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Wenn man 70 Jahre feiern kann und so gar nicht danach aussieht und noch viel weniger danach lebt, dann ist man schon sehr heutig, eben Alfonso Hüppi. Dann leistet man sich zum Geburtstag auch etwas Neu- und Abartiges, etwas dezidiert Unseriöses: Riesige blowups ganz kleiner, intimer Aquarelle, auf weisse Stoff-Rouleaus gedruckt, die wir - je nach Stimmung - hoch- oder einziehen können oder auch teilweise reffen, wie ein Segel der Wetterlage entsprechend. Kakemonos heutiger Technik, die Endloskordel rechts zum rauf- und runterziehen, jedoch nicht wie die ostasiatischen Vorbilder handgemalt sondern in der Technik heutiger leichtfüssiger Künstlerschaft, im letzten Schrei der Druckerkunst, ergo sind Hüppis Rouleaus Installationen und zudem interaktive.

Die Ursprungs-Werke, die kleinformatigen, leichten und leichtfüssigen Aquarelle seiner Gedankenspiele erhalten in der Macro-Vergrösserung etwas ins Unendliche Schwebendes, erreichen eine andere Dimension in einer anderen Region: „Wie im Himmel also auch auf Erden“. Nur so kann Hüppi die schweifenden Gedanken wieder binden, indem er sie in eine grössere Freiheit entlässt, in die er sie dann aber wieder einrollen kann.

Hüppi trägt, wie auch seine beiden Brüder, trotz des auf den kleinen Ort Hüppi in der Nähe von Bern zurückgehenden Familiennamens einen italienischen Vornamen, da der Vater bei der Schweizer Garde im Vatikan diente. Hüppi wurde in Luzern Silberschmied, was an den Akademien in Pforzheim und Hamburg dann einerseits zur Bildhauerei und andererseits zur Kalligraphie führte. Seine Malerei ist daher immer zugleich durch die Tendenz zum kalligraphischen Zeichen einerseits wie durch einen Hang zur Dreidimensionalität in sicheren Volumina andererseits bedingt. Das ist schon in den frühen Naturstudien von 1959 erkennbar und ebenso noch in den grossen Maltafeln, welche zumindest schräg vor der Wand stehen, sich oft aber in diversen Teilen verselb-ständigen und dreidimensional in den Raum greifen. Die konzentrierteste Form der Maltafel, der schmale und lange Sehschlitz zwischen Eisenrahmen kann zwar an der Wand hängen, sollte zumeist jedoch ebenfalls schräg im Raum stehen und zudem weiteren gleichen Gefährten der Verdichtung zugeordnet oder überlagert sein.

Dazwischen lag ein langer Weg. Als Mitarbeiter der Kunsthalle Baden-Baden in den 60er Jahren war ein allgegenwärtiges Material, mit dem Hüppi umgehen musste und das für ihn kostenlos erreichbar war, das Holz der Packkisten und der Paletten. Aus diesem meist rohen Holz gestaltete er seine „Holzreliefs“. Mal akzentuierte er deren Holzfarbe nur zart, mal bemalte er sie in kräftigen plakativen Farben, aber auch diese immer von hoher Sensiblität, was bei Hüppi kein Widerspruch ist. So entstanden „Entwürfelungen“, Ergebnisse auseinandergenommener oder auseinanderbrechender Holzkisten in der Fläche, oder „Holzteppiche“, „Bogenfelder“ aus zersägten rohen Fichten-brettern oder Kisten aus eben diesem Holz. Aber auch andere vorgefundene Hölzer eigneten sich für die Umsetzungen Hüppis: So z. B. in seiner „Hommage à Tadeusz Kantor“ von 1966 eine gefundene alte Holztüre. Holz in seiner natürlichen Oberfläche war und blieb nicht nur Malgrund sondern integrierender Bestandteil seiner Arbeiten bis hin zu den grossen Maltafeln Ende der 80er Jahre, deren Holzgrund er ungrundiert bemalte und zudem oft frei stehen lassend in das Bild einbezog.

Der zweite Grundstoff für Hüppis Arbeit ist das Papier. Er zeichnet ständig, wie die zahllosen Telefonzeichnungen belegen, denen gemeinsam mit solchen von Franz Eggenschwiler und Dieter Roth 1980 einmal eine eigene Wanderausstellung mit mehrbändigem Katalog gewidmet wurde. Flacher Bildträger bleibt das Papier jedoch lediglich in der Zeichnung und in den sensiblen und so eminent materialgerechten Serigraphien um 1970. Aber Hüppi wäre nicht Hüppi, wenn es dabei bliebe: Wie beim Holz wird der Malgrund geschnitten, aufgewölbt, geknautscht, gerissen, mal vorher, mal danach bemalt, mal vorher und hinterher. Oder es werden vorgefundene, geschnittene oder gefaltete Papiere überarbeitet, wie in den Collagen der frühen 80er Jahre, die wandfüllende Formate annehmen konnten, oder in den bemalten „Passepartouts“, dem papierenen Äquivalent zu den „Rahmenbildern“, den Tafeln, die sich im breiten Rahmen fortsetzen. Tendenziell kann jeder vorgefundene Gegenstand Träger oder

Rohstoff für ein Werk werden, jedoch wird er bei Hüppi, wie z. B. aus den gefundenen bemalten Holzstücken ersichtlich, be-, ver- und überarbeitet, verfremdet, gestaltet, nicht lediglich in Gegenüberstellung mit anderen Fundstücken zur Assemblage zusammengestellt.

Überblickt man einmal sein bisheriges Gesamtwerk, so ist darin eine absonderliche Entwicklungsgeschichte festzustellen: Nicht etwa in der Jugend wild und dann sukzessive Beruhigung und Abklärung, nein genau umgekehrt geht er von zurückhaltenden Formen und Farben und fast geometrischen Strukturen, die schon zu dem Irrtum führten, er sei Konstruktivist, aus zu immer ausladenderen Formen und steht jetzt eigentlich in seiner explosivsten Phase. Das ist in den letzten Rahmenbildnern und den grossen Maltafeln, die nur noch durch Eisenrahmen zusammengehalten werden können, feststellbar. So fragte er, für den Sprache mehr ist als reines Verständigungsinstrumentarium, mich 1999 einmal, bevor er zu uns zu einer Ausstellungseröffnung kam, ob er noch „Sprengstoff mitbringen“ solle. In meiner Rede sagte ich daraufhin: „Ein derart hohes Mass an subversiver Energie nach der Pensionierung habe ich selten erlebt und ich frage mich, wohin das noch führen wird. Wir dürfen gespannt sein.“ Schliesslich hatte Hüppi damals gerade ein Vierteljahrhundert als ordentlicher Professor für Malerei an der Kunstakademie in Düsseldorf absolviert. Er war und ist ein begnadeter Lehrer. Subversion sagte man ihm allerdings auch dort bisweilen nach.

Seitdem entstanden diese Aquarelle, welche jetzt in den Rouleaus „explodieren“. Der dem Material und der handwerklichen Fertigung seiner Werke derart verpflichtete Künstler lässt also plötzlich in Übergrösse von fremder Hand - wenn auch in seiner intensiven Überwachung - drucken. Es stellt sich die Frage nach den Gründen.

Tatsächlich ist Hüppi die perfekte Integration von Apollo und Dionysos, Kosmos und Chaos, Askese und Ausgelassenheit, denn beides scheint in seiner Kunst ständig auf - jedoch ausbalanciert in höchster Vollkommenheit, ja Schönheit, an welcher stets der Schalk aber schon wieder knabbert...

Hüppis Werk setzt Zeichen, starke Zeichen, die weder gegenstandslos noch abstrakt sind, wenn dies auch bisweilen so scheint, wie z. B. in seinen frühen Variationen auf das Zeichen „Baum“. Hüppi gehört durchaus in die Generation derjenigen, welche die Abstraktion der Jahre 1948 bis 1965 überwanden. Er schuf mit seinen Zeichen ihr Gegenbild. Er gestaltet sehr bewusst und präzise, da ist weder Zufall noch Automatismus trotz bisweilen spielerisch erscheinender Leichtigkeit. Da ist vielmehr Bewusstheit und Gewolltheit in klarer Form und Farbe jenseits des Spielerischen und der feinen Ironie, mit der er uns immer wieder einfängt. Diese apollinische Kühle und Klarheit liegt aber nur als Folie über dionysischem Feuer und Chaos, die immer wieder an die Oberfläche drängen. Hüppis Kunst ist die Kunst vom Menschen.

Die Kunst eines Menschen, der sich ständig in Frage stellt, sich und die anderen, durchaus mit Humor aber auch feiner Ironie. In den himmlisch-irdischen Figürchen brechen die kreativ schweifenden Gedanken chaotisch aus, werden aber immer wieder umschlingend von Hüppi mit der Tuschfeder eingefangen. Dieses musste er den festen Zeichen der grossen Entwürfelungen, Holzteppichen, Tafeln und Sehschlitzen auch einmal im Grossformat gegenüberstellen. Nur so konnte er auch diese festen grossen Zeichen gültig in Frage stellen. Zugleich stellt er durch die Mitarbeit von photomechanisch vergrössertem Druck und einer Druckerei seine lebenslange traditionelle Werk- und Materialgerechtigkeit in Frage. Mir scheint dies eine Sonderform der Selbstbefragung mit 70.

Wolfgang Henze Pressetext

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