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Konsequent, jedoch immer wieder überraschend beschreitet die Künstlerin Candice Breitz (*1972 in Johannesburg, Südafrika) ihren künstlerischen Weg, welcher zunächst mit collageartigen Fotografien (Rainbow Series, 1996) beginnt und sich Ende der 1990er-Jahre dem bewegten Bild zuwendet. 2005 gelang ihr auf der Biennale in Venedig mit ihrer Videoinstallation Mother + Father, einem auf klischeehafte Szenen zusammengeschnittenen Porträt der durch das Hollywood-Kino propagierten Elternrollen, der Durchbruch. In der für die Künstlerin charakteristischen Methode von Montage und Collage liefern teils neue Aufnahmen, teils bereits vorhandene Filme das Ausgangsmaterial, das sie digital bearbeitet und nach einem eigenen Drehbuch neu strukturiert, formt und schneidet. Breitz’ technisch ausgefeilte und inhaltlich komplexe Videoarbeiten behandeln und durchleuchten die Erzählstrukturen des Hollywood-Kinos, gelebte Fankultur sowie die Position des Individuums in der medialen Massengesellschaft.

In der Arbeit Him, 1968 –2008, beispielsweise verwebt die Künstlerin 23 Filmrollen des Schauspielers Jack Nicholson aus seiner 40-jährigen Karriere. Die filmischen Fragmente lassen den Schauspieler in einen kaleidoskopischen, schizophrenen Dialog mit sich selbst treten. Während die männlichen Figuren in Him sich mit Fragen der Selbstdefinition und der sexuellen Leistung herumschlagen, wird das Selbstwertgefühl der weiblichen Figuren in der Arbeit Her, 1978 –2008 (einem Dialog zwischen 28 Rollen der Schauspielerin Meryl Streep), durch ihre Beziehungen zu anderen Menschen in ihrem Leben bestimmt.

Candice Breitz untersucht in ihren aufwändigen Videoinstallationen – aus zahlreichen Monitoren oft zu Bildschirmwänden arrangiert – die Massenwirksamkeit von Popkultur und fragt nach Mythos, Idol, Projektion und Identität. Ihre Darstellungen von Popmusik-Fans bewegen sich zwischen der Bestätigung und der Persiflage von Stereotypen, zwischen gesellschaftlichen Konventionen und den kreativen Möglichkeiten, der eigenen Identität in unserem Zeitalter Ausdruck zu verleihen.             Das Kunsthaus Bregenz zeigt einige ihrer bekanntesten großformatigen Videoinstallationen sowie neue, in Europa erstmals ausgestellte Werke. Ein besonderer Höhepunkt ist die Premiere der für die Ausstellung geschaffenen Videoinstallation New York, New York, 2009, einer Koproduktion von Performa 09, New York, und dem Kunsthaus Bregenz.


New York, New York basiert auf der Aufzeichnung der ersten Liveperformance vor Publikum, die Candice Breitz je realisiert hat. Am 12. und 13. November 2009 präsentierte die Künstlerin im Abrons Arts Center, New York, eine improvisierte Performance mit zwei beinahe identischen Besetzungen, bestehend aus vier eineiigen Zwillingspaaren, die jeweils auf zwei Gruppen mit je vier Darstellern aufgeteilt wurden. Den Aufführungen gingen intensive Sitzungen voraus, in denen Breitz die Zwillingspaare separat aufforder te, eine Rolle zu erarbeiten, welche beide Geschwister getrennt voneinander auf der Bühne spielen sollten. Diese wurde von beiden Zwillingen konsequent dargestellt, wenn auch getrennt voneinander in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden improvisierten Performances, bei denen sie erstmals auf die jeweils anderen in derselben Form entstandenen fiktionalen Charaktere trafen.


Breitz schuf für die zwei vollkommen unterschiedlichen Performances die absolut gleichen Voraussetzungen mit gleichen Charakteren, gleich aussehenden Darstellern und demselben Bühnenbild. Mit New York, New York überträgt Breitz die Erkundung von Gleichheit und Ungleichheit, die für ihre bisherigen Videoarbeiten (zuletzt Factum) zentral war, in den Bereich der Liveperformance und verbindet ihr Interesse daran, was sie einmal »das Leben nach Drehbuch« genannt hat, mit ihrer Auseinandersetzung mit dem fragilen Zustand der Individualität.


Eine zentral positionierte Kamera hat die Improvisationen in einer nahtlosen Aufnahme festgehalten. Im Kunsthaus Bregenz wird New York, New York als zeiteilige Videoinstallation gezeigt.           Der erste Teil umfasst vier Kurzfilme, welche die Charaktererarbeitung der einzelnen Zwillingspaare dokumentieren. Der zweite Teil der Installation besteht aus zwei großformatigen Projektionen, die, in ihrer Anordnung an ein Stereoskop erinnernd, die Liveperformances dokumentieren, welche, nebeneinander gezeigt, den Konflikt zwischen den Vorgaben und dem tatsächlich entstandenen Stück verdeutlichen. Weitere Werke der Ausstellung im Kunsthaus Bregenz sind die Videoinstallationen Working Class Hero (A Portrait of John Lennon), 2006, Him + Her, 1968 – 2008, sowie Arbeiten aus der neuen Reihe Factum, 2009.

Factum, der Ausgangspunkt für Breitz’ Liveperformance New York, New York, beschäftigt sich mit Identität in einer Gesellschaft, die vornehmlich die Individualität des Einzelnen zelebriert und immer wieder hervorkehrt. Für die Arbeit hat Candice Breitz im Sommer 2009 mit mehreren eineiigen Zwillingspaaren intensive Einzelinterviews geführt und diese aufgezeichnet. Nach den fast identischen Gemälden Factum I und Factum II von Robert Rauschenberg aus dem Jahr 1957 benannt, die sich auf den ersten Blick nicht auseinanderhalten lassen, bei genauerer Betrachtung aber Unterschiede zeigen, besteht Breitz’ Factum aus Erzählungen eineiiger Zwillinge aus Toronto. Die Zwillinge erscheinen in einem Doppelporträt auf zwei nebeneinander angebrachten Monitoren und wirken durch die gleiche Kleidung und den gleichen Hintergrund wie eine Art bewegter Rorschachtest. Breitz hat mit jedem Zwilling einzeln über dessen Leben gesprochen und die gleichen Fragen gestellt. Durch die Art des Schnitts setzt sie die Worte und individuellen Gesten der Zwillinge in Kontrast zueinander, wodurch Parallelen, aber auch Abweichungen sichtbar werden. Die Kang- Schwestern im Collegealter sind zum Beispiel anderer Meinung, als es darum geht, ob eine der beiden zur anderen aufgesehen hat, während zwei fast Achzigjährige einander entsprechende Geschichten über im Lauf der Jahre durchgeführte Schönheitsoperationen erzählen, die nicht zu ganz denselben Ergebnissen geführt haben. Jedes Doppelporträt, welches etwa eine Stunde dauert, beeindruckt durch die eloquente Schnitttechnik der Künstlerin und berührt durch die Intensität der Beziehung der Zwillinge zueinander und die dadurch entstehende Sicht der Welt.          

Die Videoinstallation Working Class Hero (A Portrait of John Lennon) zeigt eingefleischte John-Lennon-Fans bei der Interpretation seines ersten Soloalbums John Lennon/Plastic Ono Band (1970). Das Album befasst sich mit den traumatischen Erfahrungen in Lennons Kindheit und ist unter dem Eindruck der Janov’schen Urschreitherapie entstanden. Lennon schreit seine Wut und Verzweiflung heraus, und 25 Fans, welche von Breitz unter zahlreichen Bewerbern auf ihre Anzeigen in Fanmagazinen hin ausgewählt worden sind, präsentieren nun ihre persönliche Interpretation des Lennon-Albums. Man fühlt den Schmerz, die Bedeutung der Lieder und der Person John Lennons für jeden Einzelnen, der von der Künstlerin jeweils für sich separat in einem seiner vielleicht intimsten Fanmomente gefilmt wurde. Den Betrachter erwartet ein 25-köpfiger A-cappella-Chor, welcher die Einzelinterpretationen der Fans, die vornehmlich aus England, Wales und Schottland stammen, zusammenfügt und in der Gesamtlänge des Albums von 39 Minuten und 55 Sekunden auf 25 Flachbildschirmen in einer Endlosschleife zeigt. Working Class Hero ist Breitz’ viertes Porträt eines Popstars, seiner Musik und Fans. Vorangegangen sind ihm Legend (A Portrait of Bob Marley), 2005, Queen (A Portrait of Madonna), 2005, und King (A Portrait of Michael Jackson), 2005. In ihrer Gesamtheit stellen die Porträts eine laufende Bestandsaufnahme der Entwicklung der Fankultur sowie der subtilen Projektions-, Identifikationsund Konsummechanismen dar, die für die Beziehung zwischen Ikonen und ihrer Anhängerschaft charakteristisch sind.              

Candice Breitz hat an der Universität von Witwatersrand (Johannesburg), an der University of Chicago und an der Columbia University studiert und am Whitney Independent Studio Program des Whitney Museum in New York teilgenommen. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen gezeigt worden: New Museum (New York), Castello di Rivoli (Turin), Palais de Tokyo (Paris), Modern Art Oxford (Oxford), De Appel (Amsterdam), Moderna Museet (Stockholm). Sie hat an Biennalen in Johannesburg (1995), São Paulo (1998), Istanbul (1999), Kwangju (2000), Taipeh (2000) und Venedig (2005) teilgenommen. 2007 wurde Breitz mit dem Prix International d’Art Contemporain der Fondation Prince Pierre de Monaco ausgezeichnet. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin und hat eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig inne.              

KUB Billboards Seestraße Candice Breitz The Scripted Life 18. Januar bis 11. April 2010 Für die KUB-Billboards wählte Candice Breitz Fotos mit Doppelporträts der fünf Zwillingspaare aus, die in der vom Kunsthaus Bregenz mit Performa 09 in New York koproduzierten Arbeit New York, New York mitgewirkt haben. Zusätzlich zeigt die Künstlerin ein Standfoto mit allen fünf Zwillingspaaren im Set der Arbeit New York, New York, die als Premiere in der Ausstellung im Kunsthaus Bregenz zu sehen sein wird.