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Der 1938 geborene deutsche Maler Georg Baselitz --- es handelt sich um einen Künstlernamen in Anlehnung an seinen Geburtsort in Sachsen --- ist für seine auf dem Kopf stehenden Darstellungen bekannt. Seine Bilder (Landschaften, Figuren, Stillleben, Porträts) werden nicht erst nach ihrer Entstehung umgedreht, die Motive werden von Anfang an verkehrt herum gemalt. Diese Art der Distanzierung, die seit 35 Jahren überwiegt, erneuert unter anderem die Faszination, die von der traditionellen figurativen Darstellung ausgeht. Baselitz konzentriert sich so auf Fragen des plastischen Bildaufbaus. Dieses eigentlich bildnerische Anliegen macht ihn paradoxerweise zum «französischsten» aller deutschen Maler, zu einem der Künstler, der die Malerei als solche im 20. Jahrhundert am stärksten gepflegt hat. Die Ausstellung der Fondation de l’Hermitage bietet anhand von rund hundert Ölbildern, Radierungen, Plastiken und Zeichnungen, die zum Grossteil aus der persönlichen Sammlung des Künstlers stammen, einen grundlegenden und zugleich intimen Einblick in dieses intensive, packende Werk.

Die gezeigte Auswahl spannt einen historischen Bogen von 1962 bis 2005 und vereint die besten vom Künstler aufbewahrten Werke. Sie unterstreicht mehr deren bildnerische Vollendung, als dass sie eine vollständige Retrospektive der Themen herzustellen versucht, die Baselitz’ Schaffen in vier Jahrzehnten bestimmt haben. In der kleinen Konstellation der deutschen, manchmal «Wilde» genannten Maler, die Kunstliebhaber Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre entdecken, ist Baselitz derjenige, der aufgrund der vom Kubismus übernommenen plastischen Darstellung am augenscheinlichsten der französischen Tradition verpflichtet ist. Die bildnerische Bearbeitung hat mehr Gewicht als der eigentliche Inhalt, der übrigens sehr «klassisch» ist: Porträts, Stillleben, Landschaften, Menschen- und Tierfiguren. Es ist sogar dieser rein gegenständliche Ausdruck, der am Ende einer langen abstrakten Periode Aufmerksamkeit erregt.

Zwanzig Jahre zuvor hatte sich der junge Baselitz als Reaktion auf die vorherrschende amerikanische Praxis des Action Painting und Abstract Expressionism, kaum hatte er Ostberlin verlassen, einer figurativen Poetik zugewandt, die eine Mischung aus Romantik und Surrealismus (dessen Schlüsselfigur für ihn Antonin Artaud war) zum Ausdruck bringt. Er ändert seinen Namen Georg Kern in Baselitz um, nach seinem Geburtsort Deutschbaselitz. Nach grossen, aufgrund ihrer plakativen Sexualität als skandalös empfundenen Gemälden und den so genannten Helden mit zugleich jugendlichen, untätigen und arbeiterhaften Zügen, malt Georg Baselitz in den so genannten Frakturbildern (Kühe, Bäume, Hunde) ländliche Motive mit horizontalen Abschnitten und einzeln versetzten Segmenten.

Dieser sehr späte «Post-Kubismus» nimmt die Umkehrung des Bildes vorweg, die ab 1970 die Bekanntheit von Georg Baselitz begründet. Von nun an wird das Thema, ob er Birken, Adler, Ährenleserinnen, Strassen, Porträts seiner Frau Elke oder Selbstporträts zeichnet oder malt, mit dem Kopf nach unten ausgeführt. Diese «verkehrte Welt» legt den Schwerpunkt auf die Plastizität des Elements, das im bildnerischen Raum immer noch erkennbar bleibt, und nicht mehr auf eine dreidimensionale, mehr oder wenige prosaische Darstellung der Wirklichkeit. Diese «Desorientierung», die die Anziehungskraft des Bildes für den Betrachtenden bewahrt --- und sogar verstärkt ---, erfolgt zugunsten der Autonomie des Werkes, wie dies auch bei Picasso, Malewitsch oder Giacometti der Fall ist: Mehr als einen Apfel oder Stuhl zu malen, geht es darum, ein Bild zu malen.

Da die Thematik weniger wichtig ist als ihre visuelle Umsetzung, variiert Baselitz im Laufe der Jahre das, was er «Methode» nennt, das heisst die Art zu malen. In den 1980er Jahren verarbeitet der Meister von Derneburg (wo er in der Nähe von Hannover lebt) taktiles Material und lebendige Farben zu einem ebenso dichten wie immer wieder regenerierten Gefüge. In Blick aus dem Fenster (10.3.1982; Öl auf Leinwand, 130 x 162 cm) zeichnet sich der gegenüber einem Ochsenauge platzierte Männerkopf im gewaltigen Geflecht der Pinselstriche ab, die ein vibrierendes Zentrum aus überlagerten Schichten bilden. In gewisser Weise nimmt Baselitz in der gemalten Fläche das wieder auf, was er im selben Augenblick in der bildhauerischen Arbeit (sie wird in Lausanne ebenfalls gezeigt) entdeckt, in der Zufälle, die Rinde des mit der Axt bearbeiteten Holzes, fast vielsagender sind als die eigentliche, in den Raum ragende Form.

Fünfzehn Jahre später hat sich die Methode zu offeneren Anordnungen und durchscheinendem Licht entwickelt. Die befreite, diskursive Zeichnung spielt mit einer flüssigen, leichten Farbgebung. So ist man versucht zu sagen, dass Persisches Liebespaar II (14.8.1998; Öl auf Leinwand, 100 x 162 cm) bei der chinesischen Malerei anknüpft, als ob nach Jahren angespannter Konzentration die Reife eine jubilierende Erweiterung erlaubte.

Die Lausanner Retrospektive lädt zu einer langen, grossen Lektion der Malerei ein und zeigt die wichtigsten Etappen einer kohärenten, unermüdlichen Suche des aus dem Pinsel entstandenen Bildes, einer Suche, die zu Beginn dieses Jahrhunderts wieder sehr lebendig ist.

Die ausschliesslich in Lausanne gezeigte Ausstellung wird von Rainer Michael Mason, dem früheren Konservator des Genfer Cabinet des Estampes, kuratiert. Sie wird von einem bedeutenden Katalog begleitet, einer Koedition mit der Bibliothèque des Arts, der Farbreproduktionen sämtlicher ausgestellter Werke enthält.

Pressetext

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Baselitz - eine einzige Leidenschaft die Malerei
Georg Baselitz Retrospektive
Kurator: Rainer Michael Mason