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Finissage und Vortrag Merhaba Schaich

Am Sonntag, 23. Juni 2019, endet unsere Ausstellung "Chinas alte Seidenstraße - ein Kaleidoskop". Um 17 Uhr wird die uigurische Künstlerin und Kunstvermittlerin Merhaba Schaich zur aktuellen Situation der uigurischen Künstler*innen in Xinjiang sprechen und wichtige Hintergrundinformation zu ihrem Beitrag in der Ausstellung vermitteln. Bitte achten Sie auf anhängende Einladung zum Vortrag "Ein kurzer Einblick in die authentische Seite der Gegenwartskunst der Uigurinnen und Uiguren".

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PARALLELPROGRAMM

7. 6. 2019, 18.30 Uhr Vortrag
Kai Strittmatter (Sinologe, Korrespondent Süddeutschen Zeitung) „Was in Xinjiang geschieht, bleibt nicht in Xinjiang – Über das Labor der KP Chinas für den digitalen Staat der Zukunft“
Der Sinologe und Kai Strittmatter, einer der profundesten Kenner der chinesischen Gesellschaft, wird u.a. die gegenwärtige Situation der Uiguren behandeln und damit den Hintergrund des Beitrags der uigurischen Künstlerin und Kunstvermittlerin Merhaba Schaich in unserer laufenden Ausstellung beleuchten. Weitere Information finden Sie anhängend.

14. 6. 2019, 18.30 Uhr Performance und Vortag
Performance und Lesung Bignia Wehrli „Wie viel wiegt der Weg von Hangzhou nach Berlin?“ Vortrag Eva Luedi Kong (Sinologin) „Der heilige Westen – Die Reise von China nach Indien in Jahrhunderten der Fiktion“

23. 6. 2019, 17 Uhr Finissage mit Vortrag Merhaba Schaich „Ein kurzer Einblick in die authentische Seite der jungen Gegenwartskunst der Uigurinnen und Uiguren

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AUSSTELLUNG

Chinas Alte Seidenstraße - ein Kaleidoskop | Künstlerische Begegnungen mit Mythos und Realität
12.05.2019 – 23.06.2019

Eröffnung am Sonntag, 12. Mai, 17 Uhr

Susanne Jung, Dorothea Nold, Qiu Zhijie, Merhaba Schaich, Andreas Schmid, Beate Terfloth, Bignia Wehrli und uigurische Gegenwartskunst, medial präsentiert von Merhaba Schaich

Die Seidenstraße mit ihren unterschiedlichen Routen durch Asien und Europa hat seit jeher die Menschen fasziniert und löst bis heute so unmittelbare wie vielschichtige Assoziationen aus. Gegenwärtig ist sie durch das strategische und wirtschaftliche Großprojekt Neue Seidenstraße (Belt and Road) des chinesischen Ministerpräsidenten Xi Jinping in besonderer Weise präsent. In den künstlerischen Beiträgen der Ausstellung begegnen sich Mythos und Realität. Ausgewählte Werke aus unterschiedlichen Perspektiven öffnen und bereichern die heute fast ausschließlich wirtschaftlich und politisch dominierte Debatte. Gezeigt werden Arbeiten von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die vornehmlich den chinesischen Teil der Seidenstraße bereisten und dort nachhaltige Impulse für ihre künstlerische Arbeit erfuhren.
Da aus aktuellem Anlass keine uigurischen Künstler*innen teilnehmen können, werden Positionen uigurischer Gegenwartskunst in einem Videoloop gezeigt, das eigens diese Ausstellung von der Künstlerin Merhaba Schaich zusammengestellt wird.

Kurator: Andreas Schmid.

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ERÖFFNUNGSREDE

Text der Eröffnungsrede am 12. Mai 2019 im Kunstverein KunstHaus Potdam e.V.
© Andreas Schmid, Kurator und Künstler, Berlin

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Liebe Künstlerinnen und Künstler, insbesondere liebe Merhaba Schaich sehr geehrte Herr Kralinski, sehr geehrter Herr Biedermann, liebe Frau Dr. Möckel, Frau Jahnhorst, Frau Wehr und Herr Sorgenfrey, liebe Besucherinnen und Besucher, Freundinnen und Freunde, ich freue mich sehr, dass Sie heute so zahlreich hier ins Kunsthaus gekommen sind.

Es ist, wie der Titel schon signalisiert, eine besondere Ausstellung, die vom „normalen“ Kunstbetrieb etwas abweicht. „Seidenstraße“- dieser Begriff löst bei fast allen Menschen, die ich kenne, eine ganze Kette von Assoziationen aus. Zumeist positive, oft romantisch mit Klischees von Kamelen und Karawanen gefüllt, auch mit Vorstellungen von Austausch und unendlichen Weiten. Interessant ist, dass dieser Begriff von dem Geologen Ferdinand von Richthofen in der 2. Hälfte des 19.Jh. geprägt wurde, der dieses Wort für eine ganze Reihe von Routen von China nach Europa, Indien und Arabien ver- wendete und nicht auf die wenigen Routen des tatsächlichen Seidenhandels beschränkt sehen wollte. Das Wort „Seidenstraße“ bezeichnete insgesamt das Hin- und Her von Kulturen, Wirtschaftsgütern, Religionen im großen Stil über verschiedene Landrouten wie auch Meere, Kanäle, Binnenseen.

Der Titel der Ausstellung lässt Viele ebenfalls sofort an die „Neue Seidenstraße” („One belt - One road“) denken, die durch Xi Jinpings‘ Forcierung seit ca. zwei bis drei Jahren immer präsenter wird, je konkreter sie wird, je mehr sie an allen möglichen Orten der Welt reale Gestalt anzunehmen beginnt ....

Nein, hier ist nicht die „Neue Seidenstraße“ das Hauptthema, deren Darstellung wäre eine sehr große künstlerische wie sozial-gesellschaftliche Aufgabe.

Hier geht es sehr wohl jedoch um Assoziationen und schöpferischen Kräfte, die die individuelle Begegnung mit der „alten Seidenstraßen“, besonders in den Gebieten Xinjiang und Gansu in der VR China bei Künstlerinnen und Künstlern ausgelöst haben. Die künstlerischen Aspekte kommen nämlich heute, da nahezu alles und jedes vornehmlich unter der Sichtweise der Ökonomie (Strategie, Macht etc.) betrachtet und gewertet wird, erheblich zu kurz.

Daher war mein Anliegen, Künstler*innen einzuladen, die sich persönlich auf der Seidenstraße aufgehalten und diese erfahren oder sich mit ihr und der Bewegung Ost – West / West – Ost auseinandergesetzt haben.

Mir ging es auch darum, dass die Arbeiten der Künstlerinnen nach Möglichkeit korrespondieren und sich ergänzen, wiewohl man das nicht gänzlich planen kann. Auch sollten unterschiedliche Herangehensweisen und Medien zum Zuge kommen. Ich möchte Ihnen die KünstlerInnen etwas vorstellen, ohne dem eigenen Wahrnehmen zuviel vorweg-zunehmen oder es zu verstellen:
Beginnen möchte ich mit der größten Arbeit hier; es ist die große Karte „China-Arabs“ des chinesischen Künstlers Qiu Zhijie, der diese Arbeit eigens für diese Ausstellung gemacht hat. Er wollte die Vernissage von Venedig aus kommend wahrnehmen, musste seine gesamte Reise aber leider in letzter Minute absagen.

Ich kenne Qiu Zhijie schon seit seinem zweiten Semester 1991 an der Kunstakademie in Hangzhou. Dort stieß ich auf ihn, als ich damals für die Recherche zur Ausstellung „China Avantgarde“ in Berlin 1993 unterwegs war. Qiu Zhijie ist ein Mehrfachtalent und hat in den 90er Jahren für die chinesische Videokunst, in der chinesischen Gegenwartsfotografie wie auch im kuratorischen Bereich Bahnbrechendes geleistet. Damals noch als unabhängiger und freigeistiger Kurator.

Seit 2002 hatte er in Hangzhou eine Professur für Experimentelle Kunst inne und war 2012 künstlerischer Leiter der Shanghai Biennale. Seit wenigen Jahren ist er Dekan an der CAFA (der Kunstakademie) in Beijing, was mit einer noch größeren Nähe zu Partei und zur Bürokratie verbunden ist.

Ich freue mich sehr, dass er eine so große Arbeit speziell für diese Ausstellung gemacht hat. Es handelt sich um eine Mind Map, eine Art von geistiger Landkarte, wie sie der Künstler seit 2012 zu bestimmten philosophischen oder politischen Begriffen immer wieder entwickelt hat. Zu jedem Thema wird ausführlich recherchiert und Begriffe aus vielen verschiedenen Sparten wie Philosophie, Geschichte und Politik quer durch die Jahrhunderte in die geographische Karte eingeschrieben. Manchmal sind es Phantasiekarten zum Beispiel zu dem Begriff der „Utopie“ oder zur “Total Art“ - hier ist es eine Karte , die von der Ostküste Chinas sowie den südlichen Ländern Indonesiens und Malaysias bis hin zum Suez-Kanals und den Küsten Afrikas geht. Im Norden reicht sie bis nach Russland und Europa. Die Größenverhältnisse stimmen jedoch nicht, sondern es geht hier um individuell hervorgehobene Bedeutungen. Wie der Titel sagt, geht es besonders um die arabisch-chinesischen Beziehungen. Der Künstler hebt sehr auf die Verbreitung des Islams durch die Jahrhunderte in China und dem asiatischen Raum ab. Es ist z.B. höchst interessant, dass es chinesische Kaufleute waren, die sich früher selbst islamisiert haben, dadurch, dass sie lange im Ausland blieben, bevor sie mit ihren Handelsschiffen wieder nach Hause fahren konnten. Ganz unterschiedliche Begriffe aus der Tagespolitik, Geschichte, Philosophie durch die Jahrhunderte sind individuell ausgewählt und eingezeichnet. Es gibt auch Phantasie-Bezeich-nungen, wie z.B. das „Gebirge des Imperialismus“ mit Stichworten zu den Invasionen in Afghanistan. Es würde hier zu weit führen, alles aufzuzählen, aber es ist eine äußerst spannende, auch humorvolle Karte, die man stundenlang betrachten kann. Sie zeigt, dass es immer ein Hin - und Her von Migrationen und von Kulturbewegungen gegeben hat und dass wir heute leider viel eher in Nationalismen und Fanatismen erstarrt sind, die nicht zum Positiven führen. Ich fahre fort mit der Arbeit von Susanne Jung:

Auf einer Reise entlang einiger Orte der alten Seidenstraße besuchte sie 2014 in Gansu die berühmten Mogao-Höhlen von Dunhuang und kam mit uigurischen Künstlerinnen und Künstlern in Urumqi in sehr guten Kontakt. Dieser führte dazu, dass sie 2016 ihre abstrakten Malereien im Museum in Urumqi ausstellen konnte. Bei dieser Gelegenheit besuchte sie weitere Höhlen, u.a. die wenig bekannten, aber umso besser erhaltenen von Yulin (dort sind z.B. die organischen Farben wie Gelb und auch das Weiß gut erhalten, da sie lange verschüttet und daher nicht durch Oxidation verschwärzt oder verändert waren) und die Höhlen von Kizil in der Kuca-Region in Xinjiang. Die Malereien und Skulpturen in den Höhlen sind die Umsetzung buddhistischer Texte in die Narration, oft mit Buddha als zentraler Gestalt. Das Zentralistische in diesen Höhlendar- stellungen sowie die gelungene Verbindung eines kleinen Raumes mit bemalter Skulptur und Malerei sowie der offensichtliche Teamgeist bei der Erstellung haben Susanne Jung stark beeindruckt und bilden wiederum Aggregate für ihre eigene Arbeit. Jung hat nun die realen Formen wiederum in die Abstraktion von Quadrat und Rechteck überführt und verwendet dabei die beein-druckenden Farben sowie die chinesische Tradition des Rollbildes. Als zarten Hinter- grund hat sie zum ersten Mal die Vorlage der Photographie einer Deckenkomposition auf Vliestapete genutzt, auf die die Leinwandrolle mit verschiedenen Lagen (von Außen nach Innen: Leinwand, Grundierfarbe, Tuschefeld) und der zentralen Komposition mit den lichten leuchtenden Farbrechtecken in Öl angeordnet ist, die die Heiterkeit und Lichtheit der Originale widerspiegeln sollen.

Susanne Jung danke ich außerdem ausdrücklich dafür, dass sie den Kontakt zu der uigurischen Künstlerin und Kunstvermittlerin Merhaba Schaich in der Schweiz hergestellt hat.

In der Mitte des Raumes finden Sie die Vitrinen mit den Arbeiten der Künstlerin Beate Terfloth. Beate Terfloth beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Verhältnis Ost - West/ West - Ost und dies in unterschiedlichsten Konstellationen. Sie ist in Hong Kong geboren und sowohl dort wie auch später in Pakistan aufgewachsen und hat an beiden Orten Einflüsse erfahren, die für sie wichtig wurden. Seit Jahren reist sie immer wieder nach Asien, besonders nach Pakistan (zur Recherche oder zur Lehre) oder auch in den Iran. Sie ist stets offen für neue Denk-und Sicht- weisen. 2014 hielt sie sich für einen Gastaufenthalt mehrere Monate an der Zentralen Kunst- akademie in Beijing (CAFA) auf und hat in diesen Monaten mehrere Bücher und Leporelli mit dem Titel „Die Reise nach Osten“ geschaffen, von denen sie hier zwei in eigens dafür gebauten Vitrinen zeigt, die sich als skulpturales Element in den Raum einfügen. Ihr Thema ist seit Jahrzehnten die Linie, die sie hier, auf chinesische Art, d.h. auf Xuan-Papier mit chinesischer Tusche und mit dem Pinsel gezogen, auf die ihr eigene Weise, wie Sie selbst sehen warden - von links nach rechts - gezeichnet hat. Durch Umblättern oder Ausfalten entstehen wunderbare Bewegungen der Linien, die auf dem Monitor ebenfalls zu betrachten sind. (Wegen der Verletzlichkeit der empfindlichen Papiere ist an ein Umblättern durch die Besucher leider nicht zu denken). Das Gehen und Wandern von einer Kultur zur anderen, das „Sich-weiter-Entwickeln“, um „Bei sich selbst anzukommen“ und sein zu können, wird hier exemplarisch vorgeführt.

Auch bei Bignia Wehrli bilden Möbel, Zeichnung und Buch eine künstlerische Ausstellungs-Einheit. Bignia Wehrli hat ab 2005 mehrere Jahre in der VR China studiert und ist immer wieder als Künstlerin in China, wenn sie nicht gerade in Hannover oder auch als Gastdozentin andernorts lehrt. Sie beschäftigt sich in ihren filigranen, poetischen Arbeiten mit dem Wandern, Laufen, Durchqueren und dem Vermessen von Städten wie auch von Landschaftsgebieten.

Was wir heute hier unter dem schönen poetischen Titel „Wie schwer ist der Weg von Hangzhou nach Berlin“ sehen, bzw. vor allem auf der Bank sitzend in Ruhe lesen und anschauen können, ist der Bericht der Abschiedsreise, des Umzugs der Künstlerin von Hangzhou nach Berlin. Die schweren Sachen waren in Kisten versandt und die Künstlerin begab sich auf die Reise nach Deutschland, allerdings auf ungewöhnliche Weise: Sie versuchte von Hangzhou über eine Route der Seidenstraße über Tadschikistan, Usbekistan und Russland auf dem Landweg nach Berlin zu reisen. Das gelang wegen eines gestohlenen Passes auf der russischen Strecke nicht ganz, aber doch nahezu. Die Idee, die die Künstlerin bewegte, ist, wie schwer wohl ein Seidengarn von Hangzhou nach Berlin über Land ausgerollt sein würde. Versucht man, sich dies vorzustellen und zu realisieren, würde das Gewicht über 2 Tonnen betragen. Also ein Ding der schönen Unmöglich- keit.

Entstanden ist jetzt ein faszinierender tagebuchartiger Bericht über 52 Reisetage mit eigenen s/w Fotografien ergänzt. Auf den Blättern werden neben den jeweiligen, unterschiedlich langen Berichten oder dem Schweigen jeweils die Fadenmeter/Kilometer addiert sowie die Schlafrichtung festgehalten. Bignia Wehrli wird am 14.06.2019 noch eine Lese-Performance durchführen, zu der ich Sie sehr herzlich einlade.

Die Video-Arbeit von Dorothea Nold ist oben auf der Empore zu sehen.
Auch Dorothea Nold hat in China gelebt, nämlich 2010 für ein Jahr als Studentin in Xian. Allerdings ist dieser Aufenthalt nur einer von vielen internationalen Projekten (Armenien, Afghanistan, Mali, Lettland etc.). Sie arbeitet als Bildhauerin ebenso wie als Keramikerin oder als Videokünstlerin und ist künstlerische Leiterin der alpha nova @galerie futura, Berlin, die als Ausstellungs- und Veranstaltungsort unter einer genderkritischen Perspektive an den Schnitt- stellen von Kunst, Wissenschaft und politischer Praxis arbeitet.

Dorothea Nold hat ebenfalls die Seidenstraße bereist und sich unter anderem im Grenzgebiet zwischen Kirgistan und China aufgehalten. Ihre 10-minütige Videoarbeit ist das Dokument eines Nachmittags in einem Freizeitpark in Tashkurgan, einer chinesischen (Grenz)Stadt und altem Ort auf der nördlichen Seidenstraße auf 3300 m Höhe. Ich zitiere hier die Künstlerin selbst: „Die direkte Durchreise nach Tadjikistan und Pakistan - somit eine wichtige Handelsroute nach Zentralasien - fand und findet wieder von dort aus statt. Die Durchreise geht oftmals weiter nach Kasghar. Kirgistan und Afghanistan sind nicht weit weg. Die Stadt ist nicht besonders gefällig. Sie hat weder besonders hervorhebenswerte Baudenkmäler, noch besitzt sie einen schönen Stadt- kern. Sie ist vielmehr ein typische Grenzstadt - ein Schmelztiegel, ein Ort, an dem verschiedene Ethnien und Nationalitäten aufeinandertreffen, um miteinander geschäftlich in Verbindung zu treffen. Im extremen Kontrast dazu erscheint der relative neu gebaute Stadtpark im unteren Teil von Tashkent, in der Nähe des alten Forts. Die Videoarbeit ist das Dokument eines Nachmittags auf dem weitläufigen, mit Wasserrädern und Pfahlwegen inszeniertem Gelände. Einheimische und Händler, Touristen und Reisende erholen und begegnen sich dort vor einer eindrücklichen Bergkulisse. Die Videoarbeit ist die Beobachtung vom Beobachtern, ruhige Bilder portraitieren Menschen, die den Park besuchen und seine Wege, und kommt denen nahe, die selbst andere beobachten. Das Betrachten ist das zentrale Thema, anhand dem subtil kleine Geschichten erzählt werden: Die des Aufeinandertreffens, des Begegnens und Zusammenfindens.“

Meine (Andreas Schmids) eigene Arbeit hat den Titel „Verschwinden erinnern“ und das ist es, was mich nach Jahrzehnten sehr beschäftigt. Ich war drei Mal in Xinjiang. Zweimal als Student für jeweils über einen Monat in den Jahren 1985 und 1986 und dann 1989 nochmals beinahe einen Monat als Leiter einer kleine Reisegruppe. Die Stadt Kashgar, Turfan und die Höhlen in Dunhuang habe ich mehrmals besucht. In Erinnerung geblieben sind mir ganz besonders die Freundlichkeit der Menschen, sowohl die der Minderheit der Hui (die in der Yuan-Dynastie in Fujian z.B. noch eine sehr große Rolle spielten) als auch der Uiguren. Sehr beeindruckt haben mich z.B. auch der große Markt von Kashgar; er galt damals als der größte und schönste Zentralasien, was ich wirklich bestätigen kann, außerdem wunderbare Moscheen und natürlich die grandiosen, weiten Land- schaften, in denen man zum Teil über 200 km weit Richtung Tibet oder Pakistan etc. schauen kann. Damals brauchten wir, meine zwei japanischen Studienkollegen und ich, noch ein Spezial- visum wegen der Grenzregion nach Pakistan ...

Schon in den 90er Jahren wurde dieser berühmte Markt in Kashgar auf chinesische Anweisung hin leider völlig verändert, reguliert und parzelliert. Der ganze Reiz, das Flair war weg. Nach dem, was ich von Augenzeugen lese und höre, soll offensichtlich die existierende Kultur nicht nur massiv verändert, sondern nahezu ausgelöscht werden. Diese Veränderungen werden heute mit dem Terrorismus-Argument begründet. Im Moment sind 80 % des alten Kashgars vernichtet, ca. 1 Mill. Menschen werden in Lagern „umerzogen“...

Meine Arbeit ist eine Collage von teilweise überarbeiteten Kopien von einem Reisefoto aus dem Zug und Fotografien von unterschiedlichen Menschen (einem Jungen in einer Schmiede in Kashgar, Moslems vor einer Moschee und Reiter auf der Seidenstraße auf dem Weg nach Palistan im Muztagata - Gebiet). Durch die Bearbeitungen und die Kombinationen wird eine Moment- aufnahme des Verschwindens dieser Realitäten erzeugt wie auch eine Drehbewegung d.h. eine Weiterentwicklung suggeriert, die im Nichts wie im hypermodernen Ausbau der „Neuen Seidenstraße“ liegt und von der man nicht weiß, was sie weiter bringen wird.

Der Loop von ausgewählten Kunstwerken uigurischer Künstler*Innen, zusammengestellt von Merhaba Schaich ist ebenfalls oben auf der Empore zu sehen.

Merhaba Schaich, die als Uigurin seit wenigen Jahren in der Schweiz lebt, hat noch in Xinjiang 2013 die Künstlergruppe „Art100“ gegründet, die sich zu Beginn über eine Social-Media Plattform formiert hat. Ihr gehören alle möglichen an Kunst interessierten Menschen an, die an Wissens- transfer interessiert sind. 2015 hat diese lose Vereinigung eine erste Ausstellung in Berlin gemacht. Merhaba Schaich lebt seit 2010 in der Schweiz. Sie ist selbst nicht nur Künstlerin, sondern auch Kunstvermittlerin, die sich seit Jahren um eine Aufarbeitung der uigurischen Gegenwartskunst bemüht. Da es völlig unmöglich ist, Kontakt zu uigurischen Künstlerinnen und Künstlern herzustellen, ohne diese und ihre Familien in hohem Maße zu gefährden, zeigen wir hier eine von Merhaba Schaich getroffenen Auswahl von uigurischen Künstlerpositionen, die als Loop gezeigt werden. Merhaba Schaich wir am 23.06. einen Vortrag zur uigurischen Kunst und der Situation im Lande halten, den ich Ihnen auch sehr empfehlen möchte. Die Begleitveranstaltungen sind ein fester Teil dieser Ausstellung, allen voran der Vortrag am 23.06. von Merhaba Schaich über die uigurische Gegenwartskunst, über die Situation, in der sie entsteht bzw. entstand, über Künstlerinnen und Künstler in Xinjiang.

Dieser Vortrag findet aus Termingründen zwar erst am Tag der Finissage statt, ist jedoch eine ganz wichtige Informations- quelle aus erster Hand für uns.

Bignia Wehrlis Lese-Performance ist der lebendige Teil ihres Kunstwerks, das Sie hier im Stillen für sich „erlesen“ können, das durch die Künstlerin aber in ganz aktiver eigener Weise zum Klingen kommen wird.

Diese Performance ist am 14.06. gekoppelt mit einer Lesung der Sinologin und Kulturvermitt- lerin Eva Luedi. Sie hat Jahrzehnte in China, speziell in Hangzhou an der Kunstakademie als Lehrende für chinesische Philosophie verbracht und ist erst vor zwei Jahren wieder in die Schweiz zurückgekehrt.

Eva Luedi ist eine der tiefsten Kennerinnen der klassischen chinesischen Sprache und Philosophie, die ich kenne. Sie hat für die erste vollständige Übersetzung des „Romans“ „Die Reise in den Westen“ den Leipziger Übersetzerpreis bekommen und wird hier einen Vortrag mit dem Titel „Der heilige Westen – Die Reise von China nach Indien in Jahrhunderten der Fiktion“ halten. Ich möchte Ihnen diesen Vortrag ebenfalls wärmstens anempfehlen.

Am 07. Juni wird der Journalist und Schriftsteller Kai Strittmatter über die gegenwärtige politische Situation in Xinjiang und die Entwicklung innerhalb der chinesischen Partei und Gesell- schaft vortragen. Vielen Lesern der Süddeutschen Zeitung ist er mit seinen humorvollen wie kenntnisreichen Artikeln nicht nur, aber besonders über China in Erinnerung. Vom Feuertopf über nachbarschaftliche, humorvolle, kleine Besonderheiten hat er immer klug berichtet. Die zuneh- mend schwierigere Situation für liberalere Geister in China hat ihn letztes Jahr zur Ausreise bewogen und nun berichtet er vornehmlich über die nordischen und baltischen Staaten Europas. Er hat aber ein, wie ich finde, erschreckendes und provozierendes Buch über die „Neuerfindung der Diktatur“ in China geschrieben, in dem auch die Situation in Xinjiang beschrieben wird. In seinem Vortrag wird er darauf noch genauer eingehen.
Wie gesagt, Ihnen allen seien diese Veranstaltungen sehr ans Herz gelegt.

Ich möchte mich zuletzt noch einmal ganz herzlich bei der Crew des Kunsthauses, Annette Jahnhorst, Susanne Wehr, Christoph Sorgenfreyi für ihren Einsatz bedanken, der wie üblich, weit über ihr Deputat herausgegangen ist, um diese Ausstellung, so wie sie dasteht, zu ermöglichen. Die Selbstausbeutung der Kultur ist leider eine Selbstverständlichkeit. Dazu würdige ich die ehrenamtliche leidenschaftliche Arbeit von Frau Dr. Möckel, die als Vorsitzende des Vereins immer dann da ist, wenn es wirklich mal „brennt“. Ganz besonders auch möchte ich mich bei Herrn Biedermann vom Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz bedanken.

Herr Biedermann stand von Anfang an dieser Ausstellungsidee sehr aufgeschlossen gegenüber und hat uns ermutigt, dieses Projekt anzugehen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen viel Freude und Erkenntnis beim eigenen Schauen.

Andreas Schmid