press release only in german

02.07.2022 - 31.08.2022
Eröffnung: 14.05.2022 um 16:00

Birke Gorm & Anaïs Horn: BLOOMING SIMULACRA
Wahrnehmungsaspekte
Aspects of perception

Kuratorin: Irmi Horn

Birke Gorm (DK) ist Artist in Residenz im kunstGarten und arbeitet hier mit Holz. Sie studierte an der Hochschule für bildenden Künste in Hamburg und an der Akademie der bildenden Künste Wien. Indem sie das Material von seiner Funktion löst, erschafft sie Möglichkeiten, neue Kontexte zu transportieren. Sie bearbeitet ihr Trägermaterial und kreiert ihre individuelle Bildsprache in ihren Serien. Hier: IOU.
Die vielen Kreaturen der fortlaufenden Serie IOU sind sich alle auffallend ähnlich. Sie sind nach demselben Rezept entstanden, und doch tragen sie alle individuelle, charakteristische Züge. Die Holzstücke stammen physisch aus dem Wald oder diesmal dem kunstGarten - einem Ort, der von vielen romantisch oder einigen wissenschaftlich als Natur betrachtet wird. Sie wurden von Hand gesammelt, eines nach dem anderen, durch selektive Suche nach spezifischen Eigenschaften. Das Scannen und Filtern der Vorräte des Unterholzes, gefolgt von Versuchen, den Charakter hervorzurufen, der scheinbar unter der Rinde lauert.
Der Ausdruck auf ihren Gesichtern ist einheitlich. Die Augen sind geschlossen - auf eine scheinbar friedliche Art und Weise, die aber gleichzeitig ein Vermeiden des Erlebens der Umgebung eingesteht. Die Zungen herausgestreckt, frech und unverschämt, aber auch die einzige Möglichkeit, den anderen die Hand zu reichen, denn allen diesen Wesen fehlen die Gliedmaßen. Sie interagieren nur über ihre Zungen miteinander, tragen, balancieren und halten sich gegenseitig fest oder klammern sich aneinander. Abhängigkeit, dargestellt in einer Weise, die sowohl lethargisch als auch leidenschaftlich verstanden werden kann. Der haptische handwerkliche Arbeitsprozess, den die Künstlerin vornimmt, stellt ein Gegengewicht zu vielen ihrer Bildmotive dar, die unsere heutige Leistungsgesellschaft veranschaulichen. In ihrer Arbeit setzt Birke Gorm die Autonomie des Materials ins Verhältnis zu geschlechtlich und historisch konnotierten Techniken und deren Ästhetik. Birke Gorm ist Anerkennungspreisträgerin des STRABAG Artaward International 2020. Material und Materialität stehen bei mir definitiv im Mittelpunkt. Ich arbeite so reduziert wie möglich und möchte jedes Detail verstehen – als Element in Zusammenhängen außerhalb meiner Praxis, sowie welchen Platz oder welche Rolle es in meinem Materialvokabular einnimmt. Außerdem ist mir wichtig, dass die Materialität in einem Verhältnis zu dem steht, was ich gestalte oder abbilde, und diesem etwas hinzufügt.

Birke Gorm (DK) is artist in residence at kunstGarten and works with wood here. She studied at the University of Fine Arts in Hamburg and at the Academy of Fine Arts in Vienna. By detaching the material from its function, she creates possibilities to transport new contexts. She works on her support material and creates her individual visual language in her series. Here: IOU.

The many creatures of the ongoing series IOU are all notably similar. They have been generated by following the same recipe, and yet they all carry individual, characteristic features. The pieces of wood physically derive from the forest and this time also from kunstGarten — a setting romantically considered nature - or also scientifically by some. Collected manually, one by one, through a selective searching for specific properties. Scanning and filtering the supplies of the undergrowth, followed by attempts of inducing the character seemingly lurking beneath the bark. The expression on their faces is uniform. Eyes closed — in what seems a peaceful manner, but concurrently admits to an avoidance of experiencing ones surroundings. The tongues stretched out, cheeky and impudent, but also the only possibility of reaching out to others, since all of these creatures are missing their limbs. They interact with one another only through their tongues; carry, balance and hold or hook on to each other. Dependency portrayed in a way, which can be understood both lethargic and passionate. The haptic craft process that the artist undertakes is a counterbalance to many of her pictorial motifs that illustrate our contemporary meritocracy. In her work, Birke Gorm sets the autonomy of the material in relation to gendered and historically connoted techniques and their aesthetics. Birke Gorm is the recognition prize winner of the STRABAG Artaward International 2020. Birke Gorm: Material and materiality are definitely at the centre of my work. I work as reduced as possible and want to understand every detail - as an element in contexts outside my practice, as well as what place or role it has in my material vocabulary. It is also important to me that the materiality relates to and adds to what I am designing or depicting.

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Anaïs Horn, geboren in Graz (AT), lebt und arbeitet in Paris (FR).
Mit einem Hintergrund in Literatur und Kommunikationsdesign schloss sie 2015 die Friedl Kubelka Schule für künstlerische Fotografie in Wien ab. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und Residencies, u.a. an der Cité Internationale des Arts, Paris (2017- 2018 und 2021) oder am ISCP New York City (2020, 2022).
In ihrer künstlerischen Praxis verwebt sie häufig Literatur/Text und Fotografie/Video/Zeichnung/Malerei und erforscht Momente der Intimität mit einem besonderen Interesse an Themen wie Liminalität und Coming-of-Age. Sie beobachtet Menschen und ihre Räume, überschreitet sanft Grenzen, öffnet das Private und macht Intimität zu einer sinnlichen Erfahrung. Dabei erforscht sie Zeit, Erinnerungen, Vergänglichkeit, den Körper und seine Spuren, das vorsichtige Eindringen in die Privatsphäre sowie die Ästhetik von Realität und Flüchtigkeit. Ihre Bilder nehmen Gestalt an - auf verschiedenen Oberflächen und in Objekten - und fügen sich oft zu raumgreifenden Installationen zusammen.
Das Künstlerbuch ist ein wichtiges Medium für ihre Arbeit: 2021 erschien ihr Fotobuch Fading bei DCV, Berlin, sowie Die Hand voller Stunden, so kamst du zu mir, das ihre Solo-Showbei Camera Austria, Graz, begleitete. Im Jahr 2020 erschienen ihre Künstlerbücher Je suis malheureuse et heureuse und How do you feel about "Lou"? (in Zusammenarbeit mit Eilert Asmervik) bei META/BOOKS, Amsterdam (metabooks.nl). Ihr Buch Je suis malheureuse et heureuse war auf der Shortlist für den Photo-Text Book Award beim Fotofestival Les rencontres d'Arles 2021 und in der offiziellen Auswahl des Oslo Fotobokfestival.

Anaïs Horn: Blooming Simulacra
Projektbeschreibung
Ein Lichtschein auf dem Faltenwurf, die Blüten im Dunkel versinkend, ist es Abendlicht, das durch einen zarten Vorhang streift, oder ist es das letzte Aufflackern einer Kerze, das dieses Bild erhellt? Wie still sind die Objekte in diesem Stillleben, wie tot ist die Natur in dieser Nature Morte? Das radikale Denken (Baudrillard) bezieht seine Kraft – ähnlich dem echten Bild, das „dieses Zittern der Welt“ bewusst macht – aus der Ablehnung der Wirklichkeit. Statt Transparenz zu schaffen, wird das Geheimnis wieder eingeführt: Die Illusion erarbeiten, erschaffen. Rätselhaft machen, was klar ist, unbegreiflich, was begreiflich ist … die Welt so zurückgeben, wie wir sie bekommen haben, unbegreiflich. Für „Blooming Simulacra“ inszeniert Horn lebendige Stillleben im Grazer Kunst- garten. Ein Augenblick des Entstehens wird fotografisch abge- bildet, ein Moment im Laufe des Vergehens, im Kreislauf - eine nächtliche Illusion - sichtbar gemacht, wie sie niemals sichtbar sein kann. Nach diesem Moment der Aneignung werden die lebendigen Bilder der Natur zurückübergeben und wandeln sich: Als Zeuge bleibt das eine Bild, das Punctum. In der Ausstellung werden diese Bilder präsentiert – aber auch die lebendigen Still- leben aus Keilrahmen, Stoffen und Pflanzen, die dann schon einige Wochen lang dem Lauf der Natur überlassen wurden und sich verändert haben, zu jeder Tages- und Nachtzeit, in jedem Augenblick, nie mehr gleich aussehen werden. Das Geheimnis des einzelnen Bildes bleibt für immer verborgen.