Städel Museum, Frankfurt

Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie | Dürerstr. 2
60596 Frankfurt

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Das Städel hat in den letzten 15 Jahren in einer beispiellosen und international mit höchster Anerkennung verfolgten Initiative seinen Bestand nach neuesten wissenschaftlichen Methoden untersucht und in Form von Bestandskatalogen für das Fachpublikum dokumentiert. Aus dieser intensiven Beschäftigung mit der eigenen Sammlung entstanden eine Reihe von Erkenntnissen, Thesen und Desideraten, die dem allgemeinen Publikum nun beispielhaft in Form einer langfristig angelegten Ausstellungsreihe zugänglich gemacht und näher gebracht werden sollen. Zu diesem Zweck wird der Kuppelsaal des Städel zu einem Wechselausstellungsraum umgewidmet. Die Ausstellungsprojekte, die nicht selten neben zentralen Werken der Sammlung auch herausragende Leihgaben mit einschließen werden, widmen sich ausschließlich der Argumentation von Erkenntnissen rund um den Sammlungsbestand und der Sichtbarmachung von Initiativen zur Sammlungserweiterung.

Die erste Ausstellung in dieser neuen Reihe ist einem zentralen Werk von Albrecht Dürer (geb. 1471 in Nürnberg, gest. 1528 ebenda) aus der Sammlung des Städel gewidmet, dem „Bildnis einer jungen Frau mit offenem Haar“. Erstmals nach über 150 Jahren wird es wieder gemeinsam mit dem ebenfalls 1497 entstandenen „Bildnis einer jungen Frau mit aufgestecktem Haar“ gezeigt, das sich in der Gemäldegalerie Berlin befindet. Diese beiden Werke sowie zwei ebenfalls gezeigte alte Kopien haben der Dürer-Forschung seit ihrer Entdeckung Rätsel aufgegeben. Welche zwei von den vieren die Dürer’schen Originale sind, war bis vor kurzem ungeklärt. Weitere Fragen geben die Funktion und Identifizierung der Dargestellten auf. Katalog und Ausstellung unterbreiten einen neuen Vorschlag, der in das engste familiäre Umfeld des Meisters führt, und widerlegen die Legende, dass es sich bei den Porträts um Darstellungen der ominösen Katharina Fürleger, einer angeblichen Tochter dieser Nürnberger Patrizierfamilie, handelt.

Wiedervereinigung: Noch 1849 bildeten die beiden von Albrecht Dürer 1497 gemalten Bildnisse – wie vermutlich von Anfang an – ein Paar. Nun sind sie nach über 150 Jahren wieder gemeinsam zu sehen. Üblicherweise suggerieren solche Bildnisdiptychen, wie mehrere Beispiele im Städel belegen, eine räumliche Einheit. Hier aber erstaunen die von Dürer gesuchten Gegensätze: ein Porträt mit Landschaftsausblick und eines vor neutralem Fond, eines mit Brüstung im Vordergrund und eines ohne, eine schlicht gekleidete, in sich gekehrte Beterin und eine erwartungsvoll aus dem Bild schauende Debütantin im Nürnberger Tanzkleid, eine schon italienisch beeinflusste Figur und eine noch spätgotische. Es hat den Anschein, als ginge es um mehr als um die bloße Wiedergabe zweier Individuen.

Das Wappen der Fürleger, einer Nürnberger Patrizierfamilie, sitzt bei beiden Originalen in der oberen Ecke. Es ist in einer Weise aufgehängt, die für Dürer untypisch ist, jedoch auf späteren Gemälden der Fürleger-Sammlung wie dem gegenüber gezeigten Porträt von 1631 vorkommt. Wahrscheinlich handelt es sich also um eine spätere Zutat. Denn die Familie Fürleger hatte 1497 gar keine Töchter in einem den Bildern entsprechenden Alter. Die historische Forschung brachte dieses Faktum jedoch erst ans Licht, als sich die Legende von einer „Katharina Fürlegerin“ bereits etabliert hatte, die angeblich von Dürer auf beiden Bildern porträtiert worden war. Aber zeigen die beiden Bildnisse überhaupt ein und dieselbe Person?

Original oder Kopie: Lange Zeit hielt man die sehr qualitätvolle Leipziger Fassung für das Original, zu der das Pendant in München gehört. Erst als die Berliner Gemäldegalerie 1977 ihr Bildnis aus Pariser Privatbesitz erwarb, bestätigten Röntgenaufnahmen die Autorschaft Dürers: Der Maler hatte nämlich das Ohr ursprünglich komplett ausgeführt und erst nachträglich mit dem Haar teilweise bedeckt. Der Status des Originals stand damit auch für das Frankfurter Bild fest, ist dieses doch zweifellos das Gegenstück zur Berlinerin. Denn nur diese beiden Exemplare sind sog. „Tüchlein“, alle anderen Fassungen dagegen gewöhnliche Holztafeln.

Tüchleinmalerei ist eine in der Dürerzeit besonders geschätzte Spezialtechnik. Der Künstler legt das Bild mit Wasserfarben auf ungrundierter, extrem feiner Leinwand oder Seide an und verzichtet auf einen Firnis. Tüchlein haben deswegen eine ganz eigene, an Gouachen erinnernde Wirkung; allerdings sind sie sehr empfindlich und selten gut erhalten, wie ein ungefähr gleichzeitiges niederländisches Beispiel aus dem Depot des Städel lehrt. Dürers Frankfurter Porträt ist mehrfach übermalt und nachträglich gefirnisst und hat daher den ursprünglichen Charakter eines Tüchleins fast verloren. Das Berliner Bildnis präsentiert sich nach Abnahme seiner Übermalungen als authentischeres, aber stark zerstörtes Tüchlein. Um die einstige Schönheit des Dürer’schen Landschaftsausschnitts zu erahnen, bedarf es des Seitenblicks auf die Leipziger Kopie.

Familiengeschichte: Wer auch immer die Wappen aufgebracht hat, kannte sich gut damit aus: Dem hier aufgeschlagenen Geschlechterbuch zufolge führten die Fürleger weltlichen Standes eine gestürzte Lilie, diejenigen mit einer geistlichen Laufbahn ein gestürztes Kreuz zwischen zwei silbernen Barben. Das ist auch bei den Dürer-Bildern der Fall.

Lord Arundel, ein berühmter englischer Diplomat und Kunstsammler, erwirbt die beiden Bildnisse 1636 in Nürnberg. Einer der virtuosesten Stecher der Zeit radiert sie für ihn: der aus Prag stammende Wenzel Hollar (1607–1677).

Vater und Sohn: Nur ein weiteres, gleichfalls von Hollar radiertes und in mehreren Kopien reproduziertes Bildnispaar Dürers ist ebenso ungewöhnlich aufgebaut wie die Mädchen-Bildnisse in Frankfurt und Berlin: Dürers Selbstbildnis von 1498 (Madrid, Prado) und das Bildnis des Vaters (London, National Gallery) von 1497 bildeten einst ein Diptychon mit ähnlichen Gegensätzen: neutraler Fond versus Raumecke mit Landschaftsausschnitt, Brüstung versus schrankenloser Vordergrund, aufwendiges versus schlichtes Kostüm. Nicht nur, wer hier dargestellt ist, scheint von Belang, sondern auch, wie Dürer sich und seinen Vater inszeniert.

Zwei Schwestern: Das regt zu der Vermutung an, dass auch die beiden jungen Frauen mit dem Maler verwandt gewesen sein könnten. In Betracht kämen Dürers Schwestern Agnes (geb. 18. 7. 1479) und Katharina (geb. 22. 8. 1482). Die Erstere ist einer späteren Beschriftung zufolge auf einer Zeichnung aus dem Holbein-Umkreis dargestellt. Dort trägt sie die gleiche Kleidung wie das Mädchen auf dem Frankfurter Bildnis. Allerdings muss man dem Unbekannten, der die Berliner Zeichnung beschriftet hat, auch noch eine Verwechslung unterstellen: Agnes war 1497 achtzehn Jahre alt. Die Leipziger Kopie und die Radierung Wenzel Hollars überliefern die (heute zerstörte) Inschrift des Berliner Bildnisses: „Also pin ich gestalt / In achcehe Jor altt“. Demnach müsste sie auf dem Berliner Bild zu sehen sein; das Frankfurter könnte ihre etwas jüngere Schwester zeigen.

Das Rätsel der beiden sog. „Fürlegerinnen“ ist damit zwar noch nicht restlos gelöst – vorstellbar erscheint die hier vorgeschlagene Deutung aber allemal. Denn die bildnerische und literarische Besinnung auf die eigene Herkunft ist bei Dürer ein unverzichtbarer Bestandteil seines künstlerischen Selbstverständnisses. In den Textzeugnissen des „Gedenkbuchs“ und der „Familienchronik“ tritt uns sein Bedürfnis entgegen, Familiengeschichte und -beziehungen zu bewahren. Das gleiche Interesse belegen in Malerei und Graphik so herausragende Werke wie die oben erwähnten Tafeln mit Bildnissen der Eltern, so anrührende Zeichnungen wie die mit „mein agnes“ beschriftete Darstellung seiner jungen Braut (Wien, Albertina) oder die Kohlezeichnung seiner todkranken Mutter im Berliner Kupferstichkabinett. Die Sorgfalt der Beschriftungen, die bis hin zum teilweise Jahre später erfolgten Nachtragen von Todesdaten geht, spricht dabei für private Entstehungsabsicht und Funktion. Das Konzept der „memoria“ – der liebenden und sinnstiftenden Rückbesinnung auf Verstorbene – ist nun nicht mehr das Privileg von Fürsten, Königen und anderen, vor allem kirchlichen, Würdenträgern: Mit Albrecht Dürer macht es sich der bildende Künstler endgültig auch selbst zu Eigen. Damit kommt eine Entwicklung zum Durchbruch, die mit Künstlern wie Jan van Eyck oder Jean Fouquet schon das frühere 15. Jahrhundert geprägt hatte. Ihre Folgen reichen bis in unsere Gegenwart.

Weitere Stationen: Museum der bildenden Künste in Leipzig (6. Oktober 2006 bis 7. Januar 2007), Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin (26. Januar bis 25. März 2007)

Kurator: Dr. Bodo Brinkmann

Katalog: „Albrecht Dürer: Zwei Schwestern/Albrecht Dürer: Two Sisters“. Hrsg. vom Städel Museum. Mit einem Vorwort von Max Hollein und einem Essay von Bodo Brinkmann, 80 Seiten, deutsch und englisch, mit farbigen Abbildungen, Städel Museum 2006.

Pressetext

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Albrecht Dürer: Zwei Schwestern
Eine Begegnung im Städel Museum
Kurator: Bodo Brinkmann

Stationen:
31.05.06 - 17.09.06 Das Städel, Frankfurt
06.10.06 - 07.01.07 Museum der Bildenden Künste Leipzig
26.01.07 - 25.03.07 Gemäldegalerie Berlin