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Ort: Kunstbau

PROPAGANDA Im 21. Jahrhundert

Die beste Propaganda erscheint im Gewand des Entertainments. (N.J. O'Shaughnessy)

Propaganda wird gemeinhin als eine für aufgeklärte Bürger durchschaubare und eher krude Strategie der Manipulation verstanden, die in totalitären oder autoritären Staaten stattfindet. Im Westen denkt man an den deutschen Nationalsozialismus, das Stalinistische Russland oder Nordkorea und den sogenannten Islamischen Staat.

Bereits in den 1920er Jahren beschrieb Edward Bernays Propaganda als der Werbung wesensverwandt. Der Neffe Sigmund Freuds wandte die tiefenpsychologischen Theorien seines Onkels auf das von ihm mitbegründete Feld der PR (Öffentlichkeitsarbeit) an, welches er als eine Mischung aus Kriegsführung und strategischer Verführung verstand. Für Bernays war Public Relations schlicht eine weniger verdächtiger Name für Propaganda. Knapp vierzig Jahre später befand der italienische Regisseur und Schriftsteller Pier Paolo Pasolini, dass die faschistische Propaganda die Gesellschaft weniger durchdrungen hatte als jene des Kapitalismus, die mithilfe der Massenmedien Konsum als neuen Lebensstil inszenierte. Dies spiegelte die etwas früheren Thesen des französischen Soziologen Jacques Ellul wider, der »lifestyles« an sich als westliche Propaganda bezeichnete. In den 1980er Jahren wiederum bringen Feministinnen wie die amerikanische Autorin und Kunstkritikerin Lucy R. Lippard eine andere Auffassung von Propaganda ins Spiel, die diese als Möglichkeit für den Feminismus und eine sozial engagiertere Kunst in Anspruch nimmt. Politische Bewegungen wie »Occupy« oder »Black Lives Matter« können als Beispiele aktueller emanzipatorischer Propagandaformen gelten.

Mit dem 21. Jahrhundert beginnt eine neue Ära der Propaganda. Geopolitische Ereignisse wie der von Georg W. Bush erklärte »War on Terror«, die Kriege im Nahen Osten und die Einführung der Gemeinschaftswährung der Europäischen Union, begleitet von der aggressiven Globalisierung nach 1989 und der rasanten Entwicklung der digitalen Technologien, haben über die Jahre zu verhärteten – und als verhärtet dargestellten – Fronten geführt: Kontrastpaare wie Freiheitskämpfer und Terroristen, Wutbürger und Lügenpresse, politische und wirtschaftliche Flüchtlinge, die Europäische Union als »Wunschziel« (für viele Geflüchtete) und Fluchtgrund (Brexit) prägen die öffentliche Diskussion.

Zuletzt hat der weit verbreitete Einsatz von rechtskonservativen Verschwörungstheorien in den USA die ideologischen Koordinaten von Institutionen sichtbar gemacht, die lange als neutral und objektiv betrachtet wurden. Die Präsenz von ideologischer Propaganda und Kontrollmechanismen in allen Lebensbereichen ist in Form von Begriffen wie dem Postfaktischen, den »Fake News« und den »alternativen Tatsachen« in der breiteren Öffentlichkeit zum Tragen gekommen.

Das Ausstellungsprojekt After the Fact möchte den Propagandabegriff vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, politischer und medialer Entwicklungen des 21. Jahrhunderts neu betrachten. Dabei soll Propaganda nicht als selbstverständliches Übel betrachtet werden, als krude, als erkennbar, als passé, sondern als komplexes und potenziell so hilfreiches wie problematisches Denk- und Analysewerkzeug. Dementsprechend finden die in der Ausstellung vereinten künstlerischen Arbeiten unterschiedlichen, mal expliziten, mal abstrakten Umgang mit heutigen Formen von Propaganda und den porösen Grenzen zwischen Realität und Fiktion, die dem digitalen Zeitalter zu eigen sind. After the Fact reflektiert die Auseinandersetzung mit dem Propagandabegriff als Möglichkeit für aktuelle künstlerische und politische Diskurse und die Kunst sowohl als mögliches Vehikel und Hindernis für unterschiedliche Arten von Propaganda.

Begleitend zur Ausstellung findet in Kooperation mit den Münchner Kammerspielen ein Veranstaltungsprogramm statt.

Mit Sandow Birk, Hannah Black, Bradley Davies, Carmen Dobre-Hametner, Işıl Eğrikavuk + Jozef Amado, Beate Engl, Harun Farocki, Hans-Peter Feldmann, Samuel Fosso, Coco Fusco, Cindy Hinant, Alfredo Jaar, Wolfram Kastner, John Miller, Marge Monko, Carlos Motta, Khalil Rabah, Julian Röder, Aura Rosenberg, Zoë Sheehan Saldaña, John Smith, Sean Snyder, Nancy Spero, Jonas Staal, Luis Velasco Pufleau + Sergio Santamaría Borges, Franz Wanner.

Kuratiert von Stephanie Weber

PUBLIKATION

Zur Ausstellung erscheint eine Textsammlung in Deutsch und Englisch, hrsg. von Stephanie Weber und Matthias Mühling (Eigenverlag des Lenbachhauses, ca. 420 Seiten, ohne Abbildungen).
Mit Texten von Hannah Arendt, Edward Bernays, Bertolt Brecht, Ariel Dorfman + Armand Mattelart, Jacques Ellul, Coco Fusco, Dan Graham, Elfriede Jelinek, Lucy Lippard, u.a. Gestaltet von strobo Matthias Friederich Julian von Klier.