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Bettina Krieg - Der zweite Blick

Bettina Kriegs Arbeiten spielen mit dem zweiten Blick, die Präzision und Feinheit ihrer Zeichnungen ist dann sichtbar, wenn sich die Betrachterin auf die zahllosen Details einzulassen vermag. Ihre Zeichnungen leben gerade davon, dass sie nicht gleich beim ersten Betrachten vollkommen zu erfassen sind. Das Sammelsurium der vielen Ansichten, den sich immer wiederholenden Details öffnet bei jeder Betrachtung neue Vorstellungsräume, so dass abhängig von der jeweiligen Erfahrungswelt neuen Bildkompositionen entstehen, die sich bei einem weiteren Blick wieder neu zu komponieren suchen und sich demnach in ständiger Bewegung befinden. Die Bewegung in ihren Arbeiten findet sich aber auch in der Gegensätzlichkeit dessen, was dargestellt ist: Wir sehen uns Landschaften gegenüber, die auf den ersten Blick erscheinen, als seinen sie eben Strukturen von Bäumen, Gräsern und Blumen, bei genauerer Betrachtung entdecken wir die vielen kleinen Insekten, Schmetterlinge, Käfer, Fliegen und dann plötzlich ein Fischschwanz oder Vogel, viele verschiedene Vögel. Aus diesen Vögeln und Fischschwänzen wachsen neue Gebilde, die sich als Autowrack oder Hausruine lesen lassen. Überhaupt ist das Motiv der Ruine, des nicht Lebendigen, und der Natur die alles überwuchert, zu neuem Leben erwachen läßt, der Gegensatz zwischen Tod und Leben, Starre und Bewegung, Oberfläche und Tiefe sehr präsent in Kriegs Zeichnungen. Bettina Krieg stellt eine Bilderwelt dar, die uns bekannt zu sein scheint, die wir wiederzuerkennen meinen und uns gleichzeitig fragen müssen woher wir die dargestellten Welten eigentlich kennen. Denn alles was sie in ihren Zeichnungen herausarbeitet, ist zusammengewachsen zu einem lebendigen Gebilder neuer Formen, die sich erst in der bewußten Betrachtung als fragmentierte Einzelteile herausstellen. Ihre Arbeiten stellen die dargestellten Realitätsbezüge in Frage und formen sie in einem ständigen Wahrnehmungsprozess neu: Alles ist im werden, alles fließt, ihre Zeichnungen setzen sich keinem Stillstand aus, ganz im Gegenteil, alles ändert immer seine Form und entwickelt neue Assoziationsräume und Möglichkeiten der Betrachtung. Krieg stellt uns vor, dass es nicht nur eine Realität eines Motives gibt. Vielmehr ändert diese sich je nach Blickwinkel der Betrachterin. Bettina Krieg arbeitet so stark den Schein eines Motivs heraus, dass die Frage der Zeit essentiell in ihren Zeichnungen wird: was wir meinen gesehen zu haben stellt sich bei längerer Betrachtung als das Gegenteil dar, so dass wir die eigene Wahrnehmung anfangen zu hinterfragen. Krieg möchte die Betrachterin in ihre Bildwelten einladen, möchte, dass sie sich in ihnen aufhält, sich in ihnen bewegt und sich mit ihnen verbindet, jeden Tag neue Räume entdeckt und sich auf ihre Intuition verläßt sich in ihnen zurecht zu finden. Als Betrachterin sehen wir uns Bildräumen gegenüber, Räumen in denen wir versinken können, unseren Vorstellungen neue Formen geben können. Die ständige Veränderung, der wir uns gegenüber sehen, wird in der Wiederholung der einzelnen Details zu einem Spiel der Ambivalenz, dem sich immer wieder neu Befragen, da das, was wir wiederzuerkennen meinen seine Form in jeder Ansicht verändert, sich neu definiert, nie gleich zu sein scheint und doch besteht gerade in der Wiederholung die Möglichkeit die vielen kleinen Details zu entschlüssseln, eine Orientierung herzustellen – Vertrautheit im Betrachten der Zeichnungen aufzubauen. Es ist wie eine unendliche Geschichte, weil ihre Bilder eigentlich nie zu Ende gedacht sind, sondern immer weiter gedacht werden könnten. Krieg beginnt mit einer groben Idee und schaut sich dann beim Zeichnen zu: entdeckt dabei Neues, wodurch sich die Idee immer wieder verändert, in einem prozessualen Rhythmus befindet. Ihre Zeichnungen sind wie Tagträume oder Träume die aus dem Nachmittagsschlaf entstehen. Dieser kurze, tiefe Schlaf, der von solch fesselnder Intensität ist, dass aus den Tiefen des Unterbewußtseins die eigenartigsten Zusammenstellungen hervorgebracht werden. Aber in einer dieser realistischen Formen, dass man förmlich meint selbst in diesem Traum zu leben.

Bettina Krieg zeichnet ausgehend eines Bildarchivs, was sie angelegt hat. Diese Sammlung von Bildern, Zeitungsausschnitten und Fotografien entsteht aus Motiven und Strukturen, die sie berühren oder faszinieren. Hauptsächlich handelt es sich dabei um aufgebrochene, kaputte, gerissene, verfallene Dinge, die alt und deformiert erscheinen, keine Bedeutung mehr haben in der sogenannten Zivilisation unserer Welt. Es sind Gegenstände, die ihre Funktion verloren haben, zu nichts mehr nützen. Bettina Krieg lässt in ihnen neues Leben wachsen, verbindet sie zu neuer Form, ihre Fragmente erscheinen dem Motiv nach einer Dekonstruktion zu unterliegen, durch die Verästelungen zwischen den verschiedenen Details verwandelt sie die Einzelteile zu neuen Konstruktionen lebendiger, oft organisch wirkender Strukturen. Sie verändert das altbekannte Gesicht eines Gegenstandes im Spannungsverhältnis zu einem anderen um so beiden eine vollkommen neue Oberfläche zu geben. So entstehen viele, unterschiedliche Geschichten und Andeutungen von Geschichten, die sich in der Konstruktion des Raums immer wieder aufzulösen scheinen. Ihre Zeichnungen ballen sich an einem Punkt, überwuchern alles, verknoten sich förmlich und plötzlich löst sich alles auf, fällt auseinander. Krieg erreicht dadurch eine Spannung zwischen Leere und Fülle, Zeit und Raum, Nähe und Distanz. Ihre Arbeiten umfassen den Betrachter, fordern seine vollkommene Aufmerksamkeit, ansonsten könnte es ihm passieren, die Ambivalenz zu übersehen, die Komplexität nicht wahrzunehmen, die sich in ihren Arbeiten so stark im zweiten Blick darstellt. Immer wieder spielt sie auf den Gegensatz zwischen Mensch und Natur an, dieses untrennbare Verhältnis des Menschen zur Natur. Wobei ihre Arbeiten auch ganz klar darauf verweisen, dass die Natur die Spuren, die der Mensch in ihr hinterlässt überwuchern kann, verschwinden, wieder Natur werden lässt. Gerade in der Schönheit der Natur steckt Gewalt und Zerstörung und hierin liegt dieser lebendige Moment: der natürliche Prozess der Zerlegung, aus dem sich neue Formen und Strukturen entwickeln.

Kriegs Auseinandersetzung mit der Zeichnung reduziert sich auf die Farben rot und schwarz. Rote Farbe bringt die Zeichnung in Bewegung, macht sie pulsierend und lebendig, die Farbe verbindet sich mit dem menschlichen Körper, gibt Energie, Kraft und Schönheit. Natürlich entwickelt jeder ein anderes Verhältnis zu der Farbe rot, aber für sie pulsiert dieser Farbton, ist er das Innere des Menschen, die Verästelungen der Adern, entspricht er dem Fleisch und Blut, und andererseits ist es grausam, furchtbar und ekelhaft. Das Spiel der Gegensätze findet sich auch in der Anwendung des Materials von Tinte und Buntstift wieder. Bettina Krieg benutzt zum Auftragen der Tinte eine Feder. Die Federzeichnung ist von unglaublicher Präzision und Feinheit und andererseits brutal klar, da die Feder im Papier Ratscher und Kratzer hinterläßt, fein wie ein Haar. Der Buntstift hingegen wirkt plump und weniger deutlich, fast schon verschwommen im Gegensatz dazu. Obwohl die feinen Linien durch die Feder entstehen hinterlassen sie auch einen Eindruck von Härte wohingegen die Buntstiftzeichnungen weich erscheinen.

Wir werden verführt immer wieder neues zu entdecken, der Kraft die von Kriegs Zeichnungen ausgeht kann man sich kaum entziehen obwohl man unter Umständen einen Ekel empfindet oder die Arbeiten nicht mag. Bettina Krieg sucht das Gleichgewicht um es wenig später wieder zu erschüttern und in Frage zu stellen, es zu kippen und dann wieder nach einem Ausgleich zu suchen. Immer sucht sie die entstandene Harmonie zu brechen und in dem Bruch genau diese wieder herzustellen.

Dezember 2007, Silke Ballath

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Bettina Krieg