press release only in german

curated by_FRIEDERIKE MAYRÖCKER. SCHUTZGEISTER
KURATOR HANS ULRICH OBRIST

5 SEP – 10 OKT 2020
ERÖFFNUNG
SAMSTAG 5 SEP 2020 | 11 – 19 UHR
SONNTAG 6 SEP 2020 | 12 – 17 UHR

ÖFFNUNGSZEITEN
DIENSTAG – SAMSTAG | 12 – 18 UHR

„Es gibt nirgendwo Gewissheit, es gibt nur Hoffnung“ - Friederike Mayröcker

Von Hans Ulrich Obrist

Als ich Maria Lassnig 1985 kennenlernte, erzählte sie mir von ihrer Leidenschaft für das literarische Werk von Friederike Mayröcker und zeigte mir Rosengarten, Lassnigs und Mayröckers gemeinsames Künstlerbuch. In der Publikation fanden Mayröckers Gedichte Illustrationen von Lassnig – eine Kombination, die einen bleibenden Eindruck auf mich haben würde. Lassnig las mir aus dem Rosengarten vor. Während dieses Treffens, im Alter von 17 Jahren, fand ich mich in einem wunderbaren Gespräch über Literatur und Kunst und deren Zusammenspiel wieder. Lassnig erklärte mir, dass ihre Gemälde ein Körperbewusstsein beschreiben und Mayröckers Werk körperliche Besinnung behandelt. Es war dank Lassnig, dass ich zu Mayröckers Werk fand und begann, ihre unzähligen Bücher zu lesen. Mayröcker ist für mich, neben Etel Adnan, Édouard Glissant und Robert Walser, eine der Schriftstellerinnen, von denen ich beinahe alle Werke gelesen habe. Es war mir daher immer ein Anliegen, Mayröcker persönlich kennenzulernen und es war erneut dank Lassnig, dass diese Begegnung stattfand. Über die jahrzehntelange Beziehung, die ich zu Lassnig pflegte, wurde es zu einer Art Ritual sie zu besuchen wann immer ich in Wien war. Als sich Lassnigs Leben nach fast 95 Jahren dem Ende neigte, wendete sie sich während eines solchen Besuchs in einem besorgten Ton an mich und fragte: „Was wirst du in Wien tun, wenn ich nicht mehr hier bin?“. Bei unserem letzten Treffen legte sie mir also ans Herz: dass ich ihre gute Freundin Friederike Mayröcker, die große österreichische Schriftstellerin, treffe. Nach dem Tod von Lassnig schrieb ich Mayröcker folglich einen Brief und erzählte ihr von Lassnigs berührender Idee. So trafen wir uns im Café Sperl in Wien.

Mayröckers Überzeugung ist, dass Schreiben das Leben reflektiert und sie beschreibt die Melancholie als ihren Antrieb. Mayröcker hat sich dem Schreiben durchgehend vollständig gewidmet und die Intensität ihrer Hingabe zum Schreiben resultiert heute in mehr als 100 Büchern. Es war während unseres ersten Treffens im Café Sperl, als ich Mayröckers Zeichnungen als ein Teil ihres Werks entdeckte. Mayröckers Zeichnungen, welche sie über Jahrzehnte in Serien realisierte zeigen unter anderem „Schutzgeister“ – deren Namen diese Ausstellung ihnen entleiht. Die schützende Kraft derer wir in diesen schwierigen Zeiten speziell gut gebrauchen können. Über die Jahre hat Mayröcker viele Schutzgeister gezeichnet, wie beispielsweise Schutzgeister zum „Schutz gegen die Unsicherheiten des Daseins“1, welche sie ihrem Partner Ernst Jandl widmet. Für Jandl zeichnete Mayröcker auch Schutzgeister gegen die Angst davor, alleine zu sein; gegen die Angst vor der Dunkelheit, aber ebenso Schutzgeister gegen böse Menschen, morgendliche Müdigkeit oder Mangel an Zigaretten. Weitere Zeichnungsserien, die sich in der Ausstellung finden, sind der ABC-Thriller sowie der Kinder Ka-Laender, wobei letzterer in zwei Versionen zu sehen sein wird, der fertigen ausgearbeiteten Serie und einem Erstentwurf.

Es war mir ein Anliegen, die vielseitigen Dimensionen von Mayröckers Schaffen zusammenzubringen und sowohl ihre Poesie, als auch ihre Prosa und Hörbücher in einen Kontext mit ihren Zeichnungen zu bringen.

Für die Ausstellung hat Koo Jeong A Tische entworfen, auf denen die über 100 Bücher von Mayröcker ausgestellt werden.

Mein Dank geht an Rosemarie Schwarzwälder, Edith Schreiber, Robert Fleck, Melanie Harl und das gesamte Team der Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Koo Jeong A, Lorraine Two Testro, Max Shackleton, Adèle Koechlin.

1Friederike Mayröcker im Gespräch mit dem Autor, KC-1702

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FRIEDERIKE MAYRÖCKER, geb. 1924in Wien, Österreich, gilt alseine der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen im deutschen Sprachraum. Nach der Matura legte sie die Staatsprüfung auf Englisch ab und arbeitete zwischen 1946 und 1969 als Englischlehrerin an verschiedenen Wiener Schulen. Bereits 1939 begann sie mit ersten literarischen Arbeiten, ab 1946 folgten kleinere Veröffentlichungen von Gedichten. Im Jahr 1954 lernte sie Ernst Jandl kennen, ihren späteren Lebensgefährten, mitdem sie zunächst eine enge Freundschaft verbindet. Nach ersten Gedichtveröffentlichungen in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift „Plan“, wurde 1956 ihr erstes Buch Larifari: ein konfuses Buch veröffentlicht. Seitdem folgten Lyrik und Prosa, Erzählungen und Hörspiele, Kinderbücher und Bühnentexte. Das Werk von Friederike Mayröckerwurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur (1982), dem Droste-Preis (1997), dem Georg-Büchner-Preis (2001) und dem Österreichischen Buchpreis (2016). Friederike Mayröcker lebt in Wien.

HANS ULRICH OBRIST, geb. 1968 in Zürich, Schweiz, ist künstlerischer Leiter der Serpentine Galleries in London. Zuvor war er Kurator am Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris. Seit seiner ersten Ausstellung „World Soup (The Kitchen Show)” im Jahr 1991 kuratierte er mehr als 300 Ausstellungen. Obrist hielt Vorträge an internationalen akademischen Institutionen und Kunstinstitutionen, er ist mitwirkender Redakteur der Zeitschriften Artforum, AnOther Magazine, Cahiers D'Art und 032C; er schreibt regelmäßig Beiträge für Mousse und Kaleidoscope sowie Kolumnen für Das Magazin und Weltkunst. 2011 erhielt er den CCS Bard Award for Curatorial Excellence und 2015 den Internationalen Folkwang Preis für sein Engagement für die Künste. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehören Ways of Curating (2015), The Age of Earthquakes (2015), Lives of the Artists, Lives of Architects (2015), Mondialité (2017), Somewhere Totally Else (2018) und The Athens Dialogues (2018).

Design des Büchertisches: Koo Jeong A