press release only in german

4 ½ rooms
Installations by 
Jeongmoon Choi / Carola Ernst / Pegasus Product (Dargelos Kersten,  Anton Peitersen und Gernot Seeliger) / Geerten Verheus

26. November 2021 – 12. Februar 2022

Die Galerie Georg Nothelfer freut sich vier KünstlerInnen-Positionen für experimentelle Großinstallationen gewinnen zu können.

Für die Dauer der Ausstellung verwandelt das Künstlerkollektiv Pegasus Product (Dargelos Kersten, Anton Peitersen und Gernot Seeliger) einen Teil der Galerie in einen Massagesalon mit vorgelagertem Wartezimmer. Unter dem Titel Taxes & Tantra (2021) können sich die BesucherInnen aber nicht nur massieren, sondern zugleich steuerlich beraten lassen und so das Schöne mit dem Nützlichen verbinden. Schön und nützlich zu sein ist eine Erwartung, die gemeinhin an Designobjekte gestellt wird, an formvollendete Möbel mit Eigennamen, originelle Blumenvasen oder an Lampen, die nicht nur Licht spenden, sondern auch Ausdruck einer schöpferischen Idee sein sollen. Ihre Funktionalität grenzt diese Gegenstände von der vermeintlichen „Interesselosigkeit“ der Kunst ab. Dass beide Sphären nicht glasklar voneinander zu trennen sind, zeigte allerdings schon die documenta III im Jahr 1964, die dem Industriedesign eine eigene Abteilung widmete. Unter den Exponaten war der damals noch relativ neue Lounge Chair von Charles und Ray Eames, inzwischen längst eine vielfach kopierte Design-Ikone. Als „Unbequeames lounge“ findet er sich auch im Wartezimmer des Massagestudios. Wie alle anderen Einrichtungsgegenstände von Taxes & Tantra ist er zusammenmontiert aus wiederverwerteten Spanplatten, Metallteilen und sonstigen Relikten des bürgerlichen „curated home“, in dem die Austauschprozesse zwischen Kunst und Design, Symbol- und Gebrauchswert in schlingernde Bewegung geraten sind. 

Auch im Raum gegenüber steht ein Möbel mit Geschichte: Carola Ernsts kastenförmiger Aufbau fungiert in ausgeklapptem Zustand sowohl als Sekretär wie als Kabinettschrank. An den stoffbespannten Seitenflügeln sind Fotografien ihrer bisherigen Arbeiten fixiert, ein Stuhl lädt uns ein, die bereitliegenden Werkinformationen zu lesen. Als Kabinettschrank verweist das Möbel auf das Sammeln als kulturelle Praxis und ist dabei so beweglich wie Schreibmöbel in ihrer Frühzeit, als sie auf Reisen mitgenommen wurden. Flexibel ist das Objekt auch in seinem Inhalt, da die Bildkonstellationen immer neu zusammengefügt werden können. Sie weisen es als höchst subjektiven Bilderatlas nach dem Vorbild Aby Warburgs aus, in dem kunst- und kulturgeschichtliche Motive über die Epochen hinweg miteinander in Dialog treten. Der weit ausholende Werktitel – There was an eye in a bight/ That travelled much faster than light / It departed one day, / In a relative way, / And arrived on the previous night (seit 2009 fortlaufend) – wandelt einen berühmten Limerick des britischen Naturwissenschaftlers A.H. Reginald Buller aus den 1920er Jahren – dem Jahrzehnt des Bilderatlas – ab. Dieser spielte humorvoll auf die damals noch junge Physik Albert Einsteins und seine revolutionäre Konzeption des Raum-Zeit-Verhältnisses an: Raum und Zeit sind keine absoluten Größen, sondern relativ. Statt der jungen Frau bei Buller reist bei Carola Ernst jedoch ein Auge durch Raum und Zeit, von der Gegenwart in die Vergangenheit, und stellt auf seiner Reise neue Verbindungen zwischen Bildern und Werken her.

Geerten Verheus’ 210 cm große, von der Decke hängende Arbeit GROßES GEGENTEIL (2021) gleicht in ihrer Form einem in die Länge gezogenen Kristalllüster. Anstelle Dutzender funkelnder Glassteine schwillt hier jedoch eine undurchdringbar schwarze, bauchige Gummigestalt in den mittleren Raum der Galerie. Ihr phallisches Assoziationspotential wird durchkreuzt durch die Neonlampe, die von unten in ihre Mitte hineinragt und von ihr verschluckt wird. Deren elektrischer Schein zwängt sich aus der schmalen Öffnung in den Raum und verhilft dem Objekt gleichsam wider Willen zur Erfüllung seiner lichtspendenden Funktion. Ein subversives Spiel mit der Semantik handelsüblicher Materialien und den Gebrauchsweisen alltäglicher Objekte treibt der Künstler auch bei Medium (1999-2018). Dessen bunte PVC-Streifenvorhänge dienen sonst als improvisierte Schwellenzonen zwischen Innen und Außen, Privat und Öffentlich, Arbeit und Wohnen. Einer solchen Grenz- und Zugangsmarkierung verweigern sie sich hier jedoch: Vielmehr verselbständigen sie sich im hintersten Galerieraum durch ihre raumfüllende Vervielfachung zu einer begehbaren Skulptur, die im linearen Farbenspiel an Streifenbilder des Color Field Painting erinnert. Dessen immersive Wirkung stülpen sie quasi in die materielle Realität des physischen Raums, in dem die dünnen PVC-Streifen zum undurchdringlichen Labyrinth werden. 

Eine Tendenz zur Desorientierung können auch die Rauminstallationen von Jeongmoon Choi entfalten, dabei setzen sie jedoch auf eine Phänomenologie des Immateriellen, die auf virtuelle Räume und imaginäre Orte verweist. Auch wenn sie wie reine Lichtarchitekturen erscheinen, basieren sie auf Schwarzlicht und fluoreszierendem Stoffgarn, das in konkreten geometrischen Figuren den Raum durchspannt, dabei jedoch an mancher Stelle abrupt endet und ins Dunkel des Raums hineinragt. Die Künstlerin orientiert sich immer eng an der vorgefundenen architektonischen Situation, so dass Drawing in Space – Folding Surface (2021) den Grundriss einer niedrigen Kammer des Galerieraums aufgreift und in ein subtil verschachteltes Gespinst von Lichtbahnen übersetzt. In dieser zeichnerischen Spur aus Licht, die einen ‚immateriellen‘ Raum im Raum entstehen lässt, liegt ein wesentlicher Unterschied zu den reduzierten Installationen mit Woll- und Acrylfäden oder Kupferdrähten in Minimal Art und Neoconcretismo: In Jeongmoon Chois Installationen fungiert der real-physische Raum als Ankerpunkt und wird doch überschritten, ins Imaginäre erweitert. Ihre volumetrischen Licht-Figuren fügen sich zu begehbaren, immersiven Raum-Bildern, welche die eigene körperliche Wahrnehmung zu einer überraschend doppelbödigen Erfahrung werden lassen. 
• Geerten Verheus