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Yuji Takeokas Sockel sind sowenig Sockel wie Constantin Brancusis „Le Coq“ ein Hahn ist. Lediglich an uns geläufige Formen erinnern sie, was in beiden Fällen auch bedeutet, daß, um eine Skulptur zu schaffen, nicht krampfhaft versucht wurde, eine gänzlich unbelegte Form zu erfinden. Entscheidend ist in beiden Fällen vielmehr die Präsenz des Präsenten - die jeweilige Skulptur selbst. Brancusi suchte diese Verdichtung für die Betrachterkonzentration durch Abstraktion von Vorbildlichem zu erwirken, Takeoka beschreitet dafür den Weg der Konkretion von Konkretem.

Was ist nun unter Konkretion von Konkretem zu verstehen? Am Ende des Jahrhunderts, das der Kunst ein gedrehtes Pissoir als Skulptur bescherte, das den Objét trouvé erfand, das Staubsauger unter Plexiglashüllen als Anschauungsobjekte für ästhetische Erfahrung feierte, das die Behauptung aufstellte, eine gemalte Pfeife sei eben keine Pfeife, sondern halt „nur“ eine gemalte, und das konkrete, zumeist geometrische Formen als skulpturale wie bildliche Werke der Kunst emanzipierte - am Ende dieses Jahrhunderts stellt uns Yuji Takeoka den Sockel als eigenständige Skulptur vor. Den Sockel als eine gleichsam minimal konkrete Werkform also.

Doch nicht nur dies! Der Sockel wird durch ihn gleichsam auf den Sockel gehoben: Anführungszeichen werden lexikalischer Wert, Rahmen werden Bedeutungsträger ... Aber, auch dies ist „nur“ die konzeptuelle Ebene seines künstlerischen Tuns. Ein bloßes Stellen eines Postamentes in einen Raum der Kunst erfüllte diese Strategie zu genüge. Dies aber eben reicht Takeoka offensichtlich nicht. Vielmehr sucht er die ästhetische, und dies heißt die wahrnehmbare Gültigkeit. Er sucht gleichsam durch visuelle Präsenz die konzeptuelle Idee zu adeln, oder dialektisch gewendet: Takeoka mißtraut der konzeptuellen, der dem Logos gehorchenden Strategie des Behauptens und geht statt dessen den Weg einer Re-Auratisierung mit dem Ziel, Skulptur wieder als ein Moment für die visuelle Erfahrung zu formulieren.

Wir erinnern, Walter Benjamin war es in den frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, der die unaufhaltsame Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes erstmalig reflektierte, was zur Folge haben sollte, daß die Aura des Unikatären und Originalen schwinde. Die Fotografie stand wie ein Synonym im Zentrum seiner Argumentation. Und fraglos Recht gab ihm die seither vergangene Zukunft. Die Reproduktionen von irgendwo original existenten Werken ersetzen mittlerweile die Originale im Bewußtsein der Betrachter. Originalerfahrungen werden immer mehr nur noch gesucht von reproduziert schon bekannten Werken. Pseudo-Originale werden einander ähnlich reproduzierend geschaffen, um auch - fast schon virtuell! - originale Déjà-vu- Erlebnisse zu ermöglichen. Nach Konstruktionsskizzen werden Skulpturen gebaut und gelegt, deren künstlerischer Wert weit weniger evident im Erfahren des Erfahrbaren liegt, denn im Nachvollziehen der nur konzeptuell begründbaren Behauptung. Die Technik des intellektuellen Nachvollziehens verdrängte so die der ästhetischen Erfahrung als Betrachterleistung und mithin auch die der sinnlichen Erkenntnis.

Aus dieser prosaischen Ecke holt Yuji Takeoka die Kunstform, die ihn offenkundig ästhetisch betört, die ihm aber auch ans Ende einer Sackgasse geführt zu sein scheint: Die der verdichtenden Skulptur als Ausdrucksträger durch Form und Farbe. Er mißtraut mithin der logisch bestimmten Konzeptualität, der Behauptungsattitüde. Und er entgegnet ihr poetisch.

Um dieses Anliegen prägnant Form werden zu lassen, setzt er genau an dem Punkte an, der für diese Entwicklung der Kunst im 20. Jahrhundert das Ausgangsmoment schlechthin war: am Moment des Sockels. Der Sockel machte aus dem Pissoir Duchamps eine Skulptur, der Sockel wurde zum Nobilititierungsinstrument schlechthin! Der Sockel übernahm die Funktion der Portikusinschrift „Dem Schönen, Wahren, Guten!“

Yuji Takeoka geht also zurück zum Ausgangspunkt wenn er re-auratisiert - ob wertkonservativ oder östlich kulturell motiviert, sei hier nicht weiter gefragt. Er nimmt die Form dieses bisher nur funktional bedeutenden Behauptungsmomentes und gibt ihm ästhetische Evidenz als eigenständige Skulptur. Er befreit die Form vom dienenden Inhalt und verleiht ihr einen eigenen Formeninhalt.

Visuell fühlbar wird so an seinen Werken, ob sie massiv sind, oberflächlich lackiert oder aus durch und durch farbigen Materialien. Dem Auge schon erschließen sich Gewichtigkeit und Maße. Ihr skulpturales Sein ist präsent - wozu eben diese Werte genuin gehören. Eine fotografische Reproduktion vermittelt lediglich eine Formahnung.

Das Skulpturale zu erfahren, bedarf es unabdingbar der unvermittelten Originalanschauung. Das Energetische, das jedem Kunstwerk per se zu eigen ist, wird erst spürbar, setzt man sich der Präsenz seiner Werke aus. Das Geistige, das jedem Material und jeder Form spezifisch eignet, das gebunden ist an die Jeweiligkeiten von Form und Material im Dialog, das überantwortet Yuji Takeoka so unserer Erfahrung.

Es ist ein Gedankenexperiment, aber ein vielleicht Klärung bringendes: Eine Skulptur von Constantin Brancusi wird in die Ecke eines Kellers gebracht. In hundert Jahren, oder auch erst in tausend, wird sie wieder entdeckt. Sicher - so meine Behauptung - wird sie als eine Skulptur, als eine wahrzunehmende Form entdeckt.

Für eine in eine andere Ecke des Kellers gestapelte Skulptur von Carl André kann ich mir ihr Entdecken als Skulptur nur schwerlich vorstellen, ist doch der Stapel Stahlplatten als Werk erst einmal skulptural an-ästhetisch. Hier bedürfte es zusätzlich einer Konzeptionsskizze, vielleicht vergleichbar der eines Legeplans für ein Mosaik.

Yuji Takeokas Werke würden hingegen als Skulpturen sofort zumindest so erkannt werden, wie Säulenfragmente bei Ausgrabungen erkannt werden, weil er sich in seiner Kunst nur auf die ästhetische Präsenz seiner Werke verläßt. Keine metatheoretische Systematik ist in ihnen aufzufinden, nur die Sinnhaftigkeit von Sinnlichem.

Hierin liegt die Bedeutung seines Tuns, seiner Kunst: Yuji Takeoka re-ästhetisiert, indem er auch re-auratisiert. Und so erinnert er auch fundamental, daß jede Form, jede Farbe, jedes Material, jede Oberfläche... einen je nur ihr eigenen geistigen Gehalt bergen. Dies führt zu Werken, die der ruhigen Anschauung bedürfen und der ruhigen Präsentation, um sich zur Geltung zu bringen. Dies führt zu Werken, die dies durch unser Erfahren erkennen und so auch diese geistigen Dimensionen von Formen und Farben weit über sie hinaus wieder bewußt werden lassen. Denn Yuji Takeoka hat ja einen orangenen Sockel geschaffen und keinen roten, einen blauen und keinen schwarzen. Nichts ist in seiner Kunst ungeprüft durch sein Sentiment, nichts Behauptung. Alles hingegen ermessenes Maß, alles der conditio humana vertraut. Raimund Stecker

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Yuji Takeoka - Ein leeres Dazwischen