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„Alles ereignet sich an der Grenze zwischen den Dingen und den Sätzen"1, so Gilles Deleuze. In diesem Sinne wird dieser Satz am Anfang dieses Textes (der auch gleich wieder zu Ende sein wird und an andere Texte übergibt) zum Bindeglied zwischen dem vorangehenden Objekt und den folgenden Sätzen, in denen wir schon mittendrin sind. In der Vorbereitung zur Ausstellung beschäftigten mich Begriffe wie Performanz, Subjektivität, Spiel und Oberflächen, die bei beiden Künstlern auf je unterschiedliche Weise zur Aus- und Aufführung kommen. So tauchen stilistische Ausführungen durchgehend als individuell appropriierte Versatzstücke auf, die benutzt und im gleichen Moment neu besetzt werden. Das geheimnisvolle Spiel, das beide Künstler also betreiben, entsteht aus der jeweiligen Behauptung individueller Referenzsysteme, die sich aus den Oberflächen der Objekte entwickeln. An dieser Stelle bereitet es mir als Autorin zugegebenermaßen Vergnügen, mit der bloßen Aneinanderreihung meines eigenen sprachlichen Referenzsystems ein Äquivalent zu dieser künstlerischen Vorgehensweise zu bilden. Im folgenden lesen Sie drei Textpassagen, denen ich bei Überlegungen zur Kunst von Daria Martin und Bernd Krauß einige interessante Zusatz-Überlegungen abgewinnen konnte.

1. aus: Wolfgang Iser, Mimesis und Performanz. In: Uwe Wirth (Hrsg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2002, S. 258-259. „Das Spiel macht die Differenz insofern operativ, als der Versuch, diese zu überspielen, zu deren Austragung führt. Folglich sind dann die Textpositionen nicht mehr ausschließlich als Repräsentanten ihrer jeweiligen Verweissysteme gegenwärtig - zu denen sie die Differenz geschieden hat -, sondern in wechselnder Aspekt und Beziehungshaftigkeit, wodurch das Spiel die Differenz noch einmal in die Positionen selbst hineintreibt, die dadurch selbst als ständiges Umschlagen zwischen anwesenden und abwesenden Aspekten entfaltet werden. Erscheinen die Positionen als wechselnde Aspekthaftigkeit, dann treibt das Spiel hervor, was in ihrer jeweiligen Repräsentation verborgen liegt. Was dadurch zum Vorschein kommt, wird seine Rückwirkung auf die Repräsentation nicht verfehlen. Spiel wird zum Modus eines Entdeckens, verändert sich aber seinerseits durch das, was es in Bewegung gebracht hat, so daß im Textspiel die Spielformen selbst in einen kaleidoskopartigen Wechsel geraten zwischen dem, was sie sind, und dem, was durch dieses Sein verdeckt wird. Darstellung erwiese sich dann als eine Dimension, in der das zur Äquivalenz kommt, was in solchen Doppelungen auseinandergespannt ist. Da diese vom Spiel bewirkt werden, bildet Spiel die Infrastruktur der Darstellung. Denn Darstellung ist eine Figuration dessen, was sich im Spiel als die Verbindung des Gegenläufigen gezeigt hat. Die Figuration ist daher weniger das Bild einer nachgeahmten Gegenständlichkeit noch reine Erfindung eines Sachverhalts, da sie auf Gegebenheiten aufruht, mit denen im Spiel allerdings etwas geschieht. Sowenig diese Figuration in einer bestimmten Position des Textes gründen kann, dessen Repräsentation sie dann wäre, so wenig ist sie strukturlos. Dafür sorgt das Spiel sowohl durch die Form seiner Anlage als auch durch sein Gespieltwerden. Die Figuration wird folglich die Gegebenheiten aller Positionen des Textes sowie deren wechselseitiges Überspieltwerden gleichermaßen umfassen, wodurch Darstellung als Performanz Geschehenscharakter gewinnt."

2. aus: Martin Seel, Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs. In: Josef Früchtl (Hrsg.), Ästhetik der Inszenierung, Frankfurt a. M. 2001, S. 51-53. „Wo Inszenierungen stattfinden, wird etwas vorübergehend in Szene gesetzt. Es vollzieht und präsentiert sich als ein räumlich sichtbares oder hörbares Geschehen. Inszenierungen sind immer zugleich ein ein räumliches und zeitliches Verhältnis. Etwas bewegt sich in einem begrenzten Raum, in dem sich das Publikum befindet oder der ihm betrachtend zugänglich ist; etwas ereignet sich in einer begrenzten Zeit, für die die Aufmerksamkeit eines Publikums gesucht und, wenn die Inszenierung gelingt, auch gebunden wird. Jede Inszenierung, heißt das, kann sich nur vor dem Hintergrund nicht inszenierter räumlicher und zeitlicher Verhältnisse abspielen. Dies ist auch dann so, wenn eine Inszenierung die Überschaubarkeit einer genau markierten Bühne und eines genau markierten zeitlichen Rahmens verläßt. Denn sie kann sich als Inszenierung nur ereignen, wo sie Prozesse zur Erscheinung bringt, die nicht ohnehin schon - oder so noch nicht - gegeben sind. Das Geschehen einer Inszenierung ist nicht notwendigerweise einmalig. Viele Inszenierungen für das Theater sind ja gerade auf Wiederholbarkeit angelegt. Auch hier aber bleibt stets die Momentaneität der Ereignisfolge wichtig, ebenso wie der Umstand, daß es sich um eine vorübergehende Darbietung handelt. Auch eine ,permanente' Inszenierung, wie sie etwa in manchen Museumsräumen angetroffen werden kann, stellt eine Ereignisfolge dar, die sich immer wieder in ihren unverwechselbaren Abläufen zeigt. Unverwechselbar aber heißt hier im ästhetischen Kontext, daß alles hätte auch anders sein können. Jede Inszenierung ist ein grundsätzlich arbiträres Arrangement, das gerade dadurch bedeutsam wird, daß sich aus vielen, oft unübersehbaren Möglichkeiten gerade diese Folge von Konstellationen ergibt. Alles hätte anders präsentiert werden können, alles hätte sich anders präsentieren können, aber es kommt gerade hier und jetzt so daher: der Sinn von Inszenierungen. über den ich bis jetzt noch kein Wort verloren habe, verdankt sich wesentlich diesem Effekt. Inszenierungen sind Ereignisse eines vorübergehenden, grundsätzlich arbiträren, für die Augen und Ohren eines Publikums dargebotenen Arrangements. Dieses Arrangement ist komplex, weil es sich in einer Vielfalt simultaner - und simultan relevanter - Vorgänge und Nuancen vollzieht. Dieses Arrangement ist auffällig, weil es sich nicht mehr oder weniger deutlich von nichtinszenierten Handlungen und Ereignissen abhebt. Jede Inszenierung weicht vom Gang der natürlichen Dinge ab - sowohl im Hinblick auf die erste wie erst recht auf die zweite, die kulturelle Natur. Inszenierungen sind ein artifizielles Verhalten und Geschehen, das sich als ein solches von bloß kontingenten, bloß konventionellen oder bloß funktionalen Vollzügen unterscheidet. Ich kann meinen Nachbarn grüßen oder diesen Gruß inszenieren, indem ich einen imaginären Hut vor ihm ziehe. Jemand kann mit dem Auto bei seiner Schwiegermutter vorfahren oder dort mit einer Vollbremsung zum Halten kommen. Ein Klempner kann ein Urinoir in einem Raum abstellen, ein Duchamp kann es - in einer Galerie - als ein (oder auch nur: wie ein) Kunstwerk inszenieren. Wie auch immer, damit etwas als Inszenierung aufgefaßt werden kann, muß es auf die eine oder andere Weise als ein absichtsvoll und hervorgebrachtes Ereignis auffällig sein, das sich einer (wie immer begrenzten oder unbegrenzten) Öffentlichkeit als bedeutsam präsentiert. Diese Auffälligkeit kann sich in einem spektakulären, originellen oder normativem Sinn einmaliges Arrangement verdanken, das sich überdies ostentativ und reflexiv auf sich selbst bezieht. So ist es oft in der Kunst, aber so ist es keineswegs immer. Für Inszenierungen im allgemeinen reicht es aus, daß ihre Ausführung an ihrem Ort auf ihre Weise auffällig genug ist, um sich von anderen Vorgängen als eine artifizielle Präsentation zu unterscheiden."

3. aus: Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Frankfurt a. M. 1993, S. 24-26. „Das Tiefste, das ist zum einen das Unmittelbare; andererseits ist das Unmittelbare in der Sprache. Das Paradox erscheint als Entzug der Tiefe, Entfaltung der Ereignisse auf der Oberfläche, als Entfaltung der Sprache entlang dieser Grenze. Entgegen der alten Kunst der Tiefen und der Höhen ist der Humor diese Kunst der Oberfläche. Die Sophisten und die Zyniker hatten aus dem Humor bereits eine philosophische Waffe gegen die Sokratische Ironie gemacht, doch mit den Stoikern findet der Humor seine Dialektik, sein dialektisches Prinzip und seinen natürlichen Platz, seinen rein philosophischen Begriff. Dieses von den Stoikern eingeführte Verfahren setzt Lewis Caroll auf seine Weise um. Oder er nimmt es auf seine Weise wieder auf. Im gesamten Werk Carolls geht es um Ereignisse in der Differenz zu den Wesen, den Dingen und Dingzuständen. Doch der Anfang von Alice (die gesamte erste Hälfte) sucht noch nach dem Geheimnis der Ereignisse und des Unbegrenzt-Werdens, das sie beinhalten, in der Tiefe der Erde, Brunnen und Tierbauten, die tief unten vergraben verlaufen. Mischung von Dingen und Körpern, die sich durchdringen und koexistieren. Je weiter man in der Erzählung jedoch vorankommt, machen die Bewegungen des Versenkens und Vergrabens seitlichen Gleitbewegungen von links nach rechts und von rechts nach links Platz. Die Tiere der Tiefen werden nebensächlich und machen den außerordentlich schmalen Kartenfiguren Platz. Man könnte sagen, daß die alte Tiefe sich in Breite erstreckt hat, zur Weite wurde. das Unbegrenzt-Werdens erstreckt sich nun vollständig in diese wiedergekehrte Breite. Tief hat aufgehört ein Kompliment zu sein. Nur die Tiere sind tief; aber gewiß nicht die edelsten, die flache Tiere bleiben. Die Ereignisse sind wie Kristalle, sie werden und wachsen nur durch die Ränder und an den Rändern. das ist also das erste Geheimnis des Stotterers und des Linkshänders: sich nicht versenken, sondern in der Weise entlanggleiten, daß die alte Tiefe nichts mehr ist. und auf die Kehrseite der Oberfläche reduziert wird. Durch bloßes Gleiten erreicht man die andere Seite, da die andere Seite nur die umgekehrte Richtung ist. Und wenn es hinter dem Vorhang nichts zu sehen gibt, dann deshalb, weil das Sichtbare oder eben das ganze mögliche Wissen eben die Fläche des Vorhangs ist und es ausreicht, ihr weit genug und eng genug, oberflächlich genug zu folgen, um seine Rückseite hervorzukehren, um aus der rechten die linke zu machen und umgekehrt. Alice erlebt also nicht mehrfache Abenteuer, sondern ein einziges: ihren Aufstieg an die Oberfläche, ihre Mißbilligung der falschen Tiefe, ihre Entdeckung, daß sich alles an der Grenze ereignet. Deshalb verzichtet Caroll auf den zunächst vorgesehenen Titel ´Alice und ihre unterirdischen Abenteuer´".

Melanie Ohnemus

1 Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Frankfurt a. M. 1993, S. 24.

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