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Der Kunstpreis „Europas Zukunft“ wurde 2003 aus dem Wunsch heraus ins Leben gerufen, junge KünstlerInnen aus postkommunistischen Ländern für ihre künstlerische Arbeit auszuzeichnen und damit das Verstehen, das Miteinander und das Zusammenwachsen in Europa zu fördern. Der mit 5.000 Euro dotierte Kunstpreis, der inzwischen zu einem wichtigen Preis im Bereich der gegenwärtigen Kunst geworden ist, ist als eine Ermutigung für junge KünstlerInnen gedacht, ihren künstlerischen Weg fortzusetzen. 2010 wird der Preis modifiziert: Er öffnet den Kreis der AdressatInnen des Kunstpreises und bezieht künstlerische Positionen aus ganz Europa ein. Der Radius überschreitet dabei die Grenzen der Europäischen Union und bezieht sich auf einen potenziellen gemeinsamen historischen und kulturellen Raum. Der Preisträger für das Jahr 2011 ist CHRISTODOULOS PANAYIOTOU.

Richtete sich dieser Kunstpreis von 2003 bis 2008 zunächst an jüngere KünstlerInnen aus postkommunistischen Ländern, so überschreitet die Auslobung des Preises seit 2010 die Grenzen der Europäischen Union und bezieht sich auf ein Europa, das einen gemeinsamen kulturellen und geistigen Raum beschreibt und dessen Grenzen nicht scharf zu ziehen sind.

Dass der diesjährige Preisträger aus Zypern kommt, kam von ungefähr, will heißen: es war nicht geplant! Aber wo, wenn nicht in Zypern lassen sich all jene Konflikte finden, die Europa eben nicht zu einem statischen Gebilde machen, sondern zu einem Projekt, welches immer wieder neu ausgehandelt werden will, gerade weil Grenzen nicht scharf zu ziehen sind, wie es in der erwähnten Zielsetzung heißt. Aus Zypern, kommt der Künstler Christodoulos Panayiotou. Zypern, das erst seit dem 1. Mai 2004 Mitgliedsstaat der europäischen Union ist, dessen geografisches Territorium zu Asien zählt, zwei unterschiedliche Volksgruppen beheimatet und heute geteilt ist in eine Türkische Republik Nordzypern, allein anerkannt von der Türkei selbst, und dem griechischsprachigen Südteil Zyperns – dieses Zypern bildet den Hintergrund, die Folie vor der sich die Werke Christodoulos Panayiotous erschließen. Progrome und ethnische Säuberungen bestimmen ebenso die Geschichte des Inselstaates, wie ein bis heute gültiges Waffenstillstands-abkommen und eine so genannte Green Line als Waffenstillstandslinie, die inzwischen an Durchlässigkeit wieder gewonnen hat. Auf einer Seite, in der im Süden gelegenen Hafenstadt Limasso wurde 1978 Christodoulos Panayiotou geboren. Und nicht von ungefähr, bildet nationale Identität oder besser Identitätssuche, ein immer wiederkehrendes Thema in den Werken des Künstlers. Er sind die Bilder, die in diesem Prozess nationaler Konstitution Eingang in die Archive gefunden haben, etwa in dem der Zeitung „Phileleftheros“, und das Interesse von Panayiotou berühren. Aus diesen nationalen Foto- und Pressearchiven speist er seine Projektoren, einzeln im abgedunkelten Raum positioniert, oder als Mehrfachprojektion: drei zeitgleich nebeneinander auf der Wand erscheinende Fotografien von Detonationen, bei denen sich die Frage stellt: zeigt dies ein Fischen mit Dynamit in Strandnähe oder die Vernichtung von Munition? Oder sind es Bilder eines Angriffs eines nicht sichtbaren Aggressors? Gefolgt vom Einzelbild eines steinernen Löwens, dem eines Santa Claus beim Verteilen von Geschenken, einer mediterranen Villa im gleisenden Sonnenlicht, dem Bild einer Frau beim Putzen einer Treppe, einer Gay-Parade, eines Jesusbildes, einer Party, Miss Zypern, die Fotografie einer hellenistischen Skulptur, ... . Die Art und Weise des Aufbaus der Werke, das Rattern der Projektoren, ihr zeitweiser Gleich- und dann wieder Gegenlauf, bilden nicht nur den akustischen Kontrast zu gerahmten Fotografien oder Relikten von Performances, die gegenüber den Projektionen umso eingefrorener wirken. Dabei hinterfragt Panayiotou mit der von ihm getroffenen Auswahl von Motiven nicht nur die Rolle der Medien während der kulturpolitischen Prozesse um Identitätsstiftung und -findung Zyperns, sondern zugleich die Rolle der Fotografie. Denn augenscheinlich, und dies ist dem äußerst subtilen Blick und Gespür des Künstlers bei der Auswahl der Bildmotive zu verdanken, fächert sich hier nicht eine allein zypriotische Ikonographie auf, sondern Bildkosmen, die eher als paradigmatische Versuchsanordnungen zu lesen sind. Paradigmatisch deswegen, weil der Künstler bei der Anordnung seiner Fotoserien oder den Tableaus ehemaliger Performances ganz grundsätzlich eine Abfolge bedeutungstragender Elemente, respektive Motive vermeidet. So entstehen scheinbar Zwischenräume, Lücken oder poetischer: Momente der Abwesenheit. Diese Momente lassen sich als signifikante Leerstellen im Werk Panayiotous ausmachen, die den Betrachter zu imaginativen, intellektuellen Eigenleistungen auffordern. Mit dem Begriff der Abwesenheit ist zugleich dessen Gegenteil, die Anwesenheit, Präsenz, aufgerufen, die sich an dieser Stelle durch eine Co-Präsenz des Betrachters erfüllt und mit dem Künstler eine Komplizenschaft erlaubt. Es ist eben nicht allein die materielle und sichtbare Präsenz, die hier die Bedeutung des Kunstwerkes erzeugt, sondern das Abwesende und Unsichtbare. Hier tritt also ein junger Künstler mit seinem Werk in Erscheinung, das mit Blick auf Europa an Aktualität nur schwerlich zu übertreffen ist.
Matthias Wagner K

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alpha 2000. Kunstpreis Europas Zukunft
Christodoulos Panayiotou
Jury: Barbara Steiner, Matthias Brühl, Andreas Spiegl, Matthias Wagner K, Elke aus dem Moore, Ilina Koralova
Kurator: Ilina Koralova