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Was bedeutet künstlerische Produktivität? Wie wird diese im Werk und im Ausstellungskontext erfahr- und verhandelbar? Welchen Regeln und Normen unterliegt sie, wenn postindustrielle und künstlerische Produktion ohne Reibungsverlust ineinandergreifen und das Begehren der Kunstindustrie nach dem immer Neuen bedienen? Können Kunstproduzent_innen – Künstler_innen, Kurator_innen, Theoretiker_innen und Kritiker_innen – diese Logik unterbrechen, solange sie innerhalb etablierter Strukturen arbeiten?

Mit dem Wissen um die inneren Zwänge der Kunstindustrie und ihre Forderung nach Effizienz, Optimierung, Flexibilität und Selbstmanagement unternimmt die Ausstellung den Versuch, die Bedingungen der Produktion durch Gesten der „Gegenproduktion“ zu reflektieren. Als methodologisches Manöver lässt sie sich von „gegenproduktiven“ Strategien inspirieren, wie sie etwa die Künstlerin Marine Hugonnier mit ihrem Künstlerbuch Travail Contre Productif (2007 – bis heute) verfolgt. Ein unabgeschlossenes Manuskript – Gedankensplitter über Freundschaft, Wirtschaft und nicht-realisierte Projekte – in einer schwarzen Box verdeutlicht ein Zurücknehmen der Produktion von Bildern und Objekten, das für alle ihre Arbeiten gilt. 35 Jahre früher stellten der Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge und der Soziologe Oskar Negt in ihrem Buch Öffentlichkeit und Erfahrung (1972) „Gegenproduktion“ als eine subversive Praxis vor, die auf die Transformation politischer, gesellschaftlicher und kultureller Konventionen abzielt. Kluges „gegenproduktive“ Praxis, die in seinen Filmen, Büchern und ungewöhnlichen Fernsehformaten fortwirkt, ist u. a. Material und Inspiration für Seth Prices Essay Dispersion (2003), in dem der Künstler seine Produktionsweise darlegt und mit Arbeiten anderer Künstler verknüpft. Seite für Seite recycelt, taucht der Essay später als mehrteilige Siebdruckserie Essay with Knots (2008) wieder auf und zeugt damit von einer Produktionsweise, die sich beständig selbst mitreflektiert und zu immer neuen Varianten der Materialisation findet.

„Gegenproduktion“, wie sie die Ausstellung thematisiert, ist damit weniger als eindeutig bestimmbare Methodologie zu verstehen, sondern eher als Metapher für das Vermögen, Differenz innerhalb des Produktionssystems zu stiften. Dazu greifen die Künstler_innen auf etablierte Medien, Techniken, Präsentationsformate und Kommunikationskanäle zurück, perforieren den herkömmlichen Herstellungsprozess durch spontane Improvisation, gezielte Umverteilung, Abweichung oder Verschiebung und legen so institutionalisierte Normen der Produktion, Distribution, Präsentation und Interpretation von Kunst offen. Sie schaffen Zonen der Unbestimmtheit, die künstlerische Arbeit zwischen Affirmation und Negation einer alles absorbierenden Werteökonomie situieren.

Die Herausforderung besteht nun darin, gemeinsam mit den Künstler_innen und angeregt durch ihre Arbeitsweise eine kuratorische Praxis zu entwickeln, um die Ausstellungsorganisation selbst entlang einer Logik der Umverteilung und Selbstregulierung neu zu ordnen. Dies könnte eine Reihe von Gesten der Abweichung beinhalten, die auch eine Reflexion auf die Arbeitsbedingungen in der Generali Foundation und die von ihr hervorgebrachten ästhetischen und theoretischen Diskurse in Gang setzt.

Kuratorinnen: Diana Baldon und Ilse Lafer in Zusammenarbeit mit Luke Skrebowski