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Alicja Kwade. Vom Gewicht des Nichts

20.02.2021 - 11.04.2021

Alicja Kwade (1979 in Kattowitz, lebt in Berlin) gehört unzweifelhaft zu den bekanntesten Künstlerinnen ihrer Generation. Sie bringt in ihren Werken Gegensätze zusammen und erweitert so die Grenzen unserer Vorstellungen von Wirklichkeit: Statisches trifft auf Zufälliges, Schwerkraft auf Schwerelosigkeit, Einzelnes auf Serielles, Kostbares auf Günstiges, Nähe auf Distanz, Endliches auf Unendliches oder Wissenschaft auf Intuition. Vor der Folie von Physik und Geschichte zeigen uns Kwades Arbeiten mehrere Wahrheiten, die parallel nebeneinander existieren können, und drängen darauf, unseren eingeübten Entweder-Oder-Modus zu verlassen. Das Ergebnis sind sinnliche, hoch ästhetische Anordnungen in minimalistischer Formensprache, die Gewissheiten außer Kraft setzen und Wirklichkeit als ein durch Menschen und gesellschaftliche Vereinbarungen geschaffenes und beständig veränderbares Konstrukt offenlegen.

Die Ausstellung Vom Gewicht des Nichts vollzieht diese Themensetzungen in frühen Filmen, Objekten, Fotografien und Installationen aus den Sammlungen Haus N und Sohst-Brennenstuhl nach und stellt damit grundlegende Werke und Fragestellungen von Kwades Schaffen zusammen.

So verhandeln etwa der Film Ein Tag in 7 min und 23 s (2006) und das Objekt Watch (2012) jeweils zwei parallel existierende Zeitmodelle. Ein Tag in 7 min und 23 s entspricht genau dem, was der Titel vorgibt: In zahlreichen Aufnahmen von Uhren aus unterschiedlichen Spielfilmen werden in etwas über 7 Minuten realer Laufzeit die 24 Stunden eines Tages nachvollzogen. Und in Watch hängt eine Uhr an der Wand. Ihr lautes Ticken gibt zwar das reale Vergehen der Zeit an, die genaue Uhrzeit bleibt jedoch hinter einem konkaven Spiegel verborgen. In Hemmungsloser Widerstand (2010) scheint wiederum ein ursprünglich dynamisch bewegter Moment gleichsam eingefroren. Ein Stein, vielleicht in einem Akt von aggressivem Protest in die Glasscheibe geworfen, durchdringt die Scheibe, ohne sie zu zerstören, und bildet stattdessen nun eine scheinbar unverbrüchliche Einheit mit ihr.

Übergabe (2011) ist eine so minimalistische wie faszinierende Rauminstallation. Hier hängen sich zwei Glühbirnen einander gegenüber. Das Licht scheint in einer ruhigen, regelmäßigen Bewegung von einer Glühbirne zur anderen zu wandern – und wieder zurück. Der Schatten der Birne, deren Licht schwächer wird, wird dabei von der jeweils heller werdenden an die Wand projiziert. Ein beständiger Kreislauf des Werdens, Vergehens und Weitergebens.

Vergangen ist auch der Spiegel, der einmal das Material von Looking glass (2012) gebildet hat. Er liegt als Glasstaub in einer Raumecke, aufgehäuft zu einer perfekten Pyramidenform. Der Gegenstand mag mittlerweile zerstört und seiner ursprünglichen Funktion beraubt sein. Durch die Zerstörung aber erfährt das Material in seiner glitzernden Kleinteiligkeit eine Transformation ins scheinbar Kostbare.

Ähnliche Umwertungsverfahren bilden die Grundlage von Kohle (1 T Rekord) und Rekord Kohle (beide von 2010). Hier macht Alicja Kwade banale Alltagsgegenstände wie Kohlebriketts zu Kostbarkeiten, indem sie deren Wertschöpfung durch subjektive, kulturell geprägte Zuschreibungen in den Blick nimmt. Beide Werke bestehen aus mit Blattgold überzogenen Bronzeabgüssen von Kohlebriketts der Marke Rekord, einmal als massive Skulptur auf einer lapidaren Holzpalette, einmal als Einzelstück ausgestellt unter einer Glashaube.

Under different conditions und Whiskey (beide 2008) fügen sich ebenfalls sinnhaft in das Kwade‘sche Spiel zwischen Wahrnehmungserwartung und -überraschung ein. Während die eine Arbeit eine zentnerschwere, massive Stahlplatte so auf dem Boden anordnet, als wäre sie wie Glas zersprungen, inszeniert die andere eine anregende Situation zwischen Wirklichkeit und deren Spiegelung, die über den eigenen Blick nicht aufzulösen ist und in einem poetischen Zwischenstadium verharrt.

Die Ausstellung Vom Gewicht des Nichts wird kuratiert von Ingo Clauß und Janneke de Vries.