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at dawn 28. APRIL 2022 – 4. DEZEMBER 2022

ERÖFFNUNG
27. April 2022, 16:00 – 22:00 Uhr

Die Gruppenausstellung at dawn verknüpft Prozesse der Bildproduktion mit einem sozialen und politischen Streben nach möglichen Alternativen zu unserer „toxischen und insolventen“ Gegenwart, wie der kubanisch-amerikanische Denker José Esteban Muñoz sie beschrieben hat. Dabei soll ein Gefühl für das utopische Potenzial der Kunst, für einen utopischen Horizont vermittelt werden: Die Kunst als generativer Raum zum Experimentieren, in dem sich verschiedene Bedürfnisse und Verlangen formulieren, queere Beziehungen und Verflechtungen entfalten können. Ein Raum im Einklang mit dem, was der Autor als „ekstatische Zeit“ bezeichnete.

Die 30 präsentierten Arbeiten reichen von Performance-Videos, der filmischen Dokumentation von Land-Art-Projekten zu Video-Skulpturen und Bewegtbild-Installationen bis hin zu Film- und Fotoarbeiten sowie lyrischen Werken. Historische Arbeiten wie die von Nancy Holt (sowie Holt gemeinsam mit Robert Smithson), Joan Jonas, Mary Lucier und Anthony McCall, in denen der Fokus auf Materialität und Prozess liegt, setzen das Formale mit konzeptuellen Überlegungen jüngerer Werke von Künstler*innen wie Heike Baranowsky, Rosa Barba, Carol Bove und Jeppe Hein in Bezug. Diese treten wiederum in Dialog mit den Arbeiten von DIS, Barbara Hammer sowie Wolfgang Tillmans, aber auch A. K. Burns und A. L. Steiners, die sich um Fragen zu Identität und Begehren drehen. In seiner bislang umfangreichsten Präsentation in Europa werden vier große Videoinstallationen von Jacolby Satterwhite zu sehen sein, in denen er seine Performance-Praxis mit CGI-Traumlandschaften fusioniert und queeres Ritual sowie das politische Potenzial von Software erforscht. Als Vorreiter zu Satterwhites Bilderflut können zwei Videoskulpturen von Nam June Paik gelesen werden.
 
Die Ausstellung umfasst darüber hinaus eine Neuauflage des Leseraums des Verlages Cassandra Press, der bereits seit 2021 in der JSC Berlin installiert ist. Es handelt sich um einen diskursiven Raum, in dem Besucher*innen sich mit Schwarzer Forschung und Wissenschaft zu Themenfeldern, Konzepten und Prozessen wie doppeltes Bewusstsein, Performativität und Reparationen vertraut machen und ihre Kenntnisse vertiefen können. Precious Okoyomons Gedichte haben sich in der Außenhülle des Gebäudes eingenistet, sind im Außenraum als Audioaufzeichnungen zu hören. Cauleen Smith ist mit einer Videoarbeit in der Ausstellung sowie mit der Installation Sky Learn Sky (2022) vertreten, die sich über die gesamten Fensterfronten sowohl in den Innen- als auch in den Außenraum erstreckt und somit das Gebäude in eine Art Bewegtbild-Installation verwandelt. Wie der von Smith gewählte Titel ist auch der Ausstellungstitel den Worten Alice Coltranes entlehnt, die in ihrem spirituellen Leben unter dem Namen Swamini Turiyasangitananda bekannt war: „At dawn, sit at the feet of action. At noon, be at the hand of might. At eventide, be so big that sky will learn sky“ [In der Morgendämmerung sitze der Tat zu Füßen. Am Mittag sei der allmächtigen Kraft zur Hand. Zur Abendstunde sei so groß, dass der Himmel Himmel zu sein lernt].

Wie und wo verorten wir das Utopische im Alltag und in der Kunst? Warum ist es wichtig, sich andere mögliche Lebensweisen zu vergegenwärtigen, eine andere Zeitlichkeit, andere Räume, auch wenn dies angesichts der Gewalt, die den Status quo bestimmt, manchmal naiv erscheinen mag? at dawn zeigt beispielhaft wie Künstler*innen spirituelle, psychologische und physische Enklaven für sich beanspruchen, die darauf drängen, dass etwas Anderes, etwas Besseres, in einer neuen Zeit bevorsteht.

Kurator*innen: Lisa Long with Julia Stoschek
Kuratorische Assistenz: Eugene Yiu Nam Cheung