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17. September – Anfang November 2021

Danh Vō (21. November 2020 – 7. Februar 2021)

Im August 2020 machten mein Kollege Hans Weinberger und ich eine kurze Reise zum Güldenhof, einem alten Gutshof in Brandenburg, den der Künstler Danh Vo in einen multifunktionalen Ort mit Atelier verwandelt hat. In den letzten Jahren wurden aus ehemaligen Scheunen und Nebengebäuden Tischler- und Keramikwerkstätten, Lagerräume und ein Gewächshaus. Vo hat einen „wilden“ Garten mit einer großen Vielfalt an Blumen und Gemüsesorten angelegt. Er hat ein Hauptgebäude gebaut, das eine Vielzahl an Schlafzimmern und -plätzen umfasst und eine große, zweckmäßige Küche mit einem langen Tisch, an dem gegessen und gespielt wird und Gespräche geführt werden können. Der Hof ist ein kreativer Rückzugsort für den Künstler geworden – ein Ort, um neue Dinge auszuprobieren, zu produzieren und um mit KünstlerInnen, HandwerkerInnen, Studierenden und KuratorInnen, die ihn dort besuchen in Verbindung zu sein. Neben diesen temporären Begegnungen sind Vos reguläre MitarbeiterInnen vielfach täglich da. Dazu zählen seine Studiomanagerin Marta Lusena, der Fotograf Nick Ash, der Möbelbauer Fred Fischer, und die Gärtnerin Christine Schulz. Sie hat den Garten angelegt und kommt jeden Morgen, um sich um ihn zu kümmern, experimentiert laufend mit Pflanzen, züchtet Samen und erweitert dabei ihr Wissen.

Von Berlin aus fuhren wir eine Stunde mit dem Zug nach Stechlin im Norden, wo wir am späten Nachmittag von Marta abgeholt wurden. Weiter ging es durch das flache Land an verstreuten, dünn besiedelten Dörfern und zahlreichen Seen vorbei. Hans war zum ersten Mal auf dem Güldenhof, wie dieser Besuch überhaupt seine erste offizielle Dienstreise ins Ausland als einer der technischen Leiter der Secession war. Vos Installationen sind wohlüberlegt, oft innovativ. Über die Jahre hat er sich immer wieder sehr auf die Expertise und Intuition von Aufbauteams gestützt. Für die Zusammenarbeit mit der Secession hat der Künstler den Wunsch geäußert, dass ich ihn zusammen mit jemanden vom technischen Team auf seiner Farm besuche, um ein gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Wir waren aufgeregt und glücklich, dort zu sein. Wir trafen ihn und einige andere vor der Holzwerkstatt, auf einfachen Hockern oder Holzstücken, die ohne weiteres als solche dienen konnten. Wir gesellten uns dazu und tranken ein Bier. Sie besprachen miteinander die an diesem Tag geleistete Arbeit sowie die Pläne für den nächsten. Danh erkundigte sich „Hans, kannst du mit einer Kettensäge umgehen, um einen Baum zu fällen?” Die Idee war, eine Fläche zu bearbeiten, auf der zwei Silos stehen und Bäume und Büsche wachsen. Fred und Nico, ein Atelierassistent, wollten den Zugang zur Tischlerei über ein französisches Fenster auf der Rückseite des Gebäudes erleichtern.

Genau ein Jahr zuvor war ich bereits auf dem Güldenhof gewesen. Damals arbeitete Vo an zwei Ausstellungen, die am selben Tag im September in London eröffnet werden sollten. Er hatte eine großzügige Ladung Schwarznussholz aus den USA bekommen, das für neue Arbeiten verwendet wurde oder aber als Rohmaterial präsentiert werden konnte (wie in der Londoner Galerie von Marian Goodman). In der Werkstatt stapelten sich kleine, aus diesem Holz geschnittene Sterne, und neben dem Eingang einer großen Scheune lehnte eine amerikanische Flagge aus verkohlten Brettern. Wie bei vielen Arbeiten von Danh Vo, verlieh die Herkunft des Holzes zusätzliche Bedeutung. Es war ein Geschenk von Sierra Orchards, eine Holzplantage im Besitz von Craig McNamara, der Sohn des ehemaligen US-Verteidigungsministers Robert McNamara, der in dieser Funktion einer der Architekten des amerikanischen Krieges in Vietnam gewesen war. Einige Jahre zuvor hatte Vo Gegenstände, die er aus dem Nachlass McNamaras erworben hatte, als Grundlage für eine Ausstellung gezeigt. Beeindruckt von der Komplexität von Vos Vision, kontaktierte Craig den Künstler und sie wurden Freunde. Dieses Gehöft am Güldenhof, das einem dänisch-vietnamesischen Künstler gehört, verfügt nun also über eine gehörige Menge Holz der McNamara Familie. Statt in (post-) kolonialen Repressalien zu versinken erzeugt Vos waches Interesse an Geschichte gepaart mit seiner Freude an Intimität etwas Provokatives im ästhetischen und sozialen Kontext.

Um einen großen, offenen und dicht bewachsenen Hof, in dem Nutzholz und riesige Marmorblöcke lagern sind eine Reihe von Gebäuden organisiert. An einem Ende des Platzes steht das Haupthaus mit seiner schwarzen Fassade und Metalldach, gegenüber eine ehemalige Scheune, die jetzt als Gewächshaus dient. Am Eingang ein Werk von Rirkrit Tiravanija ‒ ein Tischtennistisch, auf dem in großen Lettern „Morgen ist die Frage“ steht und auch Platz für Bücher, Gartengeräte und Gießkannen ist. Allerlei Gemüsesorten wachsen hier: Auberginen, asiatische grüne Bohnen, Bittergurken, Zucchini und mehrere Tomatensorten. Zwischen all dem Grün, das an Stangen und straff gespannten Schnüren dem Tageslicht entgegen rankt entdeckten wir antike Madonnen an die Wand gelehnt oder an einem Balken festgebunden, damit sie nicht umfallen. Amputierte Christusfiguren, zurechtgeschnitten, um in Kisten zu passen, liegen auf einem Hocker oder scheinbar zufällig auf dem Boden herum. Überall wächst Kapuzinerkresse (wie sie gemeinhin genannt wird) mit Blüten in verschiedenen Orange-, Gelb- und Rottönen. Vo ist von dieser Pflanze, ihrer Geschichte und den unterschiedlichen mit ihr verbundenen Konnotationen fasziniert, sodass er sie wiederholt in seine Installationen einbezieht. Die ursprünglich in Amerika heimische Pflanze wurde 1753 vom schwedischen Botaniker Carl Linnaeus Tropaeolum majus (große Trophäe) benannt. Er dachte bei den Blättern an Schilde und die trompetenförmigen Blüten erinnerten ihn an blutbefleckte Helme und wählte den Namen für ein antikes griechisches Siegesdenkmal. Linnaeus deutete die Pflanze vor militärischem Hintergrund und tränkte sie mit Bedeutung, die seiner kolonialistischen Perspektive geschuldet war. Zurück in Wien würden wir zahlreiche Kapuzinerkressen ziehen (ebenso wie Gemüse und andere Pflanzen), die Teil der Ausstellung werden sollten. Als Hans Pflanzkästen und Hochbeete ganz im Sinn von Enzo Mari baute, war er angesteckt von Vos Bewunderung für die Entwürfe des italienischen Designers für selbstgebaute Möbel, die er 1974 unter dem Titel Autoprogettazione als Buch veröffentlichte. Da die Natur und die Gärten ein wesentliches Element des Güldenhofs sind, würde ein von uns angelegter Garten auch dazu beitragen, eine längerfristige Verbindung zwischen dem Atelier des Künstlers und der Secession herzustellen.

Am nächsten Morgen besichtigten wir den Flecken Land hinter der Werkstatt. Brennnesseln und Efeu umwucherten zwei Silos, während Pappeln und zahlreiche wild wachsende Sträucher eine dichte Hecke an der Grundstücksgrenze bildeten. Diesen Teil zu bereinigen war harte Arbeit und erforderte einige echte Entscheidungen. Es ging dabei auch darum, ihn neu anzuordnen und zu gestalten – in gewisser Weise war es wie Bildhauerei. Wir diskutierten also darüber, was weg sollte und was bleiben konnte, und legten einige Richtlinien fest, an die wir uns alle halten konnten. Wir holten die Dinge und Geräte, die wir für die Arbeit brauchen würden: Handschuhe, Baum- und Gartenschere, eine Hacke, um die Erde aufzulockern. Hans schärfte die Sägeblätter der Kettensäge, Nicolas und ich begannen, um den Betonsockel eines Silos herum zu arbeiten, wo jemand eine Hängematte aufgehängt hatte. Danh beschnitt einen Strauch, Fred war in der Tischlerwerkstatt, und Marta checkte Mails und telefonierte. Gabriel (ein Kunststudent aus Schweden) assistierte Hans, indem er Äste mit Seilen festhielt, um die Fallrichtung zu bestimmen und damit niemand verletzt werden konnte. Als der erste Baum fiel hielten alle in ihrer Arbeit inne, um zuzusehen. Mehrere Haufen von Baumschnitt, Blättern und Unkraut machten unser Vorankommen sichtbar. Nach der Mittagspause ermunterte Vo Hans und mich, uns jeweils so unter ein Silo zu stellen, dass wir den Kopf hineinstecken und die erstaunliche Akustik erleben konnten. Diesen Sommer, als man wieder zu einer Art Geselligkeit zurückkehrte (zumindest die geimpfte Welt), nutzte der Künstler Tarek Atoui die Silos in seiner Sound Performance bei der Sonnwendfeier am Güldenhof. Die Bäume hatten für rhythmische visuelle Unterbrechungen beim Blick auf den Horizont gesorgt, als sie fielen eröffnete sich der Blick bis in die Ferne auf eine Abfolge von landwirtschaftlich genutzten Feldern und Äckern.

Wir führten nicht das übliche Arbeitsgespräch zwischen Kuratorin und Künstler. Vielmehr flossen Informationen und Ideen ganz natürlich, fast nebenbei, in Gespräche ein, wurden Gedanken formlos ausgetauscht. Auf den Treppen sitzend, die Fred am Nachmittag fertiggestellt hatte, tranken wir selbstgemachten Eistee. Vo war gespannt zu hören, wie die Secession organisiert ist und wie wir als Team zusammenarbeiten. Er erkundigte sich über die Rolle des Vorstands, fragte nach unseren üblichen Abläufen und ungeschriebenen Regeln, welche Ressourcen und technischen Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Er mag es einfach und praktisch. Während wir also das kleine Stück Land kultivierten, die Arbeit gemeinsam verrichteten, nahm auch die Art und Weise unserer Zusammenarbeit Gestalt an.

Bei der Renovierung des Güldenhofs wurden alle neu errichteten Gebäude schwarz gestrichen – wie etwa das Haupthaus und die Werkstatt –, um sie deutlich von den bereits vorhandenen aus Stein und Ziegel abzuheben, die unverändert blieben. Die Verwendung eines Materials oder einer Farbe folgt für Vo einer systematischen Logik, und auch wir würden in der Ausstellung verschiedene Materialien mit unterschiedlichen Funktionen verknüpfen: Pflanzkästen würden aus Siebdruckplatten gebaut, 1x1 m große Marmorplatten sollten Räume innerhalb des Ausstellungsraums markieren, Holz könnte für Stützkonstruktionen verwendet werden.

Während wir alle aufräumten und uns unterhielten, goss Vo die Pflanzen und hielt den Schlauch in die Abendsonne, um Regenbögen zu machen. Es war ein glühend heißer Tag gewesen, sodass wir zum Abschluss in einem der nahe gelegenen Teiche schwimmen gingen. Als wir zurückkamen, hatte Danh ein köstliches Essen für uns bereitet, es gab knusprigen Schweinsbraten und Fisch aus dem Ofen, dazu Bouillon und eine große Schüssel Salat aus frischem Grünzeug und Kräutern aus dem Garten. Es war schon spät, als wir uns zum Essen setzten. Ein langer, produktiver Tag lag hinter uns.

Jeanette Pacher, Kuratorin
(Übersetzung: Friederike Kulcsar)

Danh Vo wurde 1975 in Bà Rịa, Vietnam, geboren. Er lebt und arbeitet in Berlin und Mexico City.
Seit 2017 dient der Güldenhof in Stechlin / Brandenburg mit seinen Wirtschaftsgebäuden und großen Grünflächen dem Künstler und anderen als Produktionsstätte und Lebensraum.

Das Ausstellungsprogramm wird vom Vorstand der Secession zusammengestellt.
Kuratorin: Jeanette Pacher

Zu der Ausstellung von Danh Vo erscheint ein Künstlerbuch.