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Unter dem Titel The Hunted („Die Gejag­ten“) zeigt Nolan Judin Ber­lin zehn neue Gemälde des Rumä­nen Adrian Ghenie, die alle ent­standen sind, nach­dem er im Frühjahr die Arbeit an sei­nem ambi­tio­nier­ten Pro­jekt The Dada Room abge­schlos­sen hatte. Die­ses „begehbare Gemälde“, das im Dezember anläss­lich der umfang­rei­chen Über­sichts­aus­stel­lung im SMAK in Ghent erstmals aus­ge­stellt wer­den soll, taucht in sub­tiler Weise auch in einem der Gemälde die­ser neuen Werk­gruppe auf, die der Künstler mit dem Arbeits­ti­tel The Visi­ta­tion (die „Erschei­nung“ oder auch die „Heim­su­chung“) ver­sah. Nicht zum ers­ten Mal erweckt der Titel einer Ghenie-Aus­stel­lung Asso­zia­tio­nen zu den Alten Meis­tern und Topoi der Kunst­ge­schichte. Seine letzte Aus­stel­lung in die­sen Räu­men trug den Titel The Flight into Egypt, doch wer annimmt, The Visi­ta­tion sei einer wei­te­ren Epi­sode aus dem an Erschei­nun­gen und Heim­su­chun­gen rei­chen Leben Mariä ent­nom­men, sieht sich getäuscht. Die Erleb­nisse eines ande­ren Hei­li­gen kom­men der Sache da schon näher. Wie in den „Ver­su­chun­gen des hei­li­gen Anto­nius“ geht es Ghenie näm­lich um die Erschei­nung des Bösen – genauer: des­sen Heim­su­chun­gen im Künstler­atelier. Adrian Ghenie kennt und liebt seine Alten Meis­ter, und sein spieleri­scher, von Berührungs­ängs­ten freier Umgang mit der Kunst­ge­schichte zieht sich wie ein roter Faden durch sein bis­he­riges Schaffen. Er ver­wendet nicht ein­fach nur Ver­satz­stü­cke und zitiert, sondern schafft kon­krete und immer wieder über­ra­schende Bezüge zur poli­ti­schen und kulturel­len Gegenwart und zu sei­ner Auto­bio­graphie - jeweils auf gleich mehre­ren Ebe­nen. Darin unter­schei­det er sich von ande­ren Künstlern sei­ner Gene­ra­tion, deren Griff in den Fundus der Kunst­ge­schichte oft über ein Augenzwinkern nicht hin­ausreicht.

Lässt man sich auf Ghenies Kompo­si­tio­nen ein, wird schnell klar, dass dem Künstler unse­rer Tage das Böse nicht (nur) in der bewähr­ten Form eines „Teufels“ erscheint, der ihn vom rech­ten Weg abzubrin­gen trach­tet. Am exem­plarischs­ten zeigt sich das im Gemälde The Fake Rothko: hin­ter einer sitzen­den Figur, in der wir unschwer Ghenie selbst erken­nen, steht ein präch­tiges Rothko-Gemälde, das sich jedes Auk­ti­ons­haus als Höhe­punkt einer Abendver­steige­rung wünschte. Das bei Rothko so typi­sche Feh­len von kla­ren Konturen und gleichzei­tige Leuch­ten der Far­ben von innen ver­stärkt das Erschei­nungs­hafte des Bildes. Doch worin besteht das Böse in einem Gemälde des großen Meis­ters der mono­chro­men Farb­flä­chen? Spielt der Künstler mit dem Gedanken, ein solches Bild zu fälschen? Das sugge­riert zumindest der Titel. Oder denkt er an die Mil­lio­nen, die Rothkos Bil­der heute wert sind – und sei­nen eige­nen Wert im Kunst­markt? Oder beschäf­tigt Ghenie das Schick­sal Rothkos, der sich den Dämo­nen sei­ner Depres­sion ergab und sich 1970 (in sei­nem Atelier!) das Leben nahm? Alle diese Inter­preta­tio­nen erklä­ren nicht, wieso sich der Künstler im Bild offen­sicht­lich gerade über­ge­ben muss. Die Wand, an die das Rothko-Gemälde gelehnt ist, stammt übri­gens aus Ghenies The Dada Room.

Ebenso mys­teriös und mehr­deu­tig ist das Gemälde, das der Aus­stel­lung den Titel gab. In The Hunted erkennt man auf den ers­ten Blick einen Affen, der vor einer Wald­landschaft auf einem nied­ri­gen Tisch sitzt. Bei genauer Betrach­tung nimmt man eine rie­sige Motte wahr, die neben dem Affen liegt – und erkennt, dass der ver­meint­li­che Wald nur eine die­ser in den 70er-Jahren populä­ren, heute glück­li­cherweise aus­ge­storbe­nen „Fotota­pe­ten“ ist. Der schnörkel­lose Titel lässt die Frage offen, wer hier „gejagt“ worden ist. Der Affe könnte der Motte nach­ge­stellt haben, aber ebenso gut ein gejag­tes und aus­ge­stopf­tes Exem­plar sei­ner Gat­tung sein. Unabhängig davon kön­nen beide Tiere das Böse per­so­nifizie­ren. Der Affe gilt seit dem Mit­tel­al­ter als Symbol sowohl für den gefalle­nen Engel als auch für den besieg­ten Teufel – also das Dämo­ni­sche schlechthin. Die Motte erin­nert uns unweiger­lich an das Plakat von „The Silence of the Lambs“ – immer noch einer der bes­ten Filme über das abgrund­tiefe Böse. Ähnlich wie bei den Affen in Gemälden des von Ghenie bewunder­ten Francis Bacons, pas­sen in The Hunted Tier und Umge­bung auf irri­tierende Art nicht zu­ei­nan­der. Der afrika­ni­sche Pavian passt nicht zum skandi­navi­schen Birken­wald und die über­di­men­sio­nierte Motte nicht auf den klei­nen Tisch. Für sein Bild Dada is Dead (2009), lässt Ghenie einen Wolf durch die Räume des legendä­ren Ber­li­ner Dada-Salons streu­nen. Er liebt es, dem Betrach­ter solche über­ra­schenden Kon­stella­tio­nen zu prä­sen­tie­ren – aus der ferne grüs­sen die Sur­realis­ten! Wie so häufig, findet man auch in The Hunted ein auto­bio­gra­fi­sches Ele­ment: die Fotota­pe­ten kennt Ghenie aus sei­ner Jugend im kom­mu­nis­ti­schen Rumä­nien. Damals waren sie beliebte Sta­tussymbole, da sie aus dem Aus­land beschafft wer­den muss­ten.

In Boogeyman, dem größ­ten Gemälde der Serie, scheint das Böse doch noch menschli­che Gestalt angenom­men zu haben. Im engli­schen Sprach­raum umschreibt der Aus­druck „Boogeyman“ metaphorisch eine Gestalt (oder Sache), die in jeman­dem eine irra­tio­nale Furcht aus­löst. Die sitzende Figur – der Maler selbst – der im Gemälde der Boogeyman erscheint, lässt jedoch keine Anzei­chen von Furcht erken­nen. Sie scheint viel­mehr dem dun­keln Besu­cher zuzuhören, den Blick auf ein Chaos von For­men und Far­ben im Hin­tergrund des Ateliers gerich­tet. In den grob hinge­spach­tel­ten Gesichts­zü­gen des Visi­ta­tors erkennt man das mytho­logi­schen Mischwe­sen Pan. In der Antike noch das Symbol für Musik und Lebenslust, erfuhr er im Ver­lauf des christ­li­chen Mit­tel­alters eine nega­tive Umdeu­tung. Er wurde mit sei­nen Hör­nern und Bocksfüs­sen zum äußer­li­chen Vor­bild für den Teufel. In „Dr. Faus­tus“ lässt Tho­mas Mann den Kompo­nis­ten Lever­kühn ein Geschäft mit dem Teufel abschließen: 24 Jahre Inspi­ra­tion und Schaffenskraft – im Tausch gegen den Ver­zicht auf die Liebe. Der Wunsch nach nicht ver­sie­gen­der Krea­tivität ist sicher auch einem Künstler des 21. Jahrhunderts ein Gedanke wert. Dass bei Mann der Kompo­nist Lever­kühn mit Vor­na­men Adrian heißt, mag ein Zufall sein. Der Titel Boogeyman ist auf jeden Fall iro­nisch gemeint.

Zwei klein­forma­tige Por­traits fügen sich naht­los in die Visi­ta­tion-Serie ein. In The Moth hat sich die große Motte aus The Hunted auf der Stirn von Stalin niederge­las­sen. Ghenies Faszina­tion mit den ost­eu­ropäi­schen Dikta­to­ren hat schon eine Serie von Lenin-Studien hervor­gebracht und die Werk­gruppe The Trial, in der er die letz­ten Stunden des gestürz­ten rumä­ni­schen Dikta­tors Ceausescu und des­sen Frau thema­ti­siert. Die Exhumierung der Ceausescus im Som­mer die­ses Jah­res, und die Ver­öffent­li­chung von Bildern der sterbli­chen Über­reste, hat Ghenie zum Bild Study for „Boogeyman“ inspiriert. Im Haupt­werk hat der Dikta­tor dann aber nicht Ein­gang gefunden.

Erst zum zwei­ten Mal hat der Künstler sich selbst zum Thema eines Por­traits gemacht: Self-Por­trait No. 2 ist aber eher eine virtuose Farb­studie der Hals- und Kiefer­par­tie. Auch bei den bei­den wei­te­ren Selbstpor­traits und den Dikta­to­ren-Portaits fällt auf, dass die anatomi­schen Details, die ein Gesicht aus­ma­chen – also Augen, Nase, Mund – ver­wischt oder über­malt sind, wäh­rend die seit­li­chen Gesichts­par­tie natu­ralis­tisch und plas­tisch aus­ge­arbei­tet sind. Ghenie ist als Por­trai­tist ein Maler von Köpfen, nicht Gesichtern – und es ist wich­tig, die bei­den aus­ein­anderzuhal­ten: „Das Gesicht ist eine strukturierte, räum­li­che Ord­nung, die den Kopf kaschiert, wäh­rend der Kopf körpe­r­abhängig ist, selbst wenn er die Spitze des Kör­pers ist, des­sen Höhe­punkt“ (Gilles Deleuze). Wie Francis Bacon demon­tiert Ghenie das Gesicht, um den dar­un­ter­lie­genden Kopf hervor­tre­ten zu las­sen.

Das jüngste Gemälde in der Aus­stel­lung, The Stigmata, gehört nicht zur Visi­ta­tion-Serie, sondern offe­riert einen Vor­ge­schmack auf eine neue Werk­gruppe, der sich Ghenie als nächs­tes zuwenden will. Aus­gangspunkt für diese Kompo­si­tion sind Photographien von Atomwaffen­tests des US-Militärs in der Wüste von Nevada im Jahr 1951. Auch wenn bereits 2006 Atom­pilze als Sujets in sei­nen Gemälden auf­tauch­ten, liegt Ghenies Inter­esse nicht bei den Explo­sio­nen oder ihren Fol­gen. Die Auf­gabe, die er sich gestellt hat, ist viel­mehr die Dar­stel­lung der Tro­cken­heit und Zer­klüf­tung wie sie in den Landschaf­ten der frühen Ren­ais­sancemeis­ter Piero della France­sca und Antonella da Mes­sina vor­kom­men. Ghenie ist fasziniert von der Abs­traktheit und Moder­nität die­ser Fels­forma­tio­nen. In den rech­ten Vor­dergrund von The Stigmata hat er den Fels ein­gebaut, der Jan van Eycks Meis­ter­werk „Die Stigma­ti­sa­tion des Hl. Franziskus“ (1438) beherrscht. Doch die Wahl des Titels für seine Landschafts­studie ist nicht nur eine kunst­his­tori­sche Refe­renz. Das grie­chi­sche Wort „Stigma“ kann auch als „Brandmal“ über­setzt wer­den – und was ande­res fügt die Explo­sion einer Atombombe der Landschaft zu, als ein rie­siges Brandmal? Erwäh­nen­swert ist, dass The Stigmata und die ver­wandte Studie Nougat (der Code­name eines Atombomben­tests) die bis­her lichtdurch­flu­tes­ten Bil­der sind, die Ghenie je gemalt hat. [JJ]