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Vor gut hundert Jahren begann in Dresden mit der Gründung der Künstlergruppe „Brücke“ die Geschichte des deutschen Expressionismus. Vier junge Architek-turstudenten – Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff – fanden sich 1905 zusammen, um die Kunst zu erneuern, sie von in-haltlichen und formalen Fesseln zu befreien. Der von Schmidt-Rottluff vorgeschlagene Name der Gruppe ist eine von Nietzsche entlehnte Metapher: Die Brücke steht für den Aufbruch zu neuen Ufern. Erstrebt wurde die Harmonie zwischen einem befreiten Leben und einer befreiten Kunst. Im Programm von 1906 heißt es emphatisch:

„Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Genießenden, rufen wir alle Jugend zusammen, und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“

Von vornherein arbeiteten die Brücke-Künstler in verschiedenen Medien. Es entstanden Meisterwerke der Malerei und der Druckgraphik. Die Handzeichnung war eine besonders geschätzte Gattung, erlaubte sie doch einen sehr spontanen, lebhaften, frischen Zugriff auf die Wirklichkeit. Sie begünstigte den unmittelbaren Ausdruck und die unverfälschte Wiedergabe, wie sie im Manifest gefordert wurden. Eine Auswahl aus den Beständen der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe gibt Einblick in die breite Skala der Formen und Themen, führt aber mit Feder-, Kohle-, Kreide-, Blei- und Buntstiftzeichnungen sowie einigen Aquarellen auch eine große technische Vielfalt vor Augen. Die ausgezeichnete Sammlung von Brücke-Zeichnungen und -Drucken im Karlsruher Kupferstichkabinett ist vor allem zwei Personen zu verdanken: 1954 stiftete Walter Kirchner zahlreiche Werke aus dem Nachlass seines Bruders Ernst Ludwig und 1967 machte Erich Heckel eine umfangreiche Schenkung, die neben eigenen Werken auch einige Werke anderer Künstler umfasste.

Leider fehlen im Karlsruher Bestand Zeichnungen aus der frühen Phase der „Brücke“, so auch vom Gründungsmitglied Fritz Bleyl, der schon 1907 aus der Gruppe ausschied. Von Karl Schmidt-Rottluff ist nur eine Zeichnung aus der Brücke-Zeit vorhanden: Freilich ist das in Dangast am Jadebusen kühn und kraftvoll gezeichnete „Gehöft“ von 1911 ein Meisterstück. Breit vertreten sind Heckel und Kirchner: Einige ihrer Werke unterstreichen die Bedeutung des Aktstudiums für die Brücke-Künstler. Sehr schnell und mit zunehmender Sicherheit zeichneten sie nach Modellen, die sich möglichst natürlich bewegen sollten. Diesem Postulat wurden in besonderer Weise Kinder gerecht, die von den Künstlern immer wieder dargestellt wurden, unter ihnen die berühmt gewordene Fränzi Fehrmann. Max Pechstein, Brücke-Mitglied seit 1906, hat sie 1910 in einer sehr reduzierten und mit den Grundfarben Rot, Blau und Gelb zart aquarellierten Kreidezeichnung festgehalten. Sie erscheint auch auf zwei Zeichnungen von Heckel. Daneben dienten häufig die Freundinnen der Künstler als Modell, so etwa die mit Kirchner liierte Doris Grosse, genannt Dodo. Eine hinreißende Kreidezeichnung von 1908/09 zeigt sie, von ihrem Buch aufschauend, vor einem Spiegel.

Im Sommer arbeiteten die Künstler, häufig Seite an Seite, in der freien Natur – an den Moritzburger Teichen in der Nähe von Dresden, aber auch an Nord- und Ostsee. Dabei schlug sich das Erlebnis der Landschaft in raschen Skizzen oder auch in stärker ausgeführten Aquarellen nieder. Nie verlieren sich diese Werke in Details; nie ist der Strich zaghaft, sondern stets zupackend und sicher. Format und Komposition des Blattes sind immer im Bewusstsein des Zeichners. Von großer atmosphärischer Dichte ist die stark abstrahierte Hamburger Hafenansicht, die Emil Nolde – 1906/07 für anderthalb Jahre Brücke-Mitglied – um 1910 geschaffen hat.

Auch die Stadt bildete ein bedeutendes Motiv, zunächst vor allem Dresden. Die Straßenszene am Dresdner Elbufer („Uferstraße mit Bäumen“), die Kirchner um 1909 gezeichnet und aquarelliert hat, erinnert an Kompositionen der französischen „Fauves“ um 1905. Der geltungsbedürftige Kirchner, der für sich gerne den Primat unter den modernen Künstlern beanspruchte, hat sein Blatt deswegen möglicherweise bewusst auf 1904 vordatiert: Er wollte gerne als der Erfinder des Expressionismus erscheinen. 1911 wurde der Sitz der Gruppe nach Berlin verlegt, wo Pechstein schon seit 1908 wohnte. In der sich dynamisch entwickelnden Reichshauptstadt erhofften sich die Künstler mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung, vor allem auch bessere Verdienstmöglichkeiten. Mit der Bleistiftzeichnung „Mann und Mädchen“ von 1912 öffnet uns Heckel sein Atelier in Berlin-Steglitz. Die Betriebsamkeit und Dissonanzen der Metropole bildeten eine Quelle der Inspiration. Der empfindsame Heckel wandte sich verstärkt dem einsamen und entfremdeten Großstadtmenschen zu. Im „Sitzenden Mann“ von 1912, einem Selbstbildnis, präsentiert sich Heckel als schwermütiger Grübler. 1913 kam es nach Streitigkeiten unter den Mitgliedern zur Auflösung der Künstlergruppe. Der gemeinsam entwickelte Stil der Brücke wirkte zwar fort, doch verstärkten sich nun die individuellen Ausdrucksformen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 beschleunigte diesen Prozess.

Pressetext

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100 Jahre Künstlergruppe Die Brücke 
Zeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Werke von Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff