Galerie Friedrich, Basel

Grenzacherstrasse 4 - am Wettsteinplatz
CH-4058 Basel

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Mit den Word Vitrines, flachen Vitrinen aus industrieller Produktion, die sie mit weissen Plastiklettern bestückt, setzt Bethan Huws eine Reihe von Textarbeiten fort, die 1991 in London mit der Präsentation des Lake Piece einsetzte. Waren in der frühesten Ausstellung Kopien von eng beschriebenen Blättern auf verschiedenen Wänden angebracht, wurden Textarbeiten später auf Metalltafeln gedruckt und in offener Landschaft aufgestellt oder von der Künstlerin in Bleistift direkt auf die Wand des Galerieraums geschrieben. Andere wurden vervielfältigt und im Museum aufgelegt oder den Besuchern ausgehändigt, und an der diesjährigen Biennale in Venedig zeigte Bethan Huws Ion On, einen dialogischen Film in 45 Akten für einen einzigen Schauspieler, der das Verhältnis zwischen Künstler und Kurator thematisiert.

Die von Aluminiumrahmen eingefassten Wortvitrinen in der Galerie Friedrich sind abschliessbare verglaste Kästen. In den aneinander gereihten Buchstaben auf dem schwarzen Grund der Vitrinen tritt ein offenes System wechselnder Verknüpfungen an die Stelle eines linearen Ablaufs mit eindeutigem Anfang und Ende. Es entstehen Bilder, die nicht von links oben nach rechts unten zu lesen sind, und einiges bleibt dabei in der Schwebe. Die Texte zweier Vitrinen, THAT ARTISTS DON’T HAVE MUCH TO SAY: PROVES THAT THEY ARE SPEAKING und AS SELFISH AS A PAINTER, handeln von der Stellung des Künstlers in der Gesellschaft. Dass Künstler nicht viel zu sagen hätten, beweist, dass sie ihre Stimme erheben. Und Maler zeichnen sich durch ihren Egoismus aus.

Bethan Huws ist in Nordwales mit Walisisch und Englisch aufgewachsen; später kam Französisch dazu. Dank ihrer Mehrsprachigkeit nimmt sie Verschiebungen und Inkongruenzen in der Bedeutung eines Wortes, die mit der Übertragung von einer Sprache in eine andere entstehen, vermutlich differenzierter wahr als jemand, der nur eine Sprache beherrscht. Bei der Vitrine mit der Buchstabenfolge LLWYNCELYN sind die meisten von uns überfordert. Wir erfassen zwar die Zeichnung der einzelnen lateinischen Buchstaben auf einer monochromen Fläche, gelangen dann aber rasch an unsere Grenzen. Die englische Übersetzung des walisischen Wortes wirkt hingegen weltweit wie ein Logo, ähnlich wie die monumentalen Grossbuchstaben HOLLYWOOD auf einem kalifornischen Hügelzug. Sie löst eine Flut von Assoziationen aus, die wir alle mühelos abrufen können. Wer aber weiss, dass holly Stechpalme bedeutet, beim Wort wood an einen Wald, an ein Gehölz oder an ein Stück Holz denkt, und dann versucht, dieses Wissen mit HOLLYWOOD und LLWYNCELYN in Verbindung zu bringen, wird fast unweigerlich auf neue Inkongruenzen stossen.

Eine weitere Vitrine verweist auf eine Kultur, die nur an einem peripheren Saum Europas überleben konnte. Die in der Vitrine aufbewahrten Fransen sind weniger Textillustration als visuelle Erweiterung des darunter angebrachten Textes THE CELTIC FRINGE. Sie erhöhen vielmehr die Vielfalt und Komplexität der möglichen Bezüge. Wer den billigen synthetischen Besatz als kulturspezifisches Attribut einer armen ländlichen Population versteht, die viel singt und gern tanzt, kann sie unter Umständen als Minderheitenfolklore belächeln. Lesen wir die halbkreisförmig angeordnete Verzierung aber als oxydierte Bronze, so verwandeln sich die gewöhnlichen Fransen zum nicht näher zu bestimmenden Relikt aus vorgeschichtlicher Zeit, zum historischen Zeugnis einer reichen Kultur, die sich während Jahrhunderten in weiten Teilen des Kontinents manifestierte. Mühelos sprengt Bethan Huws hier die Grenzen des biographischen und stellt Verbindungen zum Surrealismus wie auch zur konzeptuellen Kunst der sechziger Jahre her: Weil das Département des Aigles geschlossen ist, führt sie uns in die ethnographische und archäologische Abteilung des Museums.

Die Word Vitrines hängen an den Wänden der Galerie. Im Raum positioniert Bethan Huws neue dreidimensionale Arbeiten. Auf einheitlichen, weiss bemalten Sockeln sind kleinformatige Readymades ausgelegt, die in ihrer Verdichtung an die Aquarelle und Zeichnungen der Künstlerin erinnern. Oft konzentriert sich Bethan Huws in ihren Arbeiten auf Papier vollkommen auf ein einzelnes, zeichenhaftes Motiv – eine mit feinem Strich gezeichnete geschlossene Hand, eine gerippte Muschelschale in blasser Aquarellfarbe – und lässt es stehen auf einem ansonsten weissen Blatt. Die gedämpfte Farbe der beiden Tabletten auf einem der Sockel sowie das Grün des Pfefferminzbuschs in seinem Topf auf einem anderen finden sich ebenfalls auf ihren Aquarellen.

Die Inszenierung der Readymades auf hellen, neutralen Sockeln isoliert sie von ihrer Umgebung. Sie unterstreicht deren plastische Qualität. Ein neuwertiges, glänzendes Tranchierbesteck mit eleganten schwarzen Griffen liegt geordnet auf einer glasierten Keramikplatte. Auf der breiten Messerklinge steht THE CARVER, eingraviert in der Handschrift der Künstlerin, filigran zwar, aber unübersehbar. Ein carver ist ein Tranchiermesser – und ein Bildhauer. Beide formen das Material, indem sie es verletzten. Eine existenzielle Dimension ist da angesprochen. Der Bildhauer als Fleischfresser. Ob lustvoll, aggressiv, oder mit Genuss: Bethan Huws’ Werkzeuge sind wie gemacht, um Meret Oppenheims Ma gouvernante – My Nurse – Mein Kindermädchen – zwei kunstvoll verschnürte weisse Damenschuhe mit koketten Papiermanschettchen an den spitzen Absätzen, appetitlich angerichtet – zu zerteilen.

Marco Obrist

Pressetext

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Bethan Huws