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1 September – 9 Oktober 2022
Eröffnung: 1. September 2022, um 18 - 21 Uhr
Der Künstler Armin Boehm wird bei der Eröffnung persönlich anwesend sein.

ARMIN BOEHM. From Gloom to Night

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From Gloom to Night
Wolfgang Ullrich

Seit einigen Jahren ist es auf Armin Boehms Gemälden Nacht geworden. Schien um 2015 herum noch öfters die Sonne, wenngleich meist schon fahl, so folgten Bilder in der Dämmerung, und seit 2018 werden die Himmel immer noch schwärzer. Manchmal ist der Mond oder sind Sterne zu sehen, aber das Licht kommt fast nur aus künstlichen Quellen: von Lampen, Leuchtreklamen, Scheinwerfern. Das wirkt grell oder sogar so, als werde eine Straßenszene oder ein Interieur gezielt angestrahlt, weil etwas Schlimmes – ein Unfall oder ein Verbrechen – passiert ist. Die unheimliche Atmosphäre der Nacht wird durch das Licht also noch verstärkt.

In der westlichen Malerei gibt es eine große Tradition von Nachtbildern. Oft wird der gekreuzigte Jesus bei Nacht gezeigt, am berühmtesten wohl von Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar, der damit Tod und Trauer symbolisiert. Auch Darstellungen der Apokalypse sind meist Nachtbilder. Sie sind von Feuer oder Kometen ausgeleuchtet, in der religiösen Malerei genauso wie in modernen Untergangsphantasien. Vor allem in der Zeit um den Ersten Weltkrieg herum häufen sich unheilverkündende Nachtbilder, von Ludwig Meidner über Otto Dix bis zu Max Beckmann. Im Jahrhundert davor waren es hingegen die Romantiker, Maler wie William Blake, Johann Heinrich Füssli und Caspar David Friedrich, die ihre Bilder häufig in der Nacht ansiedelten. Für sie bedeutete die Nacht nicht nur ein Ende des Tages und ein großes Sterben, sondern ließ zugleich auf einen neuen Tag hoffen: Irgendwann würde es wieder hell werden.

Armin Boehm kennt die verschiedenen Ikonografien der Nacht, aber er zitiert sie in seinen Bildern nicht einfach nur, sondern er führt sie weiter. Denn einige Entwicklungen der letzten Jahre kann er nicht anders als bedrohlich, ja als beängstigend – oder gar als apokalyptisch? – wahrnehmen. Wird die gesellschaftliche Stimmung nicht immer aggressiver? Nimmt der Zwang, sich politisch-weltanschaulich zu positionieren, nicht zu? Und driften daher nicht zunehmend mehr Menschen ins Extreme und Radikale? Entladen sich nicht sowohl in den Sozialen Medien als auch auf den Straßen Unmengen an Hass und Wut? Herrscht nicht ein unerklärter Krieg zwischen den Geschlechtern, zwischen Mensch und Natur, zwischen großen Konzernen und einzelnen Bürgern, zwischen den Generationen, den Klassen, den Ethnien? Dazu kommen Krisen wie die Pandemie, die die Lage weiter verdüstern. So entsteht insgesamt das Bild einer Gegenwart, die ziemlich aus den Fugen ist und in der es jederzeit zu einem totalen Zusammenbruch kommen könnte.

Diese beklemmende Diagnose bringt Armin Boehm auf seinen Gemälden immer wieder prägnant zum Ausdruck – und das bei weitem nicht nur im Motiv der Nacht. So tauchen Reizthemen wie Donald Trump, Pepe the Frog oder Regenbogenfahnen auf, die für das erregte heutige Gesellschaftsklima stehen; Sujets aus der Welt der Comics oder Medien erscheinen auf einmal genauso real wie Menschen, so als seien sämtliche Hierarchien durcheinandergeraten. Außerdem sind manche von Boehms Figuren ekstatisch und panisch erregt, andere hingegen wirken kraftlos, erschöpft, geradezu apathisch: Auch hier dominieren also Extreme. Nie aber harmonieren die Figuren miteinander, sondern scheinen, so sehr sie einen Bildraum teilen mögen, in verschiedenen, unvereinbaren Welten zu leben.

Am häufigsten jedoch sind sie mit sich selbst uneins. Sie haben dann mehrere Gesichter zugleich oder zumindest zusätzliche, oft zudem verformte Münder, Augen, Nasen, Zungen. Die herkömmliche physiognomische Ordnung ist also aufgelöst, wobei sich nicht entscheiden lässt, wann die Figuren aufwendig-monströs maskiert sind, wann hingegen gehäutet und misshandelt. Beides aber zeugt von Ausnahmezustand und Eskalation, denn entweder muss man sich zum eigenen Schutz möglichst abschreckend verkleiden oder aber man ist bereits Opfer fremder Gewalt geworden und entsprechend entstellt. Dass Boehm sich dabei nicht damit begnügt, seine Sujets zu malen, sondern dass er zusätzlich mit Stoffen arbeitet, die er ausschneidet und auf den Malgrund klebt, verstärkt den Eindruck, es mit Gesichtern zu tun zu haben, die plastisch deformiert sind.

Neben den Gesellschaftsbildern, in denen Armin Boehm sich ähnlich wie sein Lehrer Jörg Immendorff als großer Zeitdiagnostiker erweist, gibt es von ihm Interieurs, Stillleben, Porträts. Aber auch auf diesen viel ruhigeren, gar intimen Bildern ist es meistens Nacht, oder es sind zumindest Motive zu sehen, die sich damit assoziieren lassen: Katzen, die nachts am aktivsten sind, Vorhänge, hinter denen man sich zum Schlaf zurückziehen kann. Oder es spiegelt sich etwas in einer Glasscheibe vor nächtlichem Hintergrund. Blumen haben zum Teil ihre Farben verloren, in jedem Fall aber stehen sie in Vasen, sind also bereits abgeschnitten und tot. Tische haben schwarze Platten, Räume wirken leer.

Das alles zusammen bereitet eine Stimmung, die zwar nicht akut gefährlich anmutet, dafür aber auf eine zeitlosere Weise unheimlich ist. Hier wird eine existenzielle Dimension nächtlicher Lebenswelten spürbar; die gesellschaftspolitische Düsternis, die Boehm umtreibt, erfährt eine Erhöhung und Läuterung durch Motive, die unabhängig davon sind. Das nimmt seinen Zeitdiagnosen nichts von ihrem Schrecken, bereitet aber immerhin die Möglichkeit, sie in einem anderen, freieren Modus zu vergegenwärtigen und zu reflektieren.