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Mit seinen provokativen Möbelskulpturen von 1969 sorgte der führende britische Pop-Art-Künstler Allen Jones weltweit für Furore. 1979 wurde dem damals 41-jährigen eine erste große Retrospektive gewidmet, die in Liverpool, London, Baden-Baden und Bielefeld zu sehen war. Sein 70. Geburtstag wurde 2007 in der Tate Britain in London mit einer Schau aktueller Arbeiten sowie einiger früher Werke gefeiert. Nun lädt die Kunsthalle Tübingen rechtzeitig zu seinem 75. Geburtstag dazu ein, in der bislang umfangreichsten Retrospektive das Lebenswerk des international einflussreichen Künstlers wiederzuentdecken.

In der bislang umfangreichsten Allen-Jones-Retrospektive sind auch jene berühmt-berüchtigten Skulpturen von 1969 zu sehen, die zu Möbelstücken verdinglichte Frauen dar-stellen: eine mit ausgebreiteten Armen als Hutständer, eine in devoter Hundehaltung als Tisch, eine rücklings Liegende mit hochgebeugten Beinen als Stuhl - sie alle sind großbrüstig, barbusig, langbeinig und mit hohen Absätzen und Lederaccessoires bewehrt. Trotz erotischer Überhöhung wirken die Plastiken recht realistisch; offenbar so sehr, dass sie heute wie damals dazu in der Lage sind, nicht nur eingeschworene Pornografiefeinde auf den Plan zu rufen, sondern auch die Verkünder sexueller Selbstentfaltung.

»Dass alles nicht das ist, was es scheint« - so hat Allen Jones einmal die Leitidee seines Schaffens dargestellt, und so wäre es ein fataler Fehler, den dargestellten Inhalt mit der Botschaft des Kunstwerks zu verwechseln. Es sind Fiberglas und Stahl, die in die Möbelform gezwungen werden - und keine Menschen! Nicht um Frauenverachtung geht es dem Künstler, sondern um die Infragestellung von Denkverboten und sittlichen Schranken. Die umgangssprachliche Wendung »off the wall«, mit der Jones den ausstellungsbegleitenden Katalog übertitelt, lässt sich mit »unkonventionell«, »irre« oder »neben der Spur« ins Deutsche übertragen. In diesem Sinne befördert er triviale Themen wie sexuelle Anspielungen aus Werbung und Showbusiness in die bildende Kunst, um sie dort zu stilisieren und persiflieren. Doch ist das »off the wall« auch ganz wörtlich zu verstehen: weg von der zweidimensionalen Repräsentation, runter von der Wand, hinein in die Welt!

Mit den geformten Leinwänden seiner Bus-Bilder von 1962 sprengt er erstmals den Rahmen des Tafelbildes. Mit den erwähnten Sadomaso-Skulpturen von 1969 überschreitet er schließlich gänzlich die Schwelle vom Visuellen zum Haptischen, um sich dann wieder dem Bild anzunähern, etwa mit einer weiblichen Figur, die er 1991/92 aus einer abstrakten Komposition hervortreten lässt, oder bei Skulpturen, die ausgeschnittenen und gefalteten Bildmotiven gleichen. Mit dieser räumlich-bildlichen Ambivalenz interpretiert Jones das große Thema der Pop-Art: die Überschreitung der Barriere zwischen Kunst und Alltag. Dabei unterliegt er jedoch nie dem Fehlschluss, die Grenzen zwischen diesen beiden Sphären gänzlich niederreißen zu können. Vielmehr verteidigt er die Autonomie des Ästhetischen, etwa indem er Figuration auf Abstraktion treffen lässt, indem er Körperformen symbolhaft überzeichnet oder indem er, zwei Jahre vor Georg Baselitz, Motive auf den Kopf stellt. Sein Werk weist somit über den demokratisierenden Pop-Art-Impuls hinaus und verführt uns mit lustvoller Körperlichkeit in die Sphären kunsttheoretischer Reflexion.

1979 wurde dem damals 41-Jährigen eine erste große Retrospektive gewidmet, die in Liverpool, London, Baden-Baden und Bielefeld zu sehen war. Sein 70. Geburtstag wurde 2007 in der Tate Britain mit einer Schau aktueller Arbeiten gefeiert, denen einige frühere Werke gegenübergestellt waren. Die gerade rechtzeitig zum 75. Geburtstag des Künstlers in der Kunsthalle Tübingen ihren Ausgang nehmende Ausstellung vereint erstmals eine große Auswahl an Gemälden, Skulpturen und Arbeiten auf Papier aus einem Zeitraum von 1957 bis 2009. Diese in Zusammenarbeit mit dem Tübinger Institut für Kulturaustausch entwickelte, bislang umfangreichste Retrospektive lädt dazu ein, das Lebenswerk des international einflussreichen englischen Künstlers wiederzuentdecken. Große Pop-Art-Präsentationen haben in der Kunsthalle Tübingen Tradition. George Segal, Richard Hamilton, Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Duane Hanson, Tom Wesselmann und Mel Ramos wurden hier mit Einzelausstellungen bedacht. Dieser Kette wird nun mit Allen Jones eine weitere Perle hinzugefügt.

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Allen Jones
Die Retrospektive zum 75.