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Die Zeichnung hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt. Gerade der zu den opulenten multimedialen Inszenierungen des zeitgenössischen Kunstbetriebs kontrastierende Purismus des Mediums mag zu dieser Wiederentdeckung beigetragen haben. Tatsächlich gehört eine gewisse formale Askese zu den Grundbedingungen der Zeichnung. Eine Zeichnung konturiert Objekte durch Linien. Als Grenzmarkierungen zwischen Innen und Außen definieren diese den gezeichneten Gegenstand in seiner flächigen Ausdehnung und codieren als Umriss die spezifische Semantik seiner Form. Der Berliner Künstler Matthias Beckmann ist in diesem Sinne ein Meister der Askese, obwohl die von ihm gezeichneten Gegenstände und Interieurs oft hoch komplex in ihrer Anlage sind. Seit Jahren gilt sein zeichnerisches Interesse öffentlichen Räumen. Museen, Kirchen, der Bundestag oder die MoMA-Ausstellung in Berlin werden zu Schauplätzen seiner zeichnerischen Analysen vor Ort, in denen die Artefakte der Hochkultur – Exponate in Museen und Ausstellungen, Kircheninterieurs, Skulpturen – gleichbedeutend neben dem alltäglichen Geschehen stehen, das diese öffentlichen Räume prägt. So wird der Betrachter der Zeichnungsserien Beckmanns neben Zitaten aus der europäischen Kunstgeschichte konfrontiert mit gelangweilten Museumsaufsichten in schlecht sitzenden Hosen, mit Besuchern in Warteschlangen ebenso wie mit allerlei technischem Gerät - Steckdosen, Putzeimern, Luftbefeuchtern, Beschilderungen, Kabeln und Absperrvorrichtungen.

Aus dieser im Wortsinn Gleich-Gültigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Grenzziehungen zwischen „High“ und „Low“ erklärt sich auch der Titel „Aura und Alltag“, unter dem die zweite Ausstellung von Matthias Beckmann in den Räumen der Emmanuel Walderdorff Galerie stattfindet. Die Ausstellung gibt einen Überblick über Beckmanns künstlerische Produktion der letzten Jahre und zeigt Arbeiten aus verschiedenen Serien und Werkgruppen. Zum einen werden Zeichnungen aus den Serien „transparent - Zeichnungen aus dem deutschen Bundestag“ (2004) „Abguss-Sammlung Antiker Plastik Berlin“ (2004/2005) sowie aus der Serie „Das MoMA in Berlin“ (2004) präsentiert. Hinzu kommen Radierungen und Leporellos.

2007 hat sich Matthias Beckmann nach einer längeren Pause wieder der Technik der Radierung zugewendet . Ebenso wie in den Zeichnungen arbeitet der Künstler auch hier direkt vor Ort und findet seine Motive im Berliner Bodemuseum, in der Nationalgalerie oder im Alten Museum in Berlin. Sein Verfahren ist ungewöhnlich, weil er unmittelbar vor Ort in die auf eine Kupferplatte aufgetragene Lackschicht ritzt und damit auf Vorzeichnung und korrigierende Nachbearbeitung verzichtet. Die daraus resultierende Spontaneität und Frische ist den kantigen und zum Teil fahrigen Lineaturen der Graphiken eingeschrieben und verleiht den Blättern eine nervös-flirrende Intensität.

Die gezeigten Leporellos sind in der Berliner Gemäldegalerie („Handreichungen“, 2004), im Museum für zeitgenössische Kunst S.M.A.K. in Gent (2007) sowie beim Aktzeichnen („Aktsalon“, 2006) entstanden. Sie akzentuieren eine filmische Herangehensweise, die Beckmanns Zeichnungen insgesamt zugrunde liegt. Dazu gehören fragmentarische Bildausschnitte, Auf- und Untersichten, Anschnitte ebenso wie das Zoomen zwischen Totale und Detail und die an Stills aus Kamerafahrten erinnernde Auswahl von Bildsequenzen. In den Leporellos werden diese unterschiedlichen Perspektiven in einer quasi-filmischen Abfolge präsentiert. Das Leporello funktioniert als Filmstrip, in dessen zeitlicher Abfolge sich das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven sukzessive, von Blatt zu Blatt entfaltet. – Oder auch nicht, denn das Gezeigte bleibt fragmentarisch. Der eigentliche Film entsteht im Kopf des Betrachters.

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Aura und Alltag
Matthias Beckmann