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Esther Schipper freut sich die zweite Einzelausstellung von Christopher Roth mit der Galerie zu präsentieren.

Die mit Blow Out betitelte Ausstellung umfasst einen neuen Film mit einem speziell konzipierten Sitzgestell, eine Serie von Wandmalereien, eine skulpturale Intervention, eine Neon-Arbeit und einen neuen, bisher unvollendeten Roman. Blow Out konstituiert ein dicht gewobenes Netz von Assoziationen mit einem Ensemble von Charakteren — darunter Schauspielerinnen, Regisseure, Philosophen und La Cupola, ein verfallenes Gebäude an der Küste Sardiniens — in konstanten zeitlichen Verschiebungen.

Grundpfeiler ist der Film Blow Out, der zum überwiegenden Teil in der sogenannten „Binishell” gedreht wurde. Das nach der Innovation seines Architekten Dante Bini benannte Gebäude, wurde 1972 für den italienischen, modernistischen Filmregisseur Michelangelo Antonioni fertig gestellt, der geplant hatte, dies mit seiner Geliebten Monica Vitti zu bewohnen. (Bini’s Innovation besteht aus der Verwendung eines Ballons, dessen Oberfläche in planem Zustand mit einer Betonschicht bedeckt wird und sich durch das Aufblasen zu einer Kuppel erhebt. Nach Aushärtung des Betons wird der Ballon entfernt.) Die Zwischentitel in Blow Out haben eine hypnotische Qualität, verleihen dem Film jedoch auch eine lose narrative Struktur, die mit einer initialen direkten Anrede beginnt: “Dear Antonioni…” („Geehrter Antonioni...“), hier als doppelnde Referenz zu dem im Jahr 1980 von Roland Barthes verfassten Text zur Arbeit des Regisseurs. Nunmehr in einem Zustand des Verfalls, wird die Geschichte des Gebäudes — für ein Liebespaar gebaut, das sich bereits vor dessen Fertigstellung getrennt hatte — durch drei Frauen heraufbeschworen, die den Schauplatz zu besuchen scheinen, entschwinden und wieder zum Vorschein kommen.

Trotz ihrer augenscheinlichen Altersunterschiede, gibt es ausgesprochene Ähnlichkeiten zwischen den drei weiblichen Figuren, die eine Verschränkung entstehen lassen: Vitti ist während eines ihrer Interviews aus den 1960er Jahren zu sehen, während eine Frau vergleichbaren Alters von der Terrasse des mittlerweile baufälligen Gebäudes blickt. Sie schreitet durch den Innenraum mit dessen zentraler, erotisch aufgeladenen Treppe, erdacht von Antonioni als eine Art Bühne seiner schönen Liebhaberin. In einer weiteren zeitlichen Ebene, tritt die dritte Frau, Vera Lehndorff, in drei Gestalten in Erscheinung: als junge Schauspielerin, die unter ihrem Künstlernamen Veruschka bekannt ist und in kurzen, dennoch ikonischen Szenen in Antonionis Film Blow Up von 1966 auftrat, als sie selbst im Jahr 2015 und als stark verkleinerter 3-D-Scan im Kostüm des Antonioni Films. Ihr einziger Text aus Blow Up — “I am in Paris” („Ich bin in Paris“) — durchzieht mantra-artig den Film von Christopher Roth und findet sich als neue Neon-Arbeit an der Wand. Eine weitere Verkörperung erscheint online: Lehndorffs und Roths gemeinsamer Film des Jahres 2015 annA+3, mit Lehndorff in den Hauptrollen, wird während der Ausstellungsdauer auf der Website where-is-anna.xyz gezeigt.

Basierend auf den architektonischen Öffnungen in Dante Binis Haus, führen Wandmalereien in der leuchtenden Farbe eines Green Screens die zeitliche und konzeptuelle Verschmelzung in den Ausstellungsraum fort. Roths Roman Blow Out erforscht Quentin Meillassouxs Konzept der “extro-science fiction” (oder XSF), eine Science-Fiction, die sich eine Existenz vorstellt, in der nicht alle Vorkomnisse durch empirische Ableitung reproduzierbarer wissenschaftlicher Regeln erklärt werden können. Zum Teil inspiriert von René Barjavels Ravage von 1943, schildert Roths Roman eine Zukunft, die versucht sich den Konsequenzen eines unerklärbarem Verlust der Elektrizität anzupassen.

Frühere Projekte von Christopher Roth, insbesondere 80*81, mit Georg Diez, hinterfragen die Rekonstruktion von Geschehnissen der Vergangenheit als Beleg für paradigmatische kulturelle und historische Umbrüche. Sein jüngster Film Hyperstition (in Kollaboration mit Armen Avanessian) und die neuen Arbeiten seines Œuvres sind in der Dynamik zwischen Meillassouxs Theorie einer Welt, die außerhalb des Verständnisses von Humanität existiert und J.G. Ballards Diktum von 1971 zu verorten: “The future is a better key to the present than the past.” ( „Die Zukunft ist ein besserer Schlüssel für die Gegenwart, als die Vergangenheit.”)

Christopher Roth, in München geboren, lebt und arbeitet in Berlin. Das Œuvre des Künstlers umfasst Filme, Theaterprojekte und Romane, beispielsweise 200D und sein umfangreiches Forschungsprojekt 80*81 mit Georg Diez, das elf Bücher und begleitende Kongresse in Berlin, New Delhi, São Paulo, Johannesburg und Theateraufführungen in Hamburg, New York und Zürich beinhaltet.

Auswahl Einzel- und Gruppenausstellungen: DMZ Docs, Megabox Kintex, Seoul (2014); Time Pieces, Nordstern Videokunstzentrum, Gelsenkirchen (2014) und The New Restraint, Architecture in Straitened Circumstances, Bielefelder Kunstverein, Bielefeld (2013). Ausgewählte Filme: Hyperstition, mit Armen Avanessian (2015); annA+3, mit Vera Lehndorff (2015); AnnA, mit Vera Lehndorff (2015); Spring, als Teil von The Seasons in Quincy: Four Portraits of John Berger (2015); Lacoma (2007); Baader, ausgezeichnet mit dem Alfred-Bauer-Preis auf der Berlinale (2002) und Mozartbique, in Zusammenarbeit mit Franz von Stauffenberg (2007). Einzel- und Gruppenausstellungen mit Franz von Stauffenberg, als Künstlerduo RothStauffenberg bis 2009 aktiv: Video, Pacific Design Center, Los Angeles (2009); Made in Germany, Sprengel Museum Hannover (2007); 3’, Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main (2004); Neue Welt, Frankfurter Kunstverein, Frankfurt/Main (2001); Style Games, Berlin Biennial/congress 3000, Berlin (1998) und Happier Days, Filmmuseum, Munich (1994).