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Das Objektiv als Auge in die Welt Der Fotografie als Abbild der Wirklichkeit und damit dem Objektiv als Imitat des menschlichen Auges, das uns einen Blick in die Welt erlaubt, widmet sich die Ausstellung Ansichtssache im Kunstraum Niederoesterreich. Hinterfragt wird die Objektivität der Fotografie, in den Vordergrund rückt der Aspekt des Subjektiven, der durch Verschiebungen von Standpunkten sichtbar gemacht werden kann. Die Kuratorin Jutta Strohmaier setzt mit den gezeigten Positionen zwei Schwerpunkte: inhaltlich begegnen uns vorrangig Landschaftsbilder und Darstellungen von Raum, wobei das Abbild als statisches Produkt der Wirklichkeit immer hinterfragt wird. Der technisch-mediale Aspekt der Schau geht der Frage nach, in wie weit und in welche Richtung sich das Medium Fotografie ausdehnen kann. Das Rohmaterial für seine Videoarbeiten zieht Dariusz Kowalski von Webcams aus dem Internet ab, die Wetterdaten in Alaska, speziell auf kleineren Flughäfen sammeln. Kowalsky schafft durch collageartiges Montieren der einzelnen Bildsequenzen eine eigene Dramaturgie, bei der Objekte wie Flugzeuge und Autos sich förmlich im weißen Raum auflösen. Spuren im Filmmaterial durch das starke Sonnenlicht lassen den Filmvorgang selbst wieder ins Bewusstsein treten, arbeiten gleichsam gegen die Auflösung im weißen Raum.

Von der Raum - wahrnehmung Thomas Freiler hat mit der selbst gebauten Kamera namens CO-05, die mittels zweier Objektive jeweils zwei Bilder gleichzeitig aufnimmt, das Haus Jacobson in Berlin fotografiert. Überarbeitet und zu einer Bildsequenz montiert, kann der Betrachter nun mittels einer 3D-Brille die Fotos des mit Arne Jacobsen Möbeln ausgestatteten Hauses wie ein 3D Modell förmlich erleben. Freiler imitiert also mittels seiner speziellen Fotografien die menschliche Raumwahrnehmung. Katharina Gaenssler fotografiert Räume systematisch ab und zerlegt den Raum dabei gleichsam bildhaft in seine Einzelteile. Die immer unter leicht anderen Lichtverhältnissen oder Winkeln entstehenden Raumfotografien werden anschließend wieder zu einem Ganzen montiert. So entsteht aus einer Vielzahl an Fragmenten, überdimensionalen Pixeln gleich, ein verzerrtes Abbild des Realraumes. Der Betrachter findet sich wieder zwischen Raumabbildung und Zerfall des Raums in seine Einzelteile.

Gegen die Allsicht Als experimentelle, kartografische Fotografie bezeichnet Michael Aschauer sein Danube Panorama Projekt Dun.AV, bei dem das Donauufer mittels eines speziellen Verfahrens der Fotografie im Vorübergleiten durch einen sehr schmalen Schlitz aufgenommen wird. Das so entstandene Video hat aufgrund der Bewegung der Kamera parallel zum abzubildenden Objekt keine räumliche Tiefe. Als panoramatische Abbildung ist Aschauers Arbeit eine Absage an zentralperspektivische Darstellungen und Raumwahrnehmung. Katarina Matiaseks fotografische Landschaftsfotos mit dem Titel Horizonte entziehen sich aufgrund eines speziellen Druckverfahrens einem fixierenden Überblick oder der Allsicht durch den Betrachter: Ihre Deckkraft variiert bei unterschiedlichen Blickwinkeln, sie werden nur dort ausschnitthaft sichtbar, wo man direkt vor ihnen steht. Nur im Gedächtnis lassen sich die Bilder vollständig zusammen fügen.

Kartografie von Erinnerungsspuren und deren Auslöschung Nina Dicks Raumabbildung liegt die reale Raumerschließung zugrunde. In ihrer Videoarbeit lässt uns Dick an einer Stadtrundfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln teilnehmen, die sie mitgefilmt hat. Allerdings sehen wir nicht die tatsächlichen Häuserzeilen, sondern nur die Konturen der Gebäude. Diese grafische Spur als „Abstraktion des Weges“ kann an Horizontlinien erinnern, vielleicht aber auch an die Frequenz unseres Herzschlages. Birgit Graschopf hat sich für ihre Fotoinstallation „Tischbakterien“ mit der Geschichte des Kunstraums Niederoesterreich auseinandergesetzt, der einst als Kantine für die Landesbediensteten gedient hat. Graschopf benutzt die sog. Liquid Fototechnik, um Wände als Bildträger lichtempfindlich zu machen und belichtet die ehemalige Kantinenwand mit Bildern von Menschen bei Tisch. Graschopfs Arbeit verblasst mit der Zeit, zersetzt sich schließlich vollständig und demonstriert so eine bildliche Umsetzung des Vergessens.

Tatiana Lecomtes Serie von Landschaftsbildern wurde in Ebensee aufgenommen, wo es ein Nebenlager von Mauthausen mit Decknamen “Zement“ gegeben hat, auf das heute nur noch wenige Spuren schließen lassen. Viele solcher kleineren Gemeinden haben sich unauffällig in die „geschichtslose“ Nachkriegsgesellschaft eingefügt. Weiß und ohne Erinnerungsspuren ist daher die Fläche in der Mitte der Fotografien, die während des Belichtungsprozesses abgedeckt worden ist. Stehen geblieben ist ein Teil der Ebenseer Landschaft am Rand des Fotopapiers, der als Rahmen für das weiße Vergessen fungiert. Edgar Lissel demonstriert uns einen poetischen Zugang zu Erinnerung, indem er uns gleichzeitig mit unserem Spiegelbild und Schatten konfrontiert. In einem dunklen Raum befinden sich an der Rückwand vertikale Streifen aus Spiegelglas und fluoriszierendem Material. Betritt man den Raum, wird ein Blitz ausgelöst, dessen Licht die nachleuchtende Substanz auflädt und nur unseren Schlagschatten an der Wand ausspart. Beim nächsten Schritt sieht man den eigenen Schatten „stehen bleiben“ und gleichzeitig das eigene Spiegelbild in Bewegung. Lissel macht Erinnerung des Körpers sichtbar.

Die Auffassung von Wahrnehmung als aktive Tätigkeit unserer Sinne und unseres Gedächtnisses zieht sich als roter Faden durch die Ausstellung. Das Bild selbst wird zum Ort der Konstruktion, der Betrachter als Mitkonstrukteur unerlässlich.

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Ansichtssache
Kuratorin: Jutta Strohmaier

mit Michael Aschauer, Nina Dick, Thomas Freiler, Katharina Gaenssler, Birgit Graschopf, Dariusz Kowalski, Tatiana Lecompte, Edgar Lissel, Katarina Matiasek