige Bedrohungssituation und die daraus folgende Verteidigung der nationalen Gemeinschaft wach halten sollen. Auf diese Weise wird immer wieder aufs Neue die nationale Einheit konstruiert und untermauert. "When Adar Enters" (2003) bezieht sich auf ein viel älteres, durch die jüdische Tradition begründetes Ritual. Es zeigt die Feierlichkeiten in Israel während des jüdischen Festes Purim. Bartana erzeugt mit einer extremen Verlangsamung der Bilder, Überblendungen und vor allem mit der Bearbeitung der Tonspur einen unheimlich wirkenden Gesamteindruck der Szenerie. Der Ton setzt sich aus Soundfragmenten zusammen, die stark verlangsamt und übereinander montiert im Verhältnis zum Bild ein Eigenleben zu führen scheinen. Die extreme Verlangsamung erzeugt, ähnlich wie bei der Wiederholung eines Fouls im Fernsehen, eine Spannung, in der man beginnt, kleinste Details als bedeutsam wahrzunehmen. Um Wiederholung, aber diesmal im Sinne von Kontinuität geht es auch in der Arbeit "Kings of the Hill" (2003). Das Video zeigt Männer mit ihren Geländewagen an der Küste Tel Avivs, wie sie in einer Art sportlichem Zeitvertreib ihre Autos durch das hügelige Gelände manövrieren.

"Jeanne Faust ist eine gekonnte Erzählerin von Nicht-Geschichten. Keine ihrer Episoden lassen sich zu einem Strang vervollständigen. Was wir sehen, sind Randfiguren in einer Randbesiedlung bei Randhandlungen."(Katalog Manifesta 4) So bildete die Grundlage für ?Interview" (2003) den misslungenen Versuch, ein Gespräch mit dem ehemaligen Chabrol- und Fassbinder-Schauspieler Lou Castel zu führen. Castel willigte später ein, den Verlauf dieses verkoksten Gesprächs nochmals nachzuspielen. Im schließlich entstandenen Video verteilen sich die Rollen der Akteure neu. Der inszenierte Prozess des Scheiterns verwandelt sich in die Dokumentation einer ambivalenten Begegnung, in der die Machtverhältnisse immer wieder neu definiert werden. Die jüngste Arbeit "sonst wer wie du" (2004) konfrontiert die Betrachter mit einem weiten Maisfeld vor eindrucksvoller Bergkulisse. Zu sehen ist eine Totale, aufgenommen zwischen Hall in Tirol und Innsbruck. Vor dieser Kulisse spielt eine kurze Szene, fast wie ein Ausschnitt aus einem längeren Film - ein stockendes Gespräch zwischen einem jungen Polen, der auf dem Feld arbeitet, und einem Einheimischen. Allein schon durch den Kauderwelsch aus Tirolerisch, Polnisch und Englisch bleibt offen, inwieweit es sich dabei um einen Dialog handelt oder um ein fortgesetztes aneinander Vorbeireden. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass zwei Stimmen zu hören sind, das Gespräch auf der Bildebene jedoch nicht in der üblichen filmischen Methode von Schuss und Gegenschuss montiert ist, sondern nur den jungen Mann im Feld zeigt. "sonst wer wie du" bildet die Bühne, auf der verschiedene Bilder und Erwartungen aufgerufen werden: Projektionen des Fremden und Vertrauten, aber auch Vorstellungen des "Alpenländischen", dessen Bildreservoir sich u. a. aus Heimatfilmen, Landschaftsmalerei, Tourismuswerbung speist und das auf das vorhandene Nebeneinander von Landwirtschaft, Kleinindustrie und Gewerbebetrieben stößt. In diesem Zusammentreffen überlagern sich medial vorgeprägte Bilder mit den tatsächlich angetroffenen und anschließend inszenierten.

In den Videoarbeiten von Nina Könnemann nehmen die Handlungsorte eine bedeutsame Rolle ein. Obwohl es sich um eher alltägliche Orte wie z.B. eine Unterführung, einen Rummelplatz in Hamburg, die S-Bahnstation Potsdamer Platz in Berlin oder die Wiese eines Musikfestivals am Morgen danach handelt, ist es gerade die Abwesenheit eines Ereignisses, die entscheidend für die Wahl des Ortes wird. Es sind Orte des Übergangs, seltsame Nonplaces, denen eine grundsätzlich nüchterne Stimmung innewohnt. Nina Könnemann nimmt zumeist eine beobachtende Perspektive ein, aus der sie mit der bewegten Handkamera agiert. Teilweise arbeitet Nina Könnemann in die Handlung inszenierte Sequenzen ein, die sich aber so sehr in das Geschehen einfügen, so dass sie sich kaum von den vorgefundenen Ereignissen unterscheiden lassen. In "M.U.D." (2000) ist eine Festivalwiese zu sehen, die am Morgen nach dem Konzert mit Müll und liegen gebliebenen Sachen übersät ist. Personen treten auf, die mit Taschen unterm Arm über die Wiese gehen. Rentner suchen mit Plastiktüten in der Hand nach Verwertbarem. Nina Könnemann folgt diesen Gängen mit der Videokamera. Die Unorganisiertheit des Settings wird einzig von den Linien, die die Personen durch das Bild ziehen, geordnet. Geschehnisse und Dinge geraten ins Blickfeld, die für gewöhnlich der Aufmerksamkeit entgehen, hier aber zu spannungsgeladenen, situativen Mikroereignissen werden. Für "Unrise" (2001) postiert sich Nina Könnemann in der Eingangshalle der neuen S-Bahn Station am Potsdamer Platz Berlin während oben drüber die Love Parade stattfindet. Ein unablässiges akustisches Off, bestehend aus Technorythmen, dringt bis hinunter in die Halle. Könnemann kadriert mit der Videokamera den modernistischen Raum, der als 'Übergangsebene' zu den S-Bahngleisen dient. Einzelne, offensichtlich betrunkene Figuren tauchen an den Rolltreppen auf, wanken ein paar Schritte zwischen den hohen Säulen hin und her, schlagen unvorhergesehene Wege ein. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass eigentlich keiner so ganz genau weiß, warum er jetzt gerade hier ist, oder wo er gleich wieder hingehen wird. Offensichtliche Peinlichkeiten, Aggressionen oder Situationskomik werden als Teil des vorgefundenen Settings gezeigt oder inszeniert. Die beobachtende, eher passive Kamerahaltung Nina Könnemanns lässt eine direkte Entsprechung des Kamerablicks mit dem Zuschauerblick entstehen. Da weder Schnitt noch Narrationsverlauf das kommentieren, was gezeigt wird, entsteht beim Zuschauer zuweilen das unbehagliche Gefühl, zum Voyeur gemacht zu werden. In ihrer neuesten Arbeit "Castles made of Sand" (2004), eine Videoinstallation mit Kopfhörer, geht Nina Könnemann mit der frei geführten Kamera durch eine trostlose, grün gekachelte Unterführung. Die Kamera schwankt und schlingert auf dem relativ kurzen Weg von Wand zu Wand; die Filmende, das Bild und auch die Zuseher verlieren immer mehr den Halt und den Boden unter den Füssen. Zuweilen stoppt die Kamera an einer Wand, betrachtet die Fugen zwischen den Kacheln. Die ganze Situation erinnert an einen Betrunkenen, der kurz innehält, um sich festzuhalten, um dann wieder weiter zu wanken. Das kurze Video ist mit eigens komponierter Musik unterlegt, die ebenso eindringlich das aufwallen und abebben eines Deliriums wiedergibt. Nina Könnemann stellt die Geschehnisse in ihrer gesamten Disparität dar und kleinste Beobachtungen werden zu fesselnden Ereignissen. Man könnte Nina Könnemann´s Blick als einen emphatisch distanzlosen bezeichnen, der sichtbaren Unordnung eines Ortes ein Stück eigenartiger Sinnfälligkeit abtrotzt.

Julika Rudelius untersucht die physische und verbale Kommunikation innerhalb von Gruppen und wie Codes die Dynamik von Hierarchien innerhalb solcher Gruppenprozesse preisgeben. Für Rudelius' Arbeiten ist die Kombination aus dokumentarischen Elementen und Verfremdung der vermeintlich 'natürlichen' Konversation charakteristisch. Die Grundlage für die Videoarbeit "Train" (2001) bildet ein Gespräch zwischen einer Gruppe von Jungs, das Rudelius im Zug belauscht hat. Sie bittet die Jungs die Unterhaltung in einer nachgestellten Szene zu wiederholen; das gesamte Gespräch dreht sich um Mädchen und Sex und ist im weiteren Verlauf von Aufschneidereien geprägt. Die Kamera späht durch einen Spalt in den Sitzen des Zugabteils, so dass nur die Gesichter der Jungs zu sehen sind. Rudelius nimmt die Position des Voyeurs ein. In "Your Blood is as Red as Mine" (2004) interviewte und fotografierte Rudelius Menschen aus der Black Community in Amsterdam. Im folgenden ist ein Auszug aus einem Gespräch zwischen Marianne Heier und Julika Rudelius zu lesen. Das Gespräch wurde anlässlich der Ausstellung zum Film im Mai/Juni 2004 im Katalog 'feuilleton' des Marres Centrum Beeldende Kunst, Maastrich veröffentlicht. MH: But even if you let go of certain securities etc., you are still the one to establish the rules, keep the focus, and make the decisions as to editing and so on. JR: Yes, of course! I base my work entirely on my own experiences and observations, I follow a certain procedure, and in the end I give it a shape which is recognizable as mine. Sure, there is a form of control, but within this framework there is a lot of space for things to happen. I am not reporting; I am creating situations containing key sequences of things or experiences I have been living. Little, odd things like for instance in Your blood is as red as mine where I really asked this guy "why are all these pictures so over-exposed?". Or like when I have problems finding the right exposure taking their photograph because I am just not used to it. It is extremely stupid, and it is a kind of side-effect; it is not really outspoken racism, it is rather a sort of racism which is due to my previous lack of contact with black people. But I want exactly these small things which kind of linger in your subconscious and then suddenly reappear on the surface. That's also how I find them; sometimes these things really happen to me, sometimes I imagine that they might happen, and then I start looking for the right people to play it out together with. Most of the time of course I get something slightly different from what I had imagined. But I never go somewhere videotaping just random things hoping to get lucky! MH: I personally find your work more closely related to the portrait genre than to that of documentary with which you are so often associated. Your efforts in making us "see the other" remind me of the thoughts of Emanuel Lévinas; his ideas about how acknowledging the face and unique humanity of "the other" makes it impossible to persist in generalized prejudices. JR: I very much like this line of thought, even though I am worried that it is going to fade. Mostly "the other" is part of a group which is badly understood; foreigners for instance. The main group, in our case mostly whites, the white art world or whatever, tend to have all these prefixed ideas about them, which they project on them, treating the whole group according to their own projection. You see that everywhere; in art, in social work, in politics... I think it is really poisonous. 'The other' needs to be able to both face us with our prejudices and correct us by proving them wrong. Having to constantly do this of course is totally exhausting. It requires an enormous capacity and energy. Of course prejudices have a function as a kind of filter in everyday life, but that is exactly what I am trying to break. And it is a real pleasure; it is liberating and lovely. (...)

Corinna Schnitt bearbeitet in ihren Videos das Alltägliche und das Private. Das Haus, die Familie, die Organisation des Alltags werden in subtilen Mikroszenarien inszeniert und vorgeführt. "Zwischen vier und sechs" (1997/98) erzählt vom absurden bundesdeutschen Ordnungssinn und den geregelten Konstellationen des Familienlebens. Dies geschieht jedoch mit viel Ironie. Eine weibliche Erzählerstimme schildert, offensichtlich zufrieden mit ihrem Leben und 'ohne mit der Wimper zu zucken' vom früheren Familienalltag ihrer 'ganz normalen' Familie in der Vorstadt, während zu sehen ist, wie sie nun heute, da sie nicht mehr zu Hause wohnt, jeden Sonntag, sozusagen hobbymäßig, zusammen mit den Eltern die Straßenschilder in der nähren Umgebung des Hauses putzen geht. Die Kombination aus der überzogenen Darstellung von 'Familieneintracht' und einer selbstgewissen und -zufriedenen Erzählerstimme formiert eine subtile Stimmung, in der die Wahrheit der Banalität des Privaten, als auch die Identität stiftende Vertrautheit familiärer Rituale vermittelt werden. “Das schlafende Mädchen" (2001) ist ebenfalls in einer Reihenhaussiedlung verortet und besteht aus einer langen Kamerafahrt über neu gebaute Siedlung, in der jedes Haus dem anderen gleicht. Eine seltsame Stille und Leere scheint über dem Ort zu schweben und die Fahrt endet schließlich im Innenraum eines der Häuser auf einem Gemälde von Vermeer, auf dem ein schlafendes Mädchen zu sehen ist. In diesem Moment beginnt eine Stimme, offensichtlich ein Versicherungsvertreter, vom Band eines Anrufbeantworters zu sprechen. Die Kamera verweilt die verbleibende Zeit, in der die Stimme über Lebensversicherungen und verlorene Kugelschreiber monologisiert, auf dem Bildnis des Mädchens. In “Living a Beautiful Life" (2003) ist die Location ein modernistisches und elegantes Wohnhaus in Los Angeles. In den schönen, aber steril wirkenden Räumen sind abwechselnd ein Mann und eine Frau zu sehen, die von dem schönen Leben berichten, das sie miteinander, einzeln und mit diesem Haus verleben. Unendlich perfekt inszeniert und doch unendlich langweilig ist die Vorstellung vom Leben das sie schildern. Corinna Schnitt überlässt in ihren Videoarbeiten nichts dem Zufall. Die Konstellationen sind inszeniert, die Blickrichtungen geplant und durchdacht. In der Kombination von Text und Bild geschieht jedoch eine subtile Interaktion, mit der Corinna Schnitt einen diskursiven Raum des Privaten im Alltäglichen eröffnet und zielsicher auf eine Auseinandersetzung mit den Vorstellungen und Utopien der Organisation unseres Lebens drängt.

In ihrer ersten Videoarbeit “Vorbasse Horse Fair and Market" (1994) besucht Gitte Villesen Nachts die im Titel genannte Veranstaltung und filmt dort einen ihr unbekannten Besucher. Dieser fühlt sich zunächst von der ungewohnten Aufmerksamkeit angezogen und flirtet vor laufender Kamera mit Gitte Villesen. Doch langsam wird er unruhig. Denn die schweigende Kamerafrau verrät nicht, warum sie eigentlich unbeirrt mit ihren Aufnahmen fortfährt. So entwickelt sich zunehmend ein Zwiegespräch zwischen dem Gefilmten und dem Prozess des Filmens. Das filmische Porträt wird ungeschnitten belassen. Der Kunstkritiker Raimar Srange schreibt im Kunstbulletin 2/03: “Gitte Villesen porträtiert in der Folge mehr oder weniger 'merkwürdige' Lebensentwürfe. Merkwürdig sind diese, weil sie sich mal mit eher 'kauzigem' Charakter, mal mit eher bewusst 'asozialer' Qualität und auch mal mit dezidiert künstlerischer Haltung am Rande der Gesellschaft bewegen. Die hier vorgestellten Menschen sind in vielerlei Hinsicht auf der Flucht vor den diktatorischen Normen und falschen Funktionszusammenhängen des 'richtigen Lebens'. Diesen Porträts von Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spielern, Strassen- und Projektkünstlern, von Diskjockeys und Transsexuellen sind dann nicht nur analysierende Beschreibungen von listigen Kritiken an der bestehenden Gesellschaft ablesbar, sondern auch ein sehnsuchtsvolles Begehren, dass sich nicht mit den Lustversprechen von bürgerlicher Gesellschaft und ihrer Unterhaltungsindustrie zufrieden gibt. In dem Video “Ingeborg the Busker Queen", (1999) erzählt Gitte Villesen von dem Leben der Straßenkünstlerin Ingeborg. Diese seltsam selbstverständlich, ja bieder anmutende Exzentrikerin filmt und interviewt die Künstlerin in dem kleinen “Museum für Straßenkunst", das Ingeborg gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Cibrino in dem dänischen Vorbasse, gegründet und aufgebaut hat. Dort gibt es mancherlei Kuriositäten zu bewundern: Zahme Ratten und Papageien etwa, oder das Foto einer Kuh mit zwei Köpfen, die Ingeborg bis zu deren frühen Tod gepflegt hatte. Der amerikanische Cultural Studies-Theoretiker John Fiske schreibt 1993 in seinem Klassiker, “Power works, power play", dass “locals", die in abgeriegelter, aber selbst bewusster Defensive in kleinen Communities leben, mit ihrem freiheitlichen Potential dem nicht gänzlich als übermächtig gedachten “Power bloc" emanzipativen Widerstand entgegensetzen können. Nicht mehr die großen, vorbildlichen Lebensentwürfe sind es, die ihn interessieren, sondern kleine, versteckte und völlig unmissionarisch gemeinte Alternativen. Genau dieses Moment des Sichselbstgenügens gibt auch bei Gitte Villesens Erzählungen aus der Provinz in Bild und Ton die Richtung an: Sie bietet auf den ersten Blick fast belanglose Miniaturen an, die, wenn man sich denn in aller Ruhe auf sie einlässt, langsam aber sicher ihre doch latent subversiven Qualitäten behaupten." In der Videoinstallation “The Building" (2003) porträtiert Villesen das Creative Reuse Warehouse , eine Arbeitsgemeinschaft in Chicago. Drei Videoprojektionen, verschiedene Collagen und ein gedruckter Text stellen über konkrete Situationen und persönliche Gespräche die Bewohner und Jugendlichen vor, die dort arbeiten. Villesen thematisiert gesellschaftliche Normen und Grenzen und die Frage: gibt es eine 'richtige' Art zu leben?

Melanie Ohnemus

1Hito Steyerl, Politik der Wahrheit - Dokumentarismen im Kunstfeld, springerin 3/03 2vgl. Gilles Dleuze, Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frankfurt a. M., Suhrkamp Verlag, 1997, S. 22 ff. 3Jan Verwoert, Research and Display. In: Gregor Neuerer (Hg.): Untitled (Experience of Place), Köln, Verlag Walther König, 2004

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Das zweite Bild
Videoscreening, kuratiert von Melanie Ohnemus
17.,18.,19. 09.2004, Beginn: 20.00 Uhr

Künstlerinnen: Yael Bartana, Jeanne Faust, Nina Könnemann, Julika Rudelius, Corinna Schnitt, Gitte Villesen