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„Bring mir ein Gras vom Rand der Bildebene: II Kapitel“

Die im Atelier Frankfurt realisierte Ausstellung lädt die dort arbeitenden KünstlerInnen zur Interaktion mit den ausgewählten Arbeiten von KünstlerInnen aus Südafrika, Deutschland und Österreich ein. Die ausgewählten Arbeiten versuchen die derzeitigen Produktionsbedingungen zeitgenössischer Kunst zu thematisieren und die Rhetorik von Kulturaustausch und Interesse am Anderen zu hinterfragen. Die teilnehmenden KünstlerInnen werden eingeladen, sich direkt mit Arbeiten, die in einem anderen Kontext produziert wurden, auseinanderzusetzen und auf diese zu reagieren. Das Ausstellungsprojekt ist ein mehrstufiger Prozesses von wechselnden Orten und daraus resultierenden Konfrontationen.

Ursprünglich wurden die gezeigten Arbeiten von sieben deutsch/österreichischen KünstlerInnen (Catrin Bolt, Ulu Braun, Josef Dabernig, Niina Lehtonen-Braun, Lazar Lyutakov, Sissi Makovec, Katrin Plavcak, Isa Schmidtlehner) und fünf südafrikanischen KünstlerInnen (Sharlene Khan, Kemang wa Lehulere, Amos Letsoalo, Claudia Shneider) von Fouad Asfour für die Ausstellung "Bring mir ein Gras vom Rand der Bildebene" für Büroräume einer Firma in Weinheim kuratiert.

Saul Judd ist Urheber der Idee, diese Arbeiten als zweites Kapitel des Projekts in den Monaten Juni und July 2009 in den Arbeitsräumen der im Atelier Frankfurt arbeitenden KünstlerInnen auszustellen. Die aus diesem Prozeß resultierenden Arbeiten werden in die Ausstellung aufgenommen und da nach auf die Reise in Atelierräume in Johannesburg geschickt. Das dabei sich entwickelnde Ping-Pong-Spiel zwischen Johannesburg und Frankfurt wird auf andere Orten ausgeweitet, und weitere Akteure und Arbeiten involviert. Die Ergebnisse dieser Interaktion werden in den jeweiligen Stationen präsentiert werden.

Rückblick: 1.Kapitel

Die Gruppenausstellung „Bring mir ein Gras vom Rand der Bildebene“ präsentiert Arbeiten von jungen und etablierten KünstlerInnen aus Südafrika und Österreich. Die Diskussion um das Bild und bildkünstlerische Techniken hat in Kunstinstitutionen in Johannesburg und Wien eine lange Geschichte. Eine Gruppe von Wiener KünstlerInnen gründete 1897 den Künstlerverein „Sezession“ als Auflehnung gegen den vom Wiener Künstlerhaus gezeigtem Mainstream. Die Salonmalerei des Europa im 19. Jahrhundert lieferte mit saalfüllenden Ansichten des Orient, spektakulären oder belehrenden Szenen aus der Antike einen entsprechenden Hintergrund für die Repräsentation des europäischen Menschen der Kolonialzeit. In den Ausstellungsräumen der Sezession in Wien wird noch heute der Malereidiskurs kritisch weiter geführt. Die hier gezeigten KünstlerInnen haben an der Wiener Akademie für bildende Künste in unterschiedlichen Klassen studiert. Sie arbeiten nicht nur an der Frage nach dem, was in einem Bild zu sehen ist, sondern reflektieren auch die politische Rolle von Kunst und der Repräsentation von Kultur.

In Johannesburg ist die Geschichte der nicht-europäischen Malerei und Kunstproduktion mit der Gründung der „Bantu Men's Social Centres“ in 1924 verbunden. Diese Sozialzentren wurden vom Kolonialstaat Südafrika als Rekreationszentren für die schwarze Bevölkerung der Minenstadt gegründet. Seit 1952 wurde neben Boxen und anderen Sportarten in der Johannesburger Polly Street auch Musik und Kunst unterrichtet. Der südafrikanische Künstler David Koloane beschreibt diese Institution als Danaergeschenk: Einerseits wurde schwarzen KünstlerInnen ein Forum gegeben, in dem über Kunst diskutiert werden konnte, jedoch wurde kein formaler Unterricht in bildkünstlerischen Techniken geboten. Vielmehr wurden die Studierenden dazu ermutigt, ihre Gefühle und Intuition im expressiven Malstil auszudrücken. Diese Beschränkung rührte von der Idee der europäischen Kolonisatoren und Siedler, daß nicht-europäischen KünstlerInnen der Zugang zum rationalen Diskurs der modernen Kunst nicht möglich sei. Mit der Gründung der Rorke's Drift Art School in 1962 durch das Lutheranisch-Evangelische Zentrum für Kunst und Handwerk, sowie der Johannesburg Art Foundation (gegründet 1964 durch Bill Ainslie), wurde schließlich auch die formale Diskussion bildnerischer Techniken allen an Kunst interessierten zugänglich gemacht, unabhängig von Hautfarbe und Herkunft. Dieser Kontext spielt eine wichtige Rolle beim Verständnis der gegenwärtigen Arbeiten von südafrikanischen KünstlerInnen, die in nicht-gegenständlicher Malerei arbeiten. Vor allem junge und sich etablierende KünstlerInnen arbeiten in diesem Format, um nicht der Forderung des internationalen Kunstmarkts entsprechend „afrikanische Kunst“ zu produzieren, die sich mit sozialen Thematiken befassen soll, wie zum Beispiel HIV/AIDS, Kindersoldaten und Unterernährung oder Diktatur und Gewalt.

In dieser Ausstellung werden Arbeiten gezeigt, die sich Sehgewohnheiten brechen und beim Nebeneinanderstellen neue Blickwinkel vorschlagen. Die Suspendierung des sozio-politischen Kontexts macht den Blick frei auf die Spannung zwischen lokalen Bedingungen der Kunstproduktion und universalen Fragestellungen an bildkünstlerische Techniken. Die ausgewählten Arbeiten laden die Besucher dazu ein, andere Blickwinkel einzunehmen beim Betrachten dessen, was sich in der Welt als wahrnehmbare Realität vor ihnen ausbreitet. Sie zeigen Alltägliches und Ungewohntes sowie Ungesehenes und Gewöhnliches, und spielen auf diese Weise mit der formalen und inhaltlichen Ebene von Abbildungen. Durch verschiedene Strategien, die Sehgewohnheiten brechen, lenken sie den Blick fort von den dargestellten figurativen Elementen und zeigen, ganz wie bei optischen Täuschungen, dass das Auge ein eigenes Verarbeitungsorgan ist. Auf diese Weise werden nicht nur die herkömmlichen Begriffe des Konkreten und Ungegenständlichen hinterfragt, sondern auch die Relation der Betrachter zum Bild thematisiert.

Dieser Vorgang läßt sich anhand der Möglichkeit optischer Instrumente illustrieren, die fokussierte Reichweite der Bildebene zu begrenzen oder erweitern. Die Wahl der Blendenöffnung eines Fotoobjektives bestimmt die Tiefenschärfe der Bildebene und ist für das resultierende Bild entscheidend. Mit Hilfe dieser Technik, und entgegen der Sehgewohnheiten, können marginale oder schwer erkennbare Elemente in den Fokus des Bildes geschoben werden. Die Aufmerksamkeit der Betrachter kann so auf die Ränder der Bildebene gelenkt werden, aus dem Fokus des Blickes hinaus in Gegenden, wo das Abgebildete vom Bildrand abgeschnitten oder perspektivisch verkürzt erscheint und abstrakte Elemente im figurativen auftauchen. Bei naturgetreuen Abbildungen von alltäglichen Dingen kann dagegen die konzeptuelle Ebene die Oberhand gewinnen, die dann vom Dargestellten weg über den Bereich des grafisch darstellbaren hinaus weist. Ein Gras am Rand der Bildebene kann den Blick ablenken vom Zentrum und auf andere Dimensionen aufmerksam machen.