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after the butcher lädt herzlich ein zum Besuch unserer neuen Ausstellung

Claudia Reinhardt & Cornelia Herfurtner
Killing Me Softly / Passive Bewaffnung

Ausstellung von 5. September bis 4. Oktober 2020 Am 12., 19., 26. September und 3. Oktober sind die Künstlerinnen von 15-18 Uhr anwesend.

Besuch nur nach vorheriger Anmeldung unter: ina@after-the-butcher.de

19. September um 19 Uhr
Book Release: Witwen / Widows von Claudia Reinhardt erschienen 2020 im Verlag The Green Box.

Sonntag 4. Oktober Finissage 15-20 Uhr
3D-Filmvorführung um 18 Uhr von Flipping the Stationary Car, 2018 von Cornelia Herfurtner, David Iselin-Ricketts, John Allan MacLean (45min)

Besuch nur nach vorheriger Anmeldung unter: ina@after-the-butcher.de
Wir bitten in den Ausstellungsräumen eine Behelfsmaske zu tragen und die Abstandsregeln zu beachten.

Cornelia Herfurtner Passive Bewaffnung

Rein rechtlich begehen wir derzeit bei jeder organisierten Menschenansammlung eine gesetzliche Straftat. Dank Covid-19 ist ganz Deutschland passiv bewaffnet, trägt Masken und Plastikschutzschirme vor dem Gesicht, ja hat sogar die Pflicht sich zu vermummen. Was ist passiert?
Nach den 68er Protesten beginnen sich die Menschen in den 1970er Jahren der BRD auf Großdemonstrationen verstärkt zu vermummen, zum Schutze ihres eigenen Persönlichkeitsrechts, denn wer auf die Straße geht und erkannt wird, dem droht die Entlassung in Betrieben oder auch vom Schuldienst. Durch das 1977 eingeführte Antiterrorgesetz gilt: Wer vermummt auf eine Demo geht, rechnet mit Gewalt, provoziert sie. Die „passive Bewaffnung“ ist geboren, Vermummung verboten. Nach Brokdorf und den großen Anti-Atomkraftbewegungen verschärfen sich die Gesetze noch einmal. Passiv bewaffnet ist nun jeder, die/der sich mit jeglicher Schutzbekleidung oder Objekten ausstattet, die vermuten lassen, dass mit Polizeigewalt gerechnet wird. Selbst wenn das Gegenüber spätestens seit Gründung der GSG 9 Einheit aussieht, als ziehe es bei jeder 1. Mai Demonstration – oder beim G20 Gipfel – in den Krieg gegen die eigenen Bürgerinnen. 
Und so gilt: Keine Fahrradhelme, keine Taucherbrille, keine verstärkten Handschuhe, bitte kein Zahnschutz und am besten auch sämtliche Schlüssel zu Hause lassen, solltet ihr vorhaben, auf eine Demo zu gehen! 
Nun ist das mit dem aktiven Selbstschutz vor dem potentiellen Angriff gerade etwas heikel: Wer vermummt sich jetzt für wen oder gegen was und wer oder was ist denn nun eigentlich „der Feind“? Cornelia Herfurtners gemeißelte Reliefs sind Stilleben einer BRD-Geschichte um Aufstand und repressive Staatsgewalt, deren Fortsetzung mit Sicherheit folgt.

Claudia Reinhardt Killing Me Softly

„Nirgendwo sein, nirgendwo bleiben. Tauchen, ruhen, sich ohne Aufwand von Kraft bewegen – und eines Tages sich besinnen, wieder auftauchen, durch eine Lichtung gehen [...]. Mit dem Anfang beginnen.“ (I. Bachmann, Undine geht)

Der Suizid ist eine Form von Gewalt, aber auch von Freiheit. Zwischen 2000 und 2004 reinszenierte Claudia Reinhardt fotografisch zehn Selbsttötungen bekannter Künstlerinnen – Persönlichkeiten, die sie selbst faszinierten und deren Werk und Leben sie in ihrer Arbeit beeinflussten. Als eine Art persönliches Tribut lässt Reinhardt dabei Fiktion und Realität ineinander verschmilzen, recherchierte für jedes Foto sowohl in der Literatur als auch in den Archiven, was genau jene Frauen dazu getrieben hat, sich aus dem Leben zu verabschieden. Dabei sind die Motive und Methoden sehr unterschiedlich: Es gibt den geplanten und exakt durchgeführten Suizid, etwa bei Sylvia Plath oder Anne Sexton und es gibt die langsame Zerstörung des eigenen Körpers, wie etwa die Tabletten- und Alkoholsucht Ingeborg Bachmanns. Reinhardt wählt dabei eine durch und durch psychologische Annäherung an ihre Vorbilder, indem sie selbst in die Rolle der Sterbenden schlüpft: sie reenacted die zehn Tode, den Moment bis ins Detail ausgestattet und lässt sich dabei fotografieren. Stünde jenes Adjektiv an dieser Stelle nicht in genauer Opposition zum Dargestellten, ließe sich die Szenerie durch ihren filmstillhaften Charakter tatsächlich als „lebendig“ beschreiben. Was veranlasste diese Frauen*, sich dem Leben entgegenzusetzen, zu entziehen? Die möglichen Gründe scheinen dabei leider noch immer nicht aus dieser Welt geräumt: patriarchale, physische Gewalt, faschistische Systeme, fehlende Gleichberechtigung und Anerkennung ihrer Werke, um hier nur einige zu nennen. Ohne den Suizid verherrlichen zu wollen, halten Reinhardts Fotos daher auch einen Moment größter Selbstbestimmung fest.

„Aber so kann ich nicht gehen. Drum laßt mich euch noch einmal Gutes nachsagen, damit nicht so geschieden wird. Damit nichts geschieden wird.“ (ebd.)

Nadja Abt, Berlin, 15. August 2020

*

Claudia Reinhardt
(* 1964 in Viernheim/Südhessen) hat an der Hochschule für bildende Künste, Hamburg studiert. Von 2000 - 2012 lehrte sie an der National Art Academie in Bergen, Norwegen als Professorin im Fachbereich Fotografie. Bekannt wurde Reinhardt u.a. durch ihr fotografisches Werk Killing Me Softly – Todesarten (Aviva Verlag, Berlin 2004), einer Fotoserie, die sich mit Künstlerinnen beschäftigt, die sich selbst töteten. Reinhardt inszeniert diese Suizide mit ihr als Model. In der Arbeit No Place Like Home (Verbrecher Verlag, 2005), geht es um die Bedeutung von Herkunft und Identität. Die Arbeit Tomb of Love (Verbrecher Verlag, 2016) setzt sich noch einmal mit dem Thema Suizid auseinander und inszeniert Paare, die sich gemeinsam das Leben nahmen. Um Trauer und Erinnerung handelt die Arbeit Witwen/Widows, eine dokumentarisch – konzeptionelle Fotoarbeit, die 2020 bei The Green Box, Berlin publiziert wird. 
Ausstellungen: Haus am Kleistpark, Berlin (2018); Kunstgeschichtliches Museum, Osnabrück (2017); Galerie Malopolski Ogród Sztuki, Krakau (2016); Galerie im Körnerpark, Berlin (2015); Corean Art Museum, Seoul (2015); Galerie F15, Moss, Norwegen (2015); Contemporary Art Museum, Roskilde (2015); Fotogalleriet Format, Malmö (2014); Meta House, Phnom Penh (2011); Kunsthalle Memmingen (2010); IDFX, Breda Photo Festival, Breda (2007); Micro Museum, Zürich (2009); Brooklyn Museum, New York (2004) u.a.

Cornelia Herfurtner
(* 8. Mai 1987) ist Künstlerin und in der Interventionistischen Linken organisiert. Im Bündnis Rheinmetall entwaffnen arbeitet sie gegen Waffenproduktion und Waffenexporte und Deutschlands größten Waffenproduzenten Rheinmetall. Als Künstlerin arbeitet sie unter ihrem bürgerlichen Namen als auch mit der Künstler_innengruppe ‘Michelle Volta’ und dem Verlag und Buchladen b_books. Zu ihren letzten Projekten gehören eine Serie von Fotos unter dem Titel ‚freedom and control of others (including myself)‘ (veröffentlicht in starship #19) und das kollektiv unterrichtete Seminar ‘Selbstorganisation und Hochschule’ (gemeinsam mit Ernest Ah and Anastasio Mandel, Universität der Künste Berlin). Ihr Video-Essay ‚Frauen verlassen das Museum’ (in Zusammenarbeit mit David Polzin) ist noch bis Januar 2021 im Mitte Museum in Berlin-Wedding zu sehen.

after the butcher - Ausstellungsraum 
für zeitgenössische Kunst und soziale Fragen Spittastr. 25, 10317 Berlin www.after-the-butcher.de

Geöffnet nach Vereinbarung: ina@after-the-butcher.de oder Telefon +49 (0) 178 32 981 06