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Zoltán Jókays Bildern sind im Wortsinn sehr persönliche Bilder - Ich-Bilder. Das Fotogra-fieren ist Arbeit am gebrochenen Spiegel, ist Arbeit am Bild von sich selbst im Bild vom Anderen. Fotografie ist eine Sprache, ein Hilfsmittel, sich der eigenen Biografie zu bemächtigen, sie zu verstehen, sich ihrer zu erwehren. Nichts an diesen Bildern ist cool oder distanziert, und genau darin liegt darin der besondere Reiz dieser Bilder. Denn immer geht es um Intimität, um Nähe, um das Berührtwerden und –sein. Aber die Grenze zum Voyeuristischen, auch wenn sie oft in Blicknähe liegt, wird dabei nie wirklich überschritten. Die Bildsprache Zoltán Jókays liegt in einem vormodernen historischen Referenzraum, auch wenn der Fotograf sich auf Vorbilder wie August Sander oder Diane Arbus bezieht. Sie ist von einer altmeisterlichen, auch alttestamentarischen Ausdrucksintensität, die auf das Barock, auf Maler wie Raffael verweist. Dazu bedarf es keiner opulenten Formate, keiner nachweislich der christlichen Ikonografie verpflichteten Bildzeichen: Es ist eher die Art, wie Jókay menschliche Seinszustände kondensiert. Man kann diese Arbeitsweise ist, bezogen auf seine Vorfahren, auf Sander und Arbus, als Schritt »zurück nach vorn« bezeichnen. Nie seziert er seine »Modelle« nach den Spielregeln der kritischen Moderne. Damit bleiben sie in einem fast romantischen Sinne, immer Menschen in einem intimen Moment der Vergewisserung von Identität.

Zoltán Jókay wird Anfang der 1990er Jahre mit einer Serie von Porträts bekannt, die in der so genannten Wendezeit zumeist in Leipzig entstehen. Weniger ein konkretes Arbeitsan-liegen als die Neugier auf die politischen Ereignisse und die Menschen führt ihn in die sächsische Metropole. Hier trifft er auf eine Umgebung, die dem Sohn ungarischer Emi-granten das Biografische als Basis seiner Bildsprache aufdrängt. Es entsteht Sich erinnern, eine Serie von Fotografien, die als Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit begriffen werden kann. Jókay findet die Erinnerungen nicht in der verlorenen Heimat der Eltern, sondern im postsozialistischen, vormodernen Habitus der Stadt Leipzig und ihrer Bewoh-ner. Es ist wohl vor allem ein Riss in der Zeit, eine Art sozialpsychologischer Zwischenraum, den Jókay hier entdeckt, und der ihm als Erfahrung der eigenen Kindheit vertraut ist. Für seinen ersten Bildzyklus Sich erinnern, entstanden von 1988 bis 1993, fotografiert Zoltán Jókay Kinder und Jugendliche, die sich in diesem Riss zu behaupten versuchen. Die Erwachsenen sind auf den Bildern kaum zu sehen, aber ihre ebenfalls gebrochene Existenz schreibt sich als Spur psychischer Gewalt in die Gesichter der Kinder und Jugendlichen ein. Sie lehnen an Türrahmen, an Polstermöbeln und an Väterbeinen, klammern sich an Kätzchen und Badetüchern. Aber ihre Verlorenheit findet lediglich Halt in der von einer hohen Sensibilität für Farbwerte getragenen Bildkultur.

Jókay fotografiert die, die ihm gegenüberstehen, die da sitzen und liegen, nicht eigentlich als Kinder. Es sind kleine, schwer beladene Erwachsene in einem kurzen, fragilen Moment der Bewusstheit von sich selbst, die sie, darin ganz unbewusst, dem Mann mit der Kamera offenbaren. Jókay ist kein konzeptioneller Macher, kein Bilderproduzent. Ihn interessiert weder Systematik noch Typisierung. Seine Arbeit fügt sich einem Zeitmaß, das sich nicht an den Kriterien professionalisierter Produktion orientiert. Und so erweist sich die Aufmerksamkeit, die diesen Bildern geschenkt wird, die Erwartungshaltung, die ihm in Folge entgegenschlägt, als eine Art Fluch. Es gilt, diesen »ersten« Bildern, denen vor allem tagebuchartige Bild- und Textnotizen vorangegangen waren, zu entrinnen, sich mit ihnen im Gepäck auf eine Reise unbekannten Weges zu begeben. Und so entstehen im Verlaufe des sich anschließenden Jahrzehnts zwei Bildzyklen, die unter den Titeln Sich begegnen und Erwachsen werden auf den ersten Blick nur minimale formale Unterschiede – etwa die Verwendung eines anderen Bildformates – erkennen lassen.

Tatsächlich gibt es Bilder, die sowohl zu dem einen wie zu dem anderen Zyklus gehören könnten. Doch zeichnet sich, über alle drei fotografischen Folgen, eine Bewegung ab, die schon im letztendlichen Verzicht auf das reflexive Wörtchen »sich« im Titel der letzten Arbeit ihren Niederschlag findet. Die Sehnsucht hat ein vorläufiges Ziel. Aus der Beschreibung der Einsamkeit kommend, sucht sie nun Nähe, auf dass das Heimweh sich erfülle. Nun geht es – es ist den Bildern anzusehen – um Abstände, die definiert, überwunden und dann zurückerobert werden müssen. Sich begegnen hat eine durchaus erotische, besser sinnlich-zärtliche Komponente. Es scheinen Momente wenn auch zerbrechlichen Glücks auf: Als wolle der Fotograf mittels der Kamera erfahren, wie es sich anfühlt, wie verschieden es sich »begreifen« lässt.

Er fotografiert Menschen, wo er sie trifft, zu treffen beabsichtigt: Zumeist an den Rändern der Straßen und auf den Plätzen zwischen ihnen, seltener in der schützenden Intimität von Wohnräumen. Die Porträtierten stehen, sitzen, sind mal ganzfigurig, mal zu zwei Dritteln erfasst. Präzise konturiert stehen sie vor dem zumeist weich gezeichneten Hintergrund. Häufig richtet sich zumindest eines der im Bild präsenten Augenpaare auf die Kamera, auf den sich dahinter verbergenden Fotografen. Und auch dort, wo es anders ist, wo sich der Blick auf jemand Drittes richtet, scheint er auf intensive Weise verfangen in sich und der Welt. Jókay arbeitet in Berlin und in Schottland, in Budapest und in Ravensburg, wohin es ihn dank eines Stipendiums verschlägt. Pressetext

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Fotografie und Medien
Zoltán Jókay. Porträts (1988 - 2003)
Zoltan Jokay
Kuratorin: Inka Schube