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Zu den Internationalen Kulturtagen 2006 stellt der Dortmunder Kunstverein vier künstlerische Positionen aus den drei Ländern des Baltikums:Laura Stasiulyte und Irma Stanaityte (Litauen), Emils Rode und Simona Veilande (Lettland), Jaan Toomik (Estland).

Die Kunst der drei Beitrittsländer zur EU nach 1989 spiegelt in wesentlichen Aspekten das Lebensgefühl der im Umbruch befindlichen Nationen wider. Nachdem durch den politischen Wandel der verbindliche Wertekanon seine Fragwürdigkeit erwiesen hat, nehmen die Künstler es auf sich, sich selbst und die Gesellschaft auf die Möglichkeit gemeinsamer Werte zu prüfen und – im Sinne einer Orientierung - neue Verhaltensmuster einzustudieren. Im Gegensatz zur Kunst der 80er wendet sich die der 90er Jahre und der Gegenwart mit Nachdruck dem Alltäglichen zu: Dem Körper, dem Individuum in Familie und Gesellschaft sowie der gemeinsamen Geschichte und dem massenmedial geformten Dasein. Die Ausstellung wird auf die Räume des Dortmunder Kunstvereins, Hansastraße, sowie die Kokerei Hansa, Emscherallee 11, 44369 Dortmund, verteilt werden. Die Umbruchsituation der drei baltischen Länder erweist im Kontext der musealisierten Kokerei Berührungspunkte mit dem sich vollziehenden Strukturwandel der Ruhrregion.

Laura Stasiulyte Bereits als Studentin der Abteilung für Fotografie und Medien an der Kunstakademie Vilnius begann Laura Stasiulyte, ein Arbeits- und Ideenkonzept zu entwickeln, das auf Sprache und insbesondere auf der Verwendung halbautomatischer, stereotyper Sprache beruht. Ausgangspunkt ihrer Recherche ist hierbei die Frage, wie sich ein kultureller Austausch gestaltet. In Dortmund zeigt Laura Stasiulyte eine neue Videoarbeit mit dem Titel „gala“, in der sie sich mit der kulturellen Umbruchsituation ihres Landes auseinandersetzt.

Irma Stanaityte „Einige Monate bin ich durch Holland und Deutschland gereist und mich jeweils in privaten Häusern und Wohnungen aufgehalten. Diese Erfahrung hat mir erlaubt, meine eigene Situation zu realisieren – in meinem persönlichen Leben gibt es keinerlei Stabilität, kein wirklich privates Eigentum. Der Versuch, jede noch so fragile Chance auf Privatheit zu bewahren war ein wesentlicher Teil meines alltäglichen sozialen Verhaltens. […] An den Plätzen, wo ich mich immer nur für kurze Zeit aufhielt, nahm ich Fotos auf. Ich fotografierte Dinge, die Fremde für gewöhnlich nicht wahrnehmen: Dinge hinter den Türen (in Schränken, Schubladen, etc.). Zu meiner Überraschung bargen die Dinge (ganz gewöhnliche Dinge) kein Geheimnis; ihre „Geschichten“ blieben stumm. Schließlich fasste ich den Entschluss, meine Gastgeber zu befragen, um zu erkunden, was „Privatheit“ für sie bedeutete.“ (Irma Stanaityte im Dezember 2002)

Emils Rode und Simona Veilande Simona Veilande (geb. 1979 in Lettland) und Emils Rode (geb. 1974 in Lettland), von ihrer Ausbildung her den Finanzen und der Wirtschaft näher als klassischen bildenden Künsten, haben unter dem „Label“ pureculture bereits einige viel rezipierte interdisziplinäre Projekte in Riga verwirklicht. Das aktuellste ist die gemeinsam mit dem Fotografen Gatis Rozenfelds (geb. 1977 in Lettland, Teilnehmer der letzten Biennale der baltischen Fotokunst) ausgeführte Dokumentation von Rentnermoden in Riga. Ein Großteil der älteren Menschen im Baltikum – in Lettland ist etwa ein Drittel der Bevölkerung Rentner – gehört zu den Verlierern der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten anderthalb Jahrzehnten. Mit durchschnittlich 100 EUR Monatsrente können sie von den neuen Freiheiten und dem Warenüberfluss der Marktwirtschaft kaum profitieren. So haben die pureculture-Künstler aus einer verblüffend offensichtlichen Beobachtung ihr Projekt konzipiert: die meisten alten Frauen und Männer in Riga (auch in Vilnius, Tallin …) tragen noch heute dieselben Kleidungsstücke wie vor 20-30 Jahren. Die ursprünglich aus rein ästhetischem Interesse begonnene Untersuchung (zu Farben und Texturen, Silhouetten und Schnitten) brachte alsbald andere Bedeutungsschichten hervor: Fragen nach Armut und Unvermeidbarkeit des Todes, aber auch nach einer Art Altersweisheit.

Jaan Toomik Die Videos von Toomik (geb. 1961), mit denen er Estland auf den Biennalen von Sao Paulo und Venedig vertrat, sind ein Hineintreten in die Einsamkeit, ein empfindliches Herumtasten, ein heidnischer meditativer Rhythmus auf der Suche nach dem Erhabenen. In der Kokerei Hansa wird Toomik die Videoarbeit „Seagulls“ von 2004 (1.47 min. DVD) präsentieren. Diese Arbeit, entstanden in Zusammenarbeit mit dem experimentellen Musiker Rainer Jansis, ist im weiteren Sinne ein kurzes Musikvideo, in dem Jaan Toomik die Rolle des Vokalisten, Rainer Jansis die des Musikers übernimmt. Alles wird durch das Medium des Wassers hindurch gefilmt. Das Geschehen basiert auf einem Alptraum des Künstlers und trägt dementsprechend vielschichtige Bedeutungsebenen in sich. Zur Erfahrung gebracht wird die frustrierende Beschränkung der körperlichen Bewegungen, so wie sie im Traum erlebt wird, die Unfähigkeit etwa zu rennen. Auf einer erweiterten Ebene geht es um die Unfähigkeit zur Kommunikation und um das verzweifelte Bemühen, aus dieser Isolation auszubrechen. Das Scheitern stellt sich schließlich auch als Warnung dar. Gleichzeitig artikuliert sich hier die Angst vor dem Älterwerden, vor einer körperlichen Behinderung, der Begrenzung der körperlichen Möglichkeiten, die sich auch dem Bedürfnis, sich auszudrücken und mitzuteilen entgegenstehen.

Die Ausstellung auf Kokerei Hansa ist im Rahmen der Führungen über die Kokerei Hansa zu besichtigen.

Pressetext

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aus dem Leben gegriffen
Ausstellung im Rahmen von scene:estland lettland litauen
38. internationale kulturtage der stadt dortmund

mit Laura Stasiulyte / Irma Stanaityte, Emils Rode / Simona Veilande, Jaan Toomik