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KUB Arena

Die futuristische Oper Sieg über die Sonne wurde 1913 im Lunapark-Theater in St. Petersburg uraufgeführt und suchte »auf Grundlagen von Wort, Malerei und Musik ein Kollektivwerk (zu) schaffen«. Ihre Autoren – die Dichter Welimir Chlebnikow und Alexei Krutschonych, der Komponist und Maler Michail Matjuschin und der Maler Kasimir Malewitsch – wollten mit der Oper ein »antiharmonisches« Werk gegen den Duktus ihrer Zeit konstruieren. Dies geschah im zaristischen Russland in den Jahren zwischen industrieller Modernisierung und bäuerlicher Leibeigenschaft und nach den ersten Revolutionsversuchen im Jahr 1905. Während die italienischen Futuristen schon vor dem Ersten Weltkrieg in ihrer Technikbegeisterung eine Maschinerie propagierten und gegen die Menschen in Stellung brachten, ging der russische Futurismus von einer Zukunftsidee aus, die nur durch eine grundlegende Dekonstruktion der kaum industrialisierten Gegenwart möglich schien.

Anfang gut. Alles gut. ist das Langzeitprojekt einer stetig wachsenden Gruppe von derzeit 40 internationalen KünstlerInnen, MusikerInnen, ArchitektInnen und AutorInnen, die diese Fäden der Vergangenheit aufgreift und aktualisiert: Seit 2008 arbeiten die Beteiligten unter Rückgriff auf den historischen Text und die Dokumentationen seiner Aufführungen sowie der Rezeptionen der Oper daran, geeignete Formate zu entwickeln, die das fast 100 Jahre alte Material in zeitgenössische Formen übersetzen und in die Gegenwart überführen. In einem ersten Schritt haben die beteiligten ProduzentInnen zunächst einzelne Aspekte der Oper wie Charaktere, Kostüme, Bühnenbild, Text, Musik oder Lichtsetzung ausgewählt und zum Ausgangspunkt einer künstlerischen Auseinandersetzung gemacht. Die Ausstellung in der KUB-Arena von Juli bis Oktober 2011 zeigt erstmalig die in diesem Prozess entstandenen Aktualisierungen beziehungsweise Neuproduktionen, die vor allem während einer einmonatigen Ausstellungsund Veranstaltungsserie im Mai 2011 im basso Berlin entstanden sind. Neben der Präsentation aller bislang produzierten Arbeiten – unter ihnen Texte, Installationen, Fotografien, Zeichnungen und Kompositionen – bietet ein umfangreiches Begleitprogramm mit Performances, Vorträgen und Workshops die Möglichkeit, die Arbeit an dem historischen Material im Dialog mit den Werken fortzusetzen und die mögliche aktuelle Relevanz des russischen Futurismus in seinen Chancen und Gefahren zu erschließen.

Mit dem Projekt Anfang gut. Alles gut. wird die Vergangenheit mit einer Gegenwart konfrontiert, in der die Nostalgie der revolutionären Zeiten à la mode ist und in der Hochkultur meist folgenlos eine politische Aussage angedacht wird. Der Blick zurück auf die futuristische Oper Sieg über die Sonne ist somit keiner auf eine heroische Erscheinung, denn sie war kein Vorbote der Revolution vier Jahre vor deren vorläufigem Erfolg. Der vor-revolutionäre Futurismus, der in der Oper zum Ausdruck kommt, wird vielmehr in die nach-revolutionäre, massenkulturelle Gegenwart übersetzt, in der die festen Umrisse künstlerischer Bewegungen längst nicht mehr eindeutig identifizierbar sind. Vor diesem Hintergrund setzt sich Anfang gut. Alles gut. als Zusammenschluss künstlerischer Einzelwerke gerade mit den Disharmonien des futuristischen Originals auseinander, ohne es als nostalgische Glorifizierung zu inszenieren.

Die teilnehmenden ProduzentInnen sind: Katrin Bahrs (Hamburg), Thomas Baldischwyler (Hamburg), Roger Behrens (Hamburg), Mareike Bernien/Kerstin Schroedinger (Berlin/London), Ruth Buchanan (Berlin), Nine Budde (Berlin), Robert Burghardt (Berlin), Natalie Czech (Berlin), Yusuf Etiman (Berlin), Jean-Pascal Flavien (Berlin), Devin Fore (New York), Kirsten Forkert (London), Emma Hedditch (London), Fox Hysen/Susanne M. Winterling (Berlin), Oliver Jelinski (Berlin), Christiane Ketteler (Berlin), Anja Kirschner/David Panos (London), Kazimir Malevich (St. Petersburg), Nicholas Matranga (Berlin), Ruth May (Hamburg), Katrin Mayer / Heiko Karn (Berlin), Michaela Melián (München), Jan Molzberger (Berlin), Avigail Moss (Los Angeles), Andreas Müller (Berlin), Ulrike Müller (New York), Harald Popp (Hamburg), Johannes Paul Raether (Berlin), David Riff (Moskau), School of Zuversicht (Hamburg), Schroeter und Berger (Berlin), Jessica Sehrt/Jeronimo Voss (Frankfurt a. M.), Sieg of Sonne Orakel (Berlin), Amy Sillman (New York), Tillmann Terbuyken (Hamburg), Tschilp (Hamburg), Dimitry Vilensky (St. Petersburg), Marina Vishmidt (London), Peter Wächtler (Brüssel), Ian White (Berlin / London).

Initiiert wurde das Projekt von Eva Birkenstock, Nina Köller und Kerstin Stakemeier.

Ein umfangreicher, durch den Hauptstadtkulturfonds Berlin geförderter Katalog wird alle bislang realisierten Projekte, Aufführungen und Veranstaltungen von Anfang gut. Alles gut. dokumentieren, ins Buchformat übersetzen und dabei mit Aufsätzen begleiten (Erscheinungstermin Oktober 2011).