press release only in german

Tourismus ist längst zu einem grundlegenden Phänomen unserer mobilen Weltgesellschaft geworden. Die Spuren, die von Reisenden überall auf der Welt hinterlassen werden, sind sowohl Zeugnis einer stetig wachsenden Tourismusbranche als auch der Anfang einer globalen Bewegung, die den zeitgenössischen Menschen und die von ihm durchquerten Räume umfassend verändert. In der Ausstellung „All-Inclusive. Die Welt des Tourismus“, die vom 30. Januar bis 4. Mai 2008 in der Schirn zu sehen ist, werden Phänomene des Tourismus in zahlreichen künstlerischen Arbeiten dargestellt und kritisch hinterfragt. Dokumentationen, Parodien und künstlerische Verfremdungen klassischer touristischer Motive und Traumvorstellungen verknüpfen sich mit Themen wie Migration, Tourismuswirtschaft und globaler Kommunikation. Zu den rund 30 international bekannten Künstlerinnen und Künstlern, die an dem von Matthias Ulrich kuratierten Ausstellungsprojekt beteiligt sind, zählen u. a. Michael Elmgreen und Ingar Dragset, Ayşe Erkmen, Peter Fischli und David Weiss, Tracey Moffatt, Jonathan Monk, Santiago Sierra und Thomas Struth.

Die Ausstellung „All-Inclusive. Die Welt des Tourismus“ wird durch die Messe Frankfurt GmbH, den Verein der Freunde der Schirn Kunsthalle e. V. und die Smiths Heimann GmbH gefördert.

Tourismus ist insbesondere ein Desiderat, gefüllt mit immer wiederkehrenden Bildern von Schönheit, Sehnsucht, Erholung und Abenteuer. Der Tourist befindet sich auf dem Weg zu diesen Bildern, um sie zu bestätigen, zu verdoppeln und als Resümee des Urlaubs zu archivieren. Der britische Künstler Martin Parr etwa stellt in seinen Fotografien wie zu Klischees eingefrorene Verhaltensweisen von Touristen dar und entwickelt daraus seit Jahren ein vorwiegend dem eigenen Land gewidmetes Bild des Urlaubsverhaltens einer unterprivilegierten Gesellschaftsschicht. Auf ähnlichen Stereotypen gründen die artifiziellen touristischen Landschaften der Fotoserie „Fake Holidays“ des Österreichers Reiner Riedler. Auch hier bestätigt sich Peter D. Osbornes These, die besagt, dass die touristische Fotografie in erster Linie der Bestätigung und nicht der Entdeckung dient.

Die Attraktivität der Bilder verwandelt aber auch deren Gegenstände. Banale Orte werden gemäß den touristischen Bildern zu interessanten Urlaubszielen, berühmte Sehenswürdigkeiten beliebig in den Dienst genommen: Es entstehen Weltparks wie das „Fenster der Welt“ in Shenzhen mit Sehenswürdigkeiten aus aller Welt oder Projekte wie in Las Vegas und Dubai mit berühmten Versatzstücken anderer Städte und Kulturen. Ebenso künstlich und gleichzeitig Träger von Sehnsüchten sind perfekt inszenierte Orte, in denen im Sommer Ski gefahren und im Winter karibische Sonne getankt werden kann.

Der Tourismus ist von globaler Bedeutung, er mobilisiert, indem er Mobilität verlangt und diese auch ermöglicht – vom Einzelnen, der sich auf unbekannte Wege begibt und dabei neue Erfahrungen macht, bis hin zu ganzen Landstrichen, die sich in Sehenswürdigkeiten verwandeln, wie beispielsweise der baskischen Stadt Bilbao unter dem Einfluss des Guggenheim Museums. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich die komische, bisweilen absurde Inszenierung einer vom Tourismus unberührten Landschaft in Nepal in dem Film „Souvenir“ der amerikanischen Künstlerin Stuart Hawkins oder auch eine der provokanten Arbeiten des Spaniers Santiago Sierra, die 2001 auf der Ferieninsel Mallorca realisiert wurde.

Der gegenwärtige Tourismus konstituiert sich über Netzwerke, welche die Grenzen unterschiedlicher Kulturen und Nationen überschreiten, wodurch sich zwangsläufig auch binäre Begriffspaare wie Gastgeber und Gast, Einheimischer und Ausländer, verwurzelt und nomadisch zur Disposition stellen. Heute finden sich Reisende weniger mit spezifischen lokalen Gegebenheiten als mit anderen Subjekten des Lebens in der Weltstadt konfrontiert.

Auch für viele zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler gehört Reisen zum Alltag. Vieles davon kommt in ihren Werken direkt zum Ausdruck, etwa in einem sich um die eigene Achse drehenden Gepäckbeförderungsband des skandinavischen Künstlerduos Michael Elmgreen und Ingar Dragset oder dem riesigen Archiv touristischer Urlaubsfotografien der beiden Schweizer Peter Fischli und David Weiss. Erfahrungen mit bestimmten touristischen Orten, etwa dem Flughafen oder dem Hotel, machen heute bei weitem nicht nur Touristen. Die Mobilität des Individuums bestimmt das Arbeitsleben im kapitalistischen Wirtschaftssystem, das wiederum eine mobilitätsgerechte Gestaltung großer Teile der Welt mit sich bringt. Flucht als Motiv des Touristen, sich aus den alltäglichen Zwängen zu befreien und einem paradiesähnlichen Leben zuzuwenden, muss nach dieser Mobilisierungswelle neu behandelt werden. Denn nicht selten findet auf den Wegen des Tourismus eine andere Bewegung statt, die allerdings politisch und wirtschaftlich motiviert ist: Migration als stockender Gegenverkehr zum Tourismus. Die in Frankreich geborene marokkanische Künstlerin Yto Barrada beispielsweise hat diesen Dualismus in ihren Fotografien über Tanger und die Straße von Gibraltar eindrucksvoll festgehalten. Ähnliches unternimmt der in London lebende bulgarische Künstler Ergin Çavuşoğlu in seinem Film „Point of Departure“, in dem einander Transit- und Reiseräume innerhalb der beiden ost- und westeuropäischen Flughäfen von Stansted und Trabzon kreuzen.

Zu den ca. 30 internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die an diesem Ausstellungsprojekt beteiligt sind, gehören: Franz Ackermann, Atelier Morales, Yto Barrada, Guy Ben-Ner, Ergin Çavuşoğlu, Michael Dragset und Ingar Elmgreen, Peter Fischli und David Weiss, Siobhan Hapaska, Stuart Hawkins, Mark Hosking, Christoph Keller, Mingwei Lee, Annika Lundgren, Kris Martin, Tracey Moffatt, Jonathan Monk, NL Architects, Walter Niedermeyer, Martin Parr, Ralf Peters, Sascha Pohl, Reiner Riedler, Santiago Sierra, Thomas Struth, Won Ju Lim, Sislej Xhafa, Yin Xiuzhen.

KATALOG: „All-Inclusive. Die Welt des Tourismus“. Herausgegeben von Max Hollein und Matthias Ulrich. Mit einem Vorwort von Matthias Ulrich und zehn Texten, die aus einem öffentlichen Literaturwettbewerb zum Thema Tourismus hervorgegangen sind. Zudem werden alle Werke in der Ausstellung in kurzen Essays von April Elisabeth Lamm, Jessica Morgan und Matthias Ulrich beschrieben. 236 Seiten mit ca. 150 Abb. SNOECK Verlag, Köln. ISBN 978-3-936859-81-2.