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Ende der Achzigerjahre stellte sich eine Gruppe befreundeter Künstler die Frage nach der Verortung von Kunst. War die Kunst in der Persönlichkeit des Künstlers oder in der ihn umgebenden Boheme, dem theoretischen Konzept oder gar dem Kunstobjekt selbst begründet? Für die Freunde Günther Förg, Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Heimo Zobernig war klar, dass in Zukunft Konzept und Kontext eine bis dahin unbekannte Bedeutung haben würden. „Es wird in Zukunft nicht mehr gemacht, sondern nur mehr gedacht.“ (Kippenberger). Aber für diese Künstler stand Werktreue auch weiterhin im Vordergrund ihrer Praxis und so blieben sie auch dem klassischen Medium der Malerei verbunden. Ein entscheidender Ansatzpunkt ihres Diskurses war die Auseinandersetzung mit der Novelle „Das unbekannte Meisterwerk“ von Honoré de Balzac von 1831.

Wie bekannt, suchen darin ein akademischer Künstler, ein junges Genie und ein skeptisch-kritischer Altmeister der Malerei nach der Wahrheit der Kunst. Es geht um das Ringen großer Maler um ihren eigenen Ausdruck, wenn der junge Nicolas Poussin durch den Salonmaler Porbus den verschrobenen Altmeister Frenhofer kennen lernt, der seit Ewigkeiten in seiner Klause über einem Portrait der legendären Kurtisane Catherine Lescaut brütet. Poussin „leiht“ Frenhofer seine Geliebte Gillette, damit dieser das Gemälde vollenden kann. Aber als der Meister sein sagenhaftes Werk endlich präsentiert, sehen Poussin und Porbus darauf „nichts als Farben, die in wirrem Durcheinander massiert sind und von einer Fülle bizarrer Linien zusammengehalten werden“: ein Chaos. Nur in einer Ecke entdecken sie die Spitze eines nackten Fußes, weiß und rein, „wie der Torso irgendeiner Venus“ – das einsame Fragment, der leibhaftige Rest einer künstlerischen Odyssee. Wie in allen Teilen von Balzacs Menschlicher Komödie sind die Figuren auch im Unbekannten Meisterwerk weniger Individuen als Typen, die eine soziale Rolle oder kunsttheoretische Position abbilden.

Die Geschichte ist für die Profession der Malerei von nachhaltiger Bedeutung, wie Georges Didi-Huberman in „Die leibhaftige Malerei“ 2002 nachweist. Nicht nur, weil Frenhofer, der von Balzac erfundene Maler, geradezu die gesamte Geschichte der Moderne vorherzeichnet, sondern, weil „Das unbekannte Meisterwerk“ hartnäckig auf die Tatsache hinweist, dass der letzte Grund der Malerei jenseits der Ausübung des Malens liegt. In diesem Sinne ist der Fortgang der Novelle der eines fortwährenden Hinausschiebens des letzten Grundes, und zwar in dem Maße, wie er verwirklicht werden sollte: Die Protagonisten suchen die vollendete Malerei als einen Akt der Entscheidung. Diese Operation des Herbeiführens einer künstlerischen Entscheidung läuft de facto auf die Konstitution des Maler-Subjektes hinaus. Solange das Subjekt geteilt bleibt (die kritisch-theoretische Zweifelsucht Frenhofers), entgleitet ihm der Akt des Herbeiführens der heroischen malerischen Entscheidung – der entscheidende Pinselstrich.

Die Geschichte erzählt aber auch von der Relativierung der Repräsentation, des Mimetischen. Insbesondere aber vom Imperativ des Dazwischen, der Aufhebung des figuralen Problems der umhüllenden Oberfläche – dem Inkarnat: Dem Geflecht aus körperlicher Oberfläche und Tiefe, der Dialektik zwischen Erscheinung und Schwinden, Vorne und Hinten, die im aktiven, oszillierenden Kolorit selbst begründet wird. Das Gemälde wäre also schon das Ineinander von Oberfläche und Tiefe. Es ist eine Hyperphysik der Schichtungen und der Schwingungen. Das körperliche Erscheinen, aber auch die Gedanken wirken hierdurch. Das Gemälde (Leinwand, Gewebe) stellt daher ebenso wenig eine Oberfläche dar, wie es die Farbe, die Haut oder jenes „blättrige“ Prinzip des Sichtbaren tut, das Balzac hier nahelegt. Entweder lacht die Malerei, angesichts einer Oberfläche, die keine Oberfläche ist, uns aus oder wir bringen sie um; ein wenig davon findet sich im Dilemma Frenhofers selbst: zwischen ontologischem Gespött und Selbstaufgabe.