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»Zeichen, gefangen im Wunder – Auf der Suche nach Istanbul heute«, eine Ausstellung des MAK, Wien, adaptiert vom Kunstverein Hannover ist eine Momentaufnahme gegenwärtiger Kunstproduktion im Kontext von Türkei und Istanbul. Werke verschiedener Medien wie Fotografie, Film, Installation und Malerei von 23 internationalen KünstlerInnen dreier Generationen, die in Istanbul leben oder in der Türkei aufgewachsen sind, skizzieren unterschiedliche Aspekte zu Kultur, Geschichte und Alltag einer facettenreichen Metropole und eines Landes mit europäischen, orientalischen und asiatischen Einflüssen Narration als Thema zeitgenössischer Kunst ist ein bestimmendes Moment in der Ausstellung. Die kuratorische Herangehensweise ist inspiriert von Literatur, in der das Entstehen kollektiver Vorstellungen über fremde Kulturen und Sprachen thematisiert wird. Insbesondere Werke bedeutender Autoren wie Mario Levi, Orhan Pamuk, Franco Moretti oder Homi K. Bhabha haben großen Einfluss auf allgemeine Vorstellungen zu Istanbul und die einhergehende Entstehung von »Weltbildern« ausgeübt.

Verschiedene Themen werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln künstlerisch betrachtet. Marcel Odenbach, Lukas Duwenhögger und CANAN setzen sich jeweils mit gesellschaftlichen Rollenbildern von Männern und Frauen auseinander. In märchenhaften Bildern im Stil traditioneller Mogul-Miniaturmalerei erzählt die Künstlerin CANAN (1970) in der Videoanimation »ibretnüma / exemplary« (2009) die Geschichte einer jungen Frau vor dem Hintergrund moralischer Vorstellungen des Islam im 20. und 21. Jahrhundert unter Berücksichtigung autobiografischer Anteile. CANAN analysiert Vorurteile und bestimmte traditionelle Vorstellungen eines patriarchalisch geprägten Beziehungsmodells, das nicht nur durch Männer, sondern auch durch die Frauen selbst geformt wurde. Der deutsche Künstler Marcel Odenbach (1953) dokumentiert in seiner 2-Kanal-Video-Arbeit »Männergeschichten 1« (2003) hingegen den Besuch beim Barbier und reflektiert über den Ort des sozialen Gesprächs während des männlichen Rituals der Rasur. Untermalt sind die Szenen mit Ansichten der Stadt Istanbul und Found-Footage-Bildern aus Yilmaz Güneys Film »Yol – Der Weg« (1982). Einen Kontrapunkt bildet Lukas Duwenhöggers (*1956) erzählerische Malerei »Perusal of iII – Begotten Treasures« (2003), die verschiedene Rollenbilder homosexueller Repräsentation thematisiert. Die hier dargestellte homoerotische Exzentrik mag auf den Schriftsteller Pierre Loti verweisen, dessen erster Roman in Istanbul spielt.

Die globalen Einflussfaktoren auf das Bild einer Stadt sowie die komplexe und widersprüchliche Bildung einer nationalen Identität stehen im Mittelpunkt des Werks des 2007 verstorbenen Hüseyin Bahri Alptekin (1957) und in dessen Installation aus der Serie »H Fact: Hospitality/Hostility« (2003–2007), von der das MoMA, New York, 2012 einen Teil angekauft hat. Auf fünf Neonleuchtschildern sind exotische Namen von Low-Budget-Hotels wie Motel Rio, Pension Cadiz, Tirana Palace oder Balkan Oteli zu lesen. Alptekin visualisiert mit dieser Serie das global einheitliche, sogenannte »heterotope« Erscheinungsbild billiger Hotels und deutet zugleich auf den potentiellen Statuswechsel von Gastfreundschaft und Feindschaft oder Besucher, Fremder und Außenseiter hin. Die pakistanische Künstlerin Hamra Abbas (1976) entfernt in ihren Fotografien »Cityscapes Istanbul« (2010) aus Istanbuls Skyline sämtliche Minarette und mildert damit einerseits – aus der Sicht islamfeindlicher Rechter – deren Bedrohlichkeit, andererseits nimmt sie ihr auch ihre unverwechselbare Charakteristik und spektakuläre Romantik und verweist zudem auf Diskussionen um Religionsfreiheit.

Die Thematik der Grenze steht im Fokus gleich mehrerer künstlerischer Positionen der Ausstellung. In seinem fotografischen Selbstportrait "Hammock"aus dem Jahr 2010 liegt beispielsweise Murat Gök (1978) lässig in einer zwischen zwei Zaunpfählen aufgehängten Hängematte. Es handelt sich hierbei um den Maschendrahtzaun entlang der Grenze zwischen der Türkei und Syrien, dessen Absperr- und Sicherheitsfunktion er humorvoll unterwandert. Inzwischen ist die geografische Peripherie zum Brennpunkt geworden und wäre eine solche Aktion angesichts des eskalierenden Bürgerkriegs in Syrien heutzutage undenkbar. Kultureller und gesellschaftlicher Wandel sowie das Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne kommen in Cengiz Tekins (1977) Fotografie »Normalization« (2009) auf skurrile Weise zum Ausdruck. In der klassischen Wohnzimmerkulisse einer kurdischen Familie befindet sich eine große Erdgrube, in der ein wie ins Bild hineinmontiert wirkender Bauarbeiter seine Arbeit verrichtet. Es stellt sich die Frage, ob dieser in den privaten Raum eingedrungen ist oder die Bewohner vom permanenten Prozess des Bauens und Abreißens abgestumpft sind?

Halil Altınderes (1971) vielseitige künstlerische Spielweisen zeugen von aktivistischem Potential. Der Künstler, der zugleich als Kurator, Herausgeber und Verleger in Erscheinung tritt, stammt wie Gök und Tekin aus dem Südosten der Türkei, einer Region im sogenannten kurdischen Territorium. Wie viele von Altınderes Arbeiten beinhaltet auch sein neuestes Video »Tahribad-i syan: Wonderland« (2013), das Rapper in den Straßen von Istanbul zeigt, Momente des Widerstands und der Gewalt. Kurz bevor das Aufbegehren gegen die Zerstörung des Gezi-Parks in Istanbul eine landesweite Protestwelle ausgelöst hat, rückt Altındere die Auflehnung gegen ein früheres umstrittenes Stadtentwicklungsprojekt im Istanbuler Stadtteil Sulukule in den Mittelpunkt. Das Video zeigt eine Jugendgang, die die Vertreibung und Umsiedlung der Bewohner aufgrund radikaler städtischer Erneuerungs- und Umstrukturierungsprojekte sowie die voranschreitende Gentrifizierung anklagt. Die globalen Einflussfaktoren auf das Bild einer Stadt sowie die komplexe und widersprüchliche Bildung einer nationalen Identität stehen im Mittelpunkt des Werks des 2007 verstorbenen Hüseyin Bahri Alptekin (1957) – aus der Sicht islamfeindlicher Rechter – deren Bedrohlichkeit, andererseits nimmt sie ihr auch ihre unverwechselbare Charakteristik und spektakuläre Romantik und verweist zudem auf Diskussionen um Religionsfreiheit. Die Thematik der Grenze steht im Fokus gleich mehrerer künstlerischer Positionen der Ausstellung. In seinem fotografischen Selbstportrait »Hammock« aus dem Jahr 2010 liegt beispielsweise Murat Gök (*1978 »Zeichen, gefangen im Wunder – Auf der Suche nach Istanbul heute« im Kunstverein Hannover findet im Rahmen der DeutschTürkischen Kulturtage »Im Licht von Mond und Stern«, Hannover statt.

Teilnehmende KünstlerInnen Hamra Abbas / Murat Akagündüz / Eylem Aladoğan / Meriç Algün Ringborg / Hüseyin Bahri Alptekin / Halil Altindere / CANAN / Cengiz Çekil / Banu Cennetoğlu / Lukas Duwenhögger / Cevdet Erek / Erdem Ergaz / Murat Gök / Sibel Horada / Aki Nagasaka / Olaf Nicolai / Marcel Odenbach / Ahmet Öğüt / Füsun Onur / Mario Rizzi / Nasra Şimmes / Erdem Taşdelen / Cengiz Tekin

Eröffnung: Freitag, 6. September 2013, 20.00 Uhr

only in german

Zeichen, gefangen im Wunder
Auf der Suche nach Istanbul heute

artist/s:
Hamra Abbas, Murat Akagündüz, Eylem Aladogan, Meric Algün Ringborg, Hüseyin Alptekin, Halil Altindere, CANAN , Cengiz Cekil, Banu Cennetoglu, Lukas Duwenhögger, Cevdet Erek, Erdem Ergaz, Murat Gök, Sibel Horada, Aki Nagasaka, Olaf Nicolai, Marcel Odenbach, Ahmet Ogut, Füsun Onur, Mario Rizzi, Nasra Simmes, Erdem Tasdelen, Cengiz Tekin

venue/s:
23.01.2013 - 21.04.2013 Museum für angewandte Kunst, Wien
07.09.2013 - 10.11.2013 Kunstverein Hannover