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Singing for the Sea - so der Titel eines eindrücklichen Kurzfilms der Künstlerin Bethan Huws. Ein bulgarischer Frauenchor besingt das Meer an der Küste Northumberlands, der menschliche Gesang trifft auf das Rollen der Wellen, die Klänge aus den Bergen berühren die See. Solche subtile geographische Verschiebungen wie auch das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturräume sind charakteristisch für das Schaffen der 1961 in Bangor/Wales geborenen, in London ausgebildeten und heute in Paris lebenden Künstlerin. Ihrem stillen, aber umso vielschichtigerem Schaffen widmet das Kunstmuseum St.Gallen eine umfangreiche Einzelpräsentation.

Bethan Huws’ künstlerische Anfänge sind bestimmt durch ein Sich-Positionieren in der Kunst. Zu den spektakulären Auftritten der Young British Artists setzt ihre frühe Installation Scraped Floor (1987) einen Kontrapunkt. Als Studentin am Royal College of Art in London legt sie eine Ecke ihres Ateliers bis auf den Holzboden von Überlagerungen frei. Man kann diese minimale Geste als Versuch sehen, einen eigenen künstlerischen Raum zu bestimmen mit dem Ziel einer Art „Selbstvergewisserung“. Daraus entwickelt sich in der Folge ein zunehmend selbstbewussteres Besetzen von Ausstellungsräumen, etwa in Interventionen in den Riverside Studios (1989) oder der Kunsthalle Bern (1990), bei denen Teile des Galeriebodens aufgedoppelt wurden. Mit diesen Installationen ist Bethan Huws in der Kunstwelt prominent hervorgetreten. Parallel dazu entstehen die so genannten Boote, aus einem Rietgras geformte fragile Miniaturen. Während bei den Interventionen der Raum und die Institution, d.h. die Welt der Kunst, den inhaltlichen Referenzrahmen vorgeben, vollzieht die Künstlerin mit den Booten eine entscheidende Wendung. Als Kind hatte sie nämlich solche Boote auf dem Wasser treiben lassen. Im Raum der Kunst präsentiert, betonen dieselben Objekte die Diskrepanz zwischen der Vergänglichkeit des fröhlichen Kinderspiels und dem Ewigkeitsanspruch des Kunstwerks: Erinnerung wird aktiviert, in Kunst übersetzt und konserviert. Bei aller Radikalität der Befragung musealer Präsentationsbedingungen bleibt im Schaffen von Bethan Huws stets eine Intimität spürbar, wie sie insbesondere im zeichnerischen Œuvre der Künstlerin anklingt. Auch in dem flüchtigen Medium wechselt Bethan Huws die Perspektive – weg vom kunstimmanenten Diskurs hin zu Erinnerungen an eine überschaubare, vertraute Welt, an die Welt ihrer Kindheit und ihrer walisischen Heimat mit den hügeligen Landschaften, den Menschen und Tieren. Bei aller formalen Raffinesse fällt der ökonomische Einsatz der zeichnerischen Mittel auf.

Als weitere Werkstränge sind in den vergangenen Jahren der Film, wie der erwähnte Singing for the Sea (1993) oder die irrwitzigen Reflexionen über den Genuss von Schokolade The Chocolate Bar (2006), sowie die sogenannten Word Vitrines (seit 1999) dazugekommen. Letztere bestehen aus handelsüblichen Metallkästen, versehen mit Glasfront und schwarzer Rückwand, die mit flexibel steckbaren, weissen Plastikbuchstaben der Vermittlung von Informationen aller Art dienen. Bethan Huws bespielt sie mit Textarbeiten, zuweilen poetisch und verspielt, zuweilen aber auch abgründig, und überführt dabei die linguistischen Traditionen der Konzeptkunst in die Gegenwart. In der Rückbesinnung auf die radikalen Positionen von Marcel Duchamp bis On Kawara hat Bethan Huws ein eigenwilliges, oft sperriges Werk entwickelt, das die inhärente Selbstbezüglichkeit der Moderne aufbricht und sie an das eigene Erleben und Empfinden bindet. Bangor/Wales, London, Paris und für kurze Zeit St.Gallen: Es geht ums Versetzen und Übersetzen. Mit subtiler Poesie und feinem Humor spielen das eigene Erinnern und die Frage nach der kulturellen Identität im Schaffen der Künstlerin eine wesentliche Rolle.

Bethan Huws’ Schaffen ist in der Schweiz wiederholt präsentiert worden: erstmals 1990 in der Kunsthalle Bern, 1998 die Watercolours im Kunstmuseum Bern. Im Kunstmuseum St.Gallen war 2006 im Rahmen der Ausstellung Mental Image – Wortwerke und Textbilder eine Serie ihrer Word Vitrines im Dialog mit Werken von On Kawara zu sehen. Die umfassende Personale wurde in Zusammenarbeit mit dem Bonnefantenmuseum in Maastricht erarbeitet und ermöglicht nun erstmals einen vertieften Einblick in das stille Werk einer Künstlerin, das wie eine ihrer Textarbeiten andeutet, den Betrachter auf verschiedensten Ebenen anzusprechen vermag als „LeibSeeleNervensystem / VerstandIntellekt“.

„AN ARTWORK IS MADE OF ONE THING – A PERSON“ Bethan Huws Zur Ausstellung erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König eine umfassende Publikation mit Texten von Konrad Bitterli und Maja Naef sowie einem ausführlichen Interview von Julian Heynen mit der Künstlerin.

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Bethan Huws
Kunstverein / Kunstmuseum St.Gallen