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Aus den Angeln gehobene Augenblicke

Ulu Braun und Roland Rauschmeier arbeiten seit 1997 als BitteBitteJaJa zusammen. Nach einer Reihe von Büchern und Grafiken fokussiert sich ihre Kollaboration auf "Cadavre Exquises", das sind Grafiken, die abwechselnd auf gefaltetem Papier ergänzt werden, ohne die Zeichnung des anderen gesehen zu haben. Die nicht geplante oder intendierte Kombination von Bild und Text resultiert in Sätzen wie „Kenneth Anger hält sich eine Wurmfamilie in Calgary”, “Der Durstende heilt kranke Spargel im türkischen Gebirge”, oder “Die Kastanienpflückerin fand die Liebe ihres Lebens”. Der auf den ersten Blick fehlende Sinnzusammenhang bewegt die Assoziationstätigkeit der BetrachterInnen und eröffnet eine nicht absehbare poetische Dimension.

Die bis heute ungefähr 500 Arbeiten sind Ausgangspunkt der hier gezeigten Videocollagen. Das Filmmaterial entstammt einem Archiv, das die Künstler im Lauf der Jahre aus Fernsehsendungen, Kinofilmen, Videoclips und Found-Footage zusammengetragen haben, unter anderem aus Fernsehserien wie Deep Space Nine oder Tierdokumentarfilmen. Die Tonspur wurde bei Bedarf durch Geräusche ergänzt, oder stummes Bildmaterial mit einer Tonspur aus dem Soundarchiv ergänzt. In der Ausstellung laufen die Arbeiten mit Ton, sind aber auch ohne Ton zugelassen. Den Besuchern wird auf diese Weise signalisiert: „Kuckt euch die Arbeit mit oder ohne Ton an, ist beides möglich.“ Das gefundene Bildmaterial wurde durch Videodokumentationen von performativen Aktionen der Künstler ergänzt, deren surreale Grundstimmung und Verwendung von Maskerade sowie alltäglicher Objekte in der Zusammenschau mit den ausgewählten Filmfragmenten unvorhersehbare Momente der Stämmigkeit und Korrespondenz ergeben.

So bedient eine sterbenstraurige Katharine Hepburn, in eine rot glänzende Bomberjacke gekleidet und deren untere Hälfte in einen steinernen Meerjungfrauensockel mündet, den Tränen nahe eine Kaffeemaschine, deren brennende Zündschnur bedrohlich zischt. Sie ist am Rand eines von hinten beleuchteten Springbrunnenbeckens festgebunden, dessen Wasseroberfläche im Hintergrund glitzert. Die angespannte Atmosphäre wird von Geräuschen wie gelegentlichem Kinderschreien oder splitternden Glase zugespitzt. Sie scheint einzig Trost aus der verlässlichen Funktion des weißen Haushaltsgeräts zu ziehen, das sie hin und wieder geistesabwesend streichelt, der sicheren Explosion gefasst entgegenblickend. In einem anderen tableau vivant sitzt ein im Gesicht mit weißer Creme beschmierter Mann klagend und Milch sabbernd auf maskierten Huckepackmenschen, die in einer Zinnbonbonniere dahin galoppieren. Dabei füttert er einen gelben Kanarienvogel, den er in der Hand hält mit Kartoffelchips. Sein Klagen hat kein Ende und die Last der Erfüllung aller Wünsche spiegelt sich in jedem seiner gepeinigten Blicke.

Durch ihr Spiel auf der unendlichen Klaviatur von Bildmaterial, das sich vor unseren Augen auch außerhalb der Galerieräume, bei der Arbeit, im Kino, im urbanen Raum oder beim Blättern in Magazinen, in einer unendlichen Abfolge von fragmentierten Elementen entfaltet, locken die Künstler den Raum allgemeiner Erfahrung in die Galerieräume und spiegeln den Blick der BesucherInnen in den gezeigten Projektionen wider. Dabei lesen sich die Videoprojektionen wie eine Übersetzung der Arbeit der fiktiven französischen Dichterin Danielle Sarréra ins Visuelle: „Ich bin schlüpfrig wie ein Fisch und der Fluss wird mich niemals zugleich mit der Trägheit des Wassers ins Meer spülen.", „Ich lecke mein Geschlecht in einer Stellung von Zirkusleuten, und das lohnt die Mühe! Denn (um es nicht länger zu verhehlen) ich bin nie glücklich bei einem Liebesakt; ich tue nur so, damit der andere es sei.“ Und während die Videocollagen den BetrachterInnen eine Vertauschung ihrer Innen- und Außenwahrnehmung vorschlägt, legt diese Erfahrung gleichzeitig innen liegende Masken frei. Ganz so, wie zu versuchen, direkt aus dem Augenwinkel zu blicken.

Die „Cadavre Exquis Vivant“ wurden erstmals Ende letzten Jahres im Rahmen der „Videorama“ Ausstellung in der Kunsthalle Wien der Öffentlichkeit präsentiert. Momentan sind 5 Werke im Rahmen des "European Media Art Festivals" in der Kunsthalle Dominikanerkirche in Osnabrück ausgestellt. Ab Juni 2010 werden Sie im Museum der Moderne Salzburg zu sehen sein.

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Cadavre Exquis Vivant
BitteBitteJaJa  (Ulu Braun, Roland Rauschmeier)