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Eröffnung: 17. Januar 2008, 19 - 21 Uhr

Pressetext:

Yves Mettler wählt für seine Ausstellung in der Georg Kargl Box einen außergewöhnlichen Ansatz: er erfindet zunächst einen Begriff, den es bis dato nicht gab, und unternimmt anschließend mittels seiner Arbeiten den Versuch einer Annäherung an das, wofür dieser Begriff stehen könnte. Seine existenzielle Erfahrung eines Eingebundenseins in äußere Prozesse und Muster, und sein Begehren danach, Werkzeuge zu finden, mit denen diese äußeren Umstände zu verändern und zu gestalten wären, waren für Mettler dabei grundlegend. Um diese Werkzeuge zu (er)finden, um Situationen produzieren zu können, die diese kulturelle Transformation erlauben, müsste neuartig gedacht werden, müssten neue Begrifflichkeiten her. Die Ausstellung funktioniert in diesem Sinne als abstrakter experimenteller Raum, in dem versucht wird, diese Momente herzustellen, sie zu aktivieren, und sie mit jedem Besucher hinauszutragen in den Raum der Mettler ganz besonders interessiert: die Stadt.

Exologismen erkennen das Andere bevor es exotisch ist. (Yves Mettler) Der Begriff lautet Exologismen. Um der Bedeutung von Exologismen auf die Spur zu kommen, hilft die Geschichte von der Bleiglasfenster-Folie. Als in Deutschland hergestellte Dekorationsfolie, die zur Verschönerung auf Fenster geklebt werden kann und damit gleichzeitig als Sichtschutz funktioniert, nimmt sie Bezug auf eine europäische Kulturgeschichte, da das abgebildete Muster dem von gotischen Bleiglasfenstern nachempfunden ist. Doch interessanterweise wird diese Folie am erfolgreichsten im arabischen Raum verkauft, wo sie zur Dekoration an Deckenleuchten oder Fenster angebracht wird. Als häufig zu findender Ersatz für die traditionellen arabischen Maschrabias, aus Holz gefertigte Fensterläden, wird die Folie hier zu einem Träger zwischen den Kulturen. Die Grenze ist beweglich. Exologismen konfigurieren eine Kultur, die Beziehungen zwischen Kulturen untersucht, transformiert, modalisiert und formalisiert. (YM)

Das Muster dieser Folie interessiert Mettler hier in seiner doppelten Bedeutung: einerseits als ein globalisiertes Produkt, das sich aus der westlichen Kulturgeschichte bedient, und andererseits als mögliches Bild für die Prozesse, die den Raum der Stadt produzieren. Für ihn stellt dieses Muster die Formalisierung einer Schwelle dar, der Schwelle zwischen dem Innen und dem Außen, zwischen abstrakter Form und konkretem politischen Raum. Dieses Muster wird nun in der Ausstellung, wie eine Art Leitmotiv, auf verschiedene Weise transformiert, erweitert und übersetzt. So ähnlich wie Wörter dekliniert werden können, dekliniert Mettler die formalen Möglichkeiten des Patterns durch, und schaut was passiert, wenn sich die Form beugt und durch das Aufeinandertreffen mit anderen Exologismen in Dialog tritt. Exologismen sind begehrenswert, da sie die unterschiedlichen Existenzentwürfe miteinander erscheinen lassen. (YM)

So kann das Muster, mit Volumen gefüllt und aus Karton gebaut, in der Ausstellung einen Körper bilden, der sowohl abstrakte Lichtskulptur wie auch Abbild einer Skyline zu sein scheint. Diese Skulptur, die an ein Modell erinnert ohne eines zu sein, wird hier zu einem Leuchtkörper, einem strahlenden Gebilde der vielfachen Niveaus, dessen Licht durch enge Schlitze nach außen drängt, und die doch auch undurchdringlich verschlossen wirkt. Damit verortet sich The Neighbourhood irgendwo zwischen der Anschauungsfunktion von Architekturmodellen und dem Autonomieanspruch zeitgenössischer Skulptur, ohne eines von beiden einzulösen. Exologismen werden dort gebraucht, wo eine Verbindung zum Äußeren hergestellt wird, ohne dass dieses Äußere als solches markiert wird. (YM)

Wie aufgeblasen scheint das Muster hingegen bei The Island, dem Sitzkissen von dem aus man bequem einen Überblick über das restliche Geschehen bekommen kann. Man findet eine zweite Skyline im Video The River, die für das durch einen Fluss von ihr getrennte Subjekt unerreichbar scheint. Während ein Tag vorbeizieht und die Figur sich mit unerklärlichen Aktivitäten die Zeit vertreibt, bleibt die Stadt im Hintergrund ein ewig pulsierender Körper, der nie zu ruhen scheint. Die Beziehung zwischen der Stadt und dem einzelnen Subjekt scheint hier formalisiert, während die Soundinstallation an eine ganz bestimmte Stadt- Subjekt Beziehung gebunden ist: Yves Mettler selbst und die Stadt in der er derzeit wohnt: Berlin. Die Frage nach dem Neighbourhood wird hier ganz subjektiv gestellt. Wie klingt meine Nachbarschaft, wie kann man sie durch Klang identifizieren, was kann ich über die Geräusche von der Stadt erfahren? Mittels so genannter field recordings versucht Mettler seiner Umgebung näher zu kommen, sie bewusster zu erfahren und ihr imaginäres Potential zu aktivieren. Sound ist dabei viel direkter als ein Bild, drängt sich uns immer wieder auf, um wenig später wieder ins Unbewusste zu verschwinden. Er regt unsere Vorstellungen an und legt sich über die gesamte Ausstellung wie ein unsichtbarer verbindender Teppich. Exologismen sind insofern möglich, dass man seine Kultur anerkennt und produziert, um auch keine Angst haben zu müssen ihrer verlustig zu werden, oder umgekehrt, sich in einer anderen Kultur selbst zu verirren. (YM)

Zwischen diesen einzelnen Bestandteilen der Ausstellung bauen sich unzählige Beziehungen auf: sie überlagern sich, stehen sich im Weg, ergänzen sich, beleuchten von verschiedenen Seiten, zoomen rein und wieder raus. So ist die Ausstellung vor allem als ein Ganzes zu verstehen, aus dem die einzelnen Teile nur noch schwer heraus zu trennen sind. Diese Verdichtung von Erfahrung ist die verborgene Qualität dieser Ausstellung. Wenn man wirklich die Beziehungen zwischen Kulturen auf neue und unerprobte Beine stellen will, wenn man so etwas wie kulturelle Heterogenität erreichen will, dann muss man auch zwischen den Teilen denken können, muss komplexe Beziehungen immer wieder von neuem ermöglichen. Denn letztendlich ist es nicht wichtig, exakt zu definieren was Exologismen sind. Es wäre im Gegenteil das Ende jeglicher Exologismen. Diese Momente müssen immer wieder neu konstruiert, hinterfragt und variiert werden. Exologismen sind immer temporär. Aber sie heben sich nicht ab und begnügen sich mit dem Zusammenspiel des Jetzt. Das vordergründige Interesse von Exologismen sind ihre artikulierenden Annäherungen an sowohl Mainstream als auch Subkultur, an lokale und nomadische, migrierende oder importierte Kulturen. (YM)

Text: Christian Mayer

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Yves Mettler
Exologismen
Ort: Georg Kargl BOX