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27.01.2023 - 14.05.2023
G2 Kunsthalle, Leipzig
Eröffnung: 26 January 2023, 18 – 21 Uhr

ANDREAS SCHMITTEN. VITRINEN

Die G2 Kunsthalle präsentiert mit VITRINEN einen Überblick über die Arbeiten des Bildhauers Andreas Schmitten, dessen Werk sich zwischen Skulptur, Installation und Zeichnung bewegt. Schmitten beschäftigt sich mit Prozessen der menschlichen Geschichts-, Gesellschafts- und Kulturbildung über Objekte, die immer wieder Assoziationen zu herkömmlichen Erzeugnissen des Menschen eröffnen. Die Ausstellung legt den Fokus auf die Vitrinenarbeiten des Künstlers. Ergänzt wird der Blick auf sein Werk durch Zeichnungen und freistehende Skulpturen.

Den Ursprung des modellhaften Einflusses der kühl anmutenden Schaukästen liegt in der Kindheit Schmittens. Als Kind baute er Modelle frei erdachter Räume oder Kulissen aus Filmen nach. In seinen Vitrinen blicken wir auf Objekte, die räumlich inszeniert sind und immer wieder Assoziationen zu uns bekannten Dingen auslösen. Diese entwickeln dabei eine eigene Ästhetik und Bildsprache, die über die uns vertraute hinausgeht und somit eine Irritation auslöst, die eine Neubetrachtung des Bekannten fordert.

In der Vitrine Dämmerung platziert Schmitten vier Holzobjekte auf einer Glasplatte vor einem, von Nähten durchzogenen, gelben Stoffhintergrund. Die Objekte eröffnen Assoziationen zu Holzschränken, Turm- und Dacharchitekturen oder Särgen. Durch die unterschiedlichen Größenverhältnisse wirken die Gegenstände wie Figurenensembles und -kompositionen, die an wissenschaftliche Typologien erinnern und so einen Bezug zum Ursprung der Vitrine als funktionaler Träger naturwissenschaftlicher Naturalien und archäologischer Artefakte eröffnet. Im Hintergrund zieht sich Garn wie Narben durch den Stoff und kontrastiert durch die zeichnerisch anmutende Besetzung des Untergrundes die strenge Anordnung und statische Formgebung der Skulpturen. Die glänzende, aseptische und homogene Oberfläche der keramikartigen Skulpturen, die sich in den Vitrinen Schmittens finden lassen, geben keinen Aufschluss über das Innere, und verwehren sich so konsequent einer über die Oberfläche hinausgehenden Deutung. Dieser endogene Schutzcharakter wird durch die öffentliche Repräsentation kontrastiert. Schmittens Vitrinen lassen durch die Ambivalenz der scheinbaren Erreichbarkeit und Nähe bei gleichzeitiger tatsächlicher Unerreichbarkeit und Distanz durch das schützende Glas eine attraktive Aura entstehen. Er schafft Kontraste zwischen dem Innen und Außen; stumpfer und glatter Materialität; dem Gezeigten und dem Verborgenen. Der Künstler lässt uns durch seine Schaukästen in zeitlose Bildwelten blicken, die immer wieder Bezüge zum archaischen Ursprung kollektiv genutzter Gegenstände eröffnen und trotz ihrer Abgeschlossenheit eine Umgebung skizzieren, die über die Grenzen der Vitrine hinweg eine illusionistische Räumlichkeit bilden.

In den älteren Vitrinen Schmittens kommt der menschliche Körper nur in funktionalen, an den Menschen angepassten Objekten vor, die durch ihre weichen und runden Formen Körperlichkeit nachzuahmen scheinen. In den jüngeren Arbeiten Schmittens hingegen bilden sich aus der leblosen Materie immer wieder konkrete, menschliche Bezüge heraus. An der größten Wand im zweiten Raum der G2 Kunsthalle bilden Arme in den vier Arbeiten Zeichensysteme, die sich mit inneren psychischen Vorgängen beschäftigen. Die artifiziellen und stilisierten Fragmente formen archaische Ornamente und beziehen sich sowohl auf sich selbst, als auch nach außen.

Das höher gelegene Kabinett im ersten Ausstellungsraum, in dem Schmitten die Skulpturen Geburt und Die Andere zeigt, erhält einen eigenen überdimensionierten und betretbaren Schaukastencharakter. Die lackierten Bronzen erinnern stark an sanitäre Keramikamaturen. Die sterile Oberfläche lässt keine Unreinheiten oder Fehler zu. Die Beckenform, ein sich wiederholendes Motiv in Schmittens Werk, eröffnet einen komplexen Assoziationsspielraum zwischen Inhalt und Leere, Aufnahme und Abgabe, Reinheit und Schmutz und Inklusion und Exklusion. Gleichzeitig erhalten die Skulpturen durch die hiesige Positionierung auf einem Sockel und der Erhöhung des Raumes eine altar-ähnliche Ästhetik, die eine Rekontextualisierung von profanem Waschbecken zu sakralem Weihbecken ermöglicht.

In der Arbeit Für Dich, ohne dich zeigt Schmitten vier Schaukästen mit eigenwilliger Form, die an alte Fernseher, Luftschächte oder Kohleöfen erinnert. Das Behältnis entwickelt eine formelle Eigenständigkeit und dient nicht nur als Träger des Inhaltes. Drei der vier Fenster scheinen den Blick zu verwehren. Wir blicken auf einen Vorhang, der ein homogenes Muster bildet und eine Irritation in der Wahrnehmung der Materialität auslöst. Der Vorhang als alternierendes Element zwischen Verdecken und Enthüllen erschafft einen spannungsreichen, dramaturgischen Moment und erinnert hier durch die exakte Anordnung an Fassaden historischer Säulenarchitektur. Ein Fenster gibt den Blick auf ein Rückenfragment aus Keramik frei. Dieses schwingt in seiner Assoziation zwischen antikem, archäologischem Fragment und technoider, menschlicher Imitation. Die von Innen nach Außen strebende Performation des Körpers erinnert zum einen durch einen blühenden Zweig, der aus einem der Öffnungen herauswächst, an ein dekoratives vasenähnliches Behältnis und zum anderen an röhrenförmige, offene Adern, die als verbindendes Element die Trennungslinie zwischen der inneren und der äußeren Sphäre überwinden.

Andreas Schmitten gewährt einen Blick in seine Inszenierungen, die archaische und instinktive Gefühle und Mechanismen über die Entrückung vertrauter Umgebungen und Objekte auslösen. Es eröffnen sich Illusionen und Ambivalenzen von Kontexten, welche zu Spektren allegorischer und philosophischer Überlegungen führen.

Text: Leo Wedepohl