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Künstlichkeit sozialer Realität MONITORING, die Ausstellung mit Medieninstallationen zum Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest findet in diesem Jahr zum fünften Mal und zum ersten Mal in anderen Räumen statt. Ausstellungsort ist der Kasseler KulturBahnhof.

Eine weitere Besonderheit ist die Beteiligung des kanadischen Künstlers Stan Douglas, der in diesem Jahr den Arnold-Bode-Preis verliehen bekommt. Wie in den vergangen Jahren richtet damit auch diesmal wieder der Kasseler Kunstverein die Präsentation des Preisträgers aus, und wie vor einigen Jahren bei dem Videokünstler Tony Oursler findet diese Vorstellung auch im Rahmen des Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes statt. Die künstlerischen Arbeiten, die in der Ausstellung versammelt sind, haben als Perspektive ein Bewusstsein für das Double-bind, die Wahrnehmung der Umwelt wahr-zunehmen oder diese Wahrnehmung als individuelle Sichtweise kritisch zu betrachten.

Die ausgestellten Werke schaffen zum Teil dichte Strukturen mit einer komplexen Überlagerung von unterschiedlichen Bezugssystemen. Darin ist der Nutzer gefragt, die Mehrdeutigkeit auszuhalten und sie nicht einfach in einer Richtung aufzulösen. Dazu gehören Konzepte von Alltäglichkeiten, Begegnungen auf der Straße oder Beobachtungen von scheinbaren Nebensächlichkeiten. Sie wenden sich gegen eine Haltung, die in den künstlerischen Medien das Besondere sucht und setzen dem eine Herausstellung des vordergründig Unbedeutenden entgegen. Ein Aspekt der Bedeutsamkeit dieser künstlerischen Handlung ist jedoch, dass sich die Bedeutung des Unbedeutenden durch die Übertragung in ein bedeutungsherstellendes Medium – Kunst – herstellt. Die künstlerische Schilderung von nebensächlichen Momenten ist alles andere als nebensächlich.

Ein Stellvertreter entsteht durch die Verdichtung eines Charakters im Hinblick auf seine Zeichenhaftigkeit. Augenblicke des Wirklichen werden verdichtet und in ihrer Anlage in einen anderen Körper übertragen. Avatare, Hollywoodstars und Spielzeugmonster sind sich darin ähnlich, dass sie ihr Leben dem menschlichen Bedürfnis nach solchen Ersatzhandlungen verdanken. In einer Welt der Alltäglichkeiten ermöglichen die Stellvertreter, das Andere virtuell zu leben, ohne unmittelbare Konsequenz. Das ist ein Trugschluss. Er offenbart sich in der künstlerischen Konzeption der Stellvertreter. Sie erlaubt einen Rückschluss von ihrer Eigenart auf die Befindlichkeiten der Gesellschaft, die sie schuf.

Die Konfrontation solcher wahrnehmungskritischen Ansichten mit dem Versuch, auf dokumentarische Weise von menschlichen Lebensumständen zu berichten, bildet einen dritten Themenbereich der Ausstellung. Die Situation von politischen Flüchtlingen in Holland, Männer im Pensionierungsalter, Alkoholiker und die eigene Familie treten dabei ins Blickfeld. Jede der Arbeiten versucht auf ihre Weise, dem Thema ein angemessenes mediales Forum zu verschaffen. Keine der Arbeiten vergisst, dass sie letztendlich eine Abstraktion von den alltäglichen Verhältnissen ist und darin wieder nur Stellvertreter vorstellen kann.

Holger Birkholz

18. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest

Das 18. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest wird die Frage nach dem Stellenwert des dokumentarischen Schaffens heute nicht endgültig beantworten. Doch es wird einen Ausschnitt aus dem internationalen Arbeiten mit Film und Video zeigen, dessen unterschiedliche Formen vom abendfüllenden Kinofilm bis hin zum Kurzvideo reichen. Aus über 1300 Einreichungen wurden 30 Dokumentarfilme sowie über 125 internationale dokumentarische und künstlerisch-experimentelle Videoarbeiten aus 24 Ländern ausgewählt, die in 43 Programmblöcken präsentiert werden. Immer wieder wird hierbei das Dokumentarische, das Beobachtende offensichtlich: »Blickwechsel« z.B. führt durch einen Parcours des Sehens, der beginnend bei zufälligen Blicken über voyeuristische Sehnsüchte bis hin zum gezielten Verfolgen reicht. Das Gegenüber wird ins Blickfeld der Beobachtung gezogen – seine Rolle ist nicht zwangsläufig freiwillig gewählt, die Möglichkeit zur Selbstbestimmung wird häufig negiert.

Gerade dies ist jedoch ein zentrales Thema des 18. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes. In der aktuellen Auswahl zeichnet sich ein immenses Interesse an Themen zu Politik und Zeitgeschehen ab. Gebündelt zeigt sich dies im Videoprogramm Gegendarstellungen, das die Hintergründe politischer Entscheidungen wie auch die Möglichkeiten einer Bürgerbeteiligung aus der Perspektive der »Ohn-Macht« dokumentiert. Ein Video zeigt die Vorkommnisse des G8-Gipfels 2001 in Genua aus der Sicht der Demonstrierenden. Subversiv und skurril vermittelt Der kleine Lärm den Protest gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens, bei dem ein »Noizemobil« hessischen Landtagsabgeordneten den Schlaf raubt. Ein Road-Dokumentar-Movie, dessen dargestellte Aktion in Nordhessen wegen des umstrittenen Ausbaus des Flughafens Kassel-Calden Schule machen könnte. Zudem finden sich Bezüge zu den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen: Where Women are banned berichtet von der Lebenssituation von Frauen im Afghanistan der Taliban; das Phänomen des Terrorismus selbst untersucht Do it: Daniele von Arb war in den 70ern ein international gesuchter Schweizer Topterrorist; heute agiert der ehemalige Revolutionär als Wahrsager. Do it zeichnet die Odyssee von Arbs bis heute nach und verweist dabei auf das Recht zur persönlichen Entwicklung. Diese war Starbuck nicht vergönnt: Holger Meins, von dessen Leben Gerd Conradts Film berichtet, starb 1974 mit 33 Jahren als erstes RAF-Mitglied im Hungerstreik. Die Fragen nach den Ursprüngen und Motivationen von Terroristen erhalten im Kontext von persönlichen Zeitdokumenten eine neue Dimension.

Anderer Ort, andere Geschichte: So jung kommen wir nie wieder zusammen illustriert eine Gruppe von Punks – 10 Jahre später. Ein Generationenportrait, das den Weg vom No-Future-Syndrom bis hin zur ersten Internet-Million nachzeichnet.

Wird hier durch subjektiv gefärbte Erzählungen Geschichte vermittelt, findet sie sich auch in verschiedenen Familiengeschichten. Zwei Dokumentarfilmerinnen widmen sich der Vergangenheit ihrer Mütter und Großmütter und entdecken so eine aus dem Album familiärer Erinnerungen gestrichene Zeugenschaft des Holocaust (Matrilineal), wie auch die Erfahrung des totgeschwiegenen Selbstmords der Mutter (Danach hätte es schön sein müssen); erzählen von Distanz und Sprachlosigkeit innerhalb der engsten menschlichen Gesellschaft. Resultate filmischer Erinnerungsarbeit bietet auch »Geschichte in Geschichten«; das Tabuthema Suizid steht im Zentrum des Videoprogramm »Über Leben oder Tod«. Ein weiterer Block der Auswahl behandelt Themen zu Kunst und Kulturgeschichte. Absolut Warhola, der Eröffnungsfilm des diesjährigen Festivals, umrundet das einzige Pop-Art-Museum Europas im »ruthenischen Bermuda-Dreieck« zwischen Slowakei, Polen und Ukraine. Hier, in Medzilaborce nämlich, wurde die amerikanische Pop-Ikone Andy Warhol geboren – die zum Gegenstand eines nie endenden stolzen, wenngleich ahnungslosen Fabulierens wird.

Eine Auseinandersetzung mit Geschichte und Kunst, Raum und Zeit in der neuen Mitte Berlins vollzieht Konzert im Freien. In seinem experimentellen Dokumentarfilm lässt Jürgen Böttcher, als Künstler bekannt unter dem Namen Strawalde, die bekannten DDR-Jazzer Günther Sommer und Dietmar Diesner ihren musikalischen Kommentar zum heute anachronistischen Denkmals-Ensemble »Marx-Engels-Forum« abgeben.

Im Kunstbereich siedelt sich auch das diesjährige Sonderprogramm »Wiedervorlage d5 – documenta und Film« an, das gemeinsam mit dem documenta Archiv veranstaltet wird. Gerade auch an der documenta kann der immer höher werdende Stellenwert von Videokunst und Film innerhalb des Kunstbereiches abgelesen werden. Vier Programme vermitteln Einsichten in die historischen Zusammenhänge zwischen documenta und Film – ausgehend von der d5 bis zur heutigen Rolle des Films im Ausstellungsgeschehen. Das raumbezogene Arbeiten mit Video hat längst einen festen Platz in der aktuellen Kunstproduktion. Die begleitende Ausstellung MONITORING zeigt aktuelle Positionen der Medienkunst von 17 internationalen Künstlerinnen und Künstlern, darunter den diesjährigen Arnold-Bode-Preisträger Stan Douglas. Erstmalig werden auf dem 18. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest Förderpreise verliehen: Der »Werkleitz Award 2001« für den innovativen Einsatz digitaler Medien im künstlerischen Bereich und der »Goldene Herkules« der Tageszeitung HNA für die beste filmische Produktion aus Nordhessen, um den 17 Arbeiten konkurrieren. Auch das Festival selbst erhält in diesem Jahr eine Anerkennung, indem es durch das »MEDIA Plus«-Programm der europäischen Union gefördert wird. Die inzwischen etablierte Fachtagung interfiction sorgt zum 8. Mal für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Medien- und Netzkultur. Theoretiker und Praktiker werden zum Thema »Streaming Media im WWW zwischen Kunst, Kulturindustrie und Kommerz« diskutieren.

Auch im Jahr 2001 bietet das Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest wieder eine perspektivenreiche Auseinandersetzung mit den verschiedensten Ansätzen: dokumentarisch, künstlerisch, diskursiv. Geschaffen wird ein Ort der Kommunikation, an dem es alte und neue Medien zu diskutieren gilt: Vom Film über Video zur Videokunst bis hin zum künstlerischen Arbeiten im Internet.

Pressetext

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18. Kasseler Video- und Dokumentarfilmfestival

Monitoring
Ort: Kasseler KulturBahnhof
KünstlerInnen: Stan Douglas, Candice Breitz, Eric Hattan, Jörg Herold, Hörner / Antlfinger, Annette Hollywood , Susanne Kutter, Katrin Leitner/Walter Peter, Christine Lohr, Christoph Rütimann, Jaap de Ruig, Rada Sesic, Thomas Sterna. Florian Thalhofer, Catrine Val