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XX. Rohkunstbau, Schloss Roskow „Revolution“

Zwei Jahrzehnte Rohkunstbau! Seit 1994 steht Rohkunstbau für leidenschaftliches Engagement bei der Förderung von zeitgenössischer Kunst und Kultur genauso wie für die Wiederentdeckung und Neubelebung fast vergessener Kulturstätten in den ländlichen Regionen Brandenburgs. In der Jubiläumsausstellung zeigen zwölf Künstlerinnen und Künstler Arbeiten zum Thema „Revolution“. Vom 6. Juli bis 21. September 2014 stehen im Schloss Roskow im brandenburgischen Landkreis Potsdam-Mittelmark nicht nur gesellschaftliche oder politische Revolutionen im Zentrum, sondern auch die revolutionäre Kraft der Kunst.

Nasan Tur zeigt in der Ausstellung eine Fotografie, mit der er explizit eine Verbindung zwischen Politik und Kunst herstellt: „Time for Revollusion“ – eine Verknüpfung der Wörter „Revolution“ und „Illusion“. Der Künstler ist auf dem Foto selbst zu sehen, wie er diesen Schriftzug in rot auf eine weiße Mauer sprüht.

Erik Schmidt zeigt Arbeiten aus seiner „Downtown“-Reihe, in der er sich mit der Occupy-Bewegung in New York 2011 auseinandersetzt. In pastosen Bildern hält er die Szenerie im Zuccotti Park in der Nähe der Wall Street als damaliges Zentrum der Protestbewegung fest und unterstreicht in seinen Gemälden den revolutionären Charakter der Situation.

Revolutionär ist bei Ion Sur das Kunstwerk selbst. Er beschäftigt sich in seinem künstlerischen Prozess mit der Verbindung von Klang und Bildkomposition und erschafft bewegliche Bilder. Sur verwandelt zweidimensionale Arbeiten mit Hilfe von Klang und Bewegungselementen in ein interaktives Medium. In der Ausstellung bezieht er die Betrachter/innen als aktiven Part in seine Gemälde mit ein. Nähert man sich seinen Arbeiten, so verändern sich die geometrischen Figuren auf der Leinwand – optische Täuschungen werden zur Gewissheit, indem die klassische Malweise mit modernster Tontechnik und Bewegung kombiniert wird.

Nevin Aladağ zeigt eine Verbindung der ganz anderen Art: Die Künstlerin präsentiert einen „Stiletto-Hammer“ aus Werkzeughammer und Absatzschuh. Mit dieser Arbeit erschafft sie ein einzigartig fetischisiertes Objekt, dem dennoch eine ganz konkrete, potentielle Anwendbarkeit innewohnt. Ergänzend steht ein Paravent mitten im Raum, für den Aladağ handgeknüpfte Perserteppiche und industriell gewebte europäische oder asiatische Textilprodukte zu einem neuen geometrischen Muster zusammensetzt – ein Objekt, mit dem sie Grenzen überwindet und einem singulären Kulturverständnis ein postnationales, revolutionäres gegenüberstellt, ohne sich selbst dabei zu ernst zu nehmen.

Ruprecht von Kaufmanns großformatige Gemälde zeigen in spielerischer und düsterer Optik surreale Szenen: Ein Pferd ohne Beine, das trotzdem noch Kraft und Zuversicht ausstrahlt, einen Mann, der einen pinkfarbenen Elefanten vor einem schwarzen Loch balanciert. Steht der „pink elephant“ in der heutigen Popkultur eher für Halluzinationen im Alkohol- oder Drogenrausch, galt er in der damaligen DDR als Begriff von Kunst- und Theaterschaffenden im Umgang mit staatlicher Zensur. Jede Aufführung musste vor der Premiere abgenommen werden, kritische politische Aussagen wurden gestrichen. Der „rosa Elefant“ war eine bewusst extreme Anspielung auf Missstände in der Rohfassung, welche folgerichtig von der Zensur abgelehnt wurde. Die subtiler platzierten blieben dagegen im Stück; sie entgingen den Zensoren, weil sie nur den „rosa Elefanten“ wahrnahmen.

Nezaket Ekici greift den Revolutions-Gedanken der diesjährigen Rohkunstbau-Ausstellung auf und zeigt ihre Performance „Permanent Words“. Bekleidet mit einem Tschador, hängt sie kopfüber an einem Seil, und liest Zeitungsartikel, Tagebucheinträge und Zitate aus dem Koran vor, die den Stellenwert der Frau im islamischen Gesellschaftsverständnis charakterisieren. Die Anstrengung ist ihr dabei deutlich anzuhören: Die zunehmend beengte Sprache unterstreicht das Umkehrbild der hängenden Frau und so zeichnet sich auch das Frauenbild der vorgelesenen Texte ab. Die Künstlerin geht an ihre physischen Grenzen – ihr Aufbegehren gegen ein festgeschriebenes Frauenbild wird von ihrem hängenden Körper erstickt.

Die Raum-Installation von Eva Castringius ist geprägt von ihrer Reise nach Tibet im Jahr 2013. Inspiriert von den Gebetsfahnen und aufgehängten Wünschen im tibetischen Tempel, zieht die Künstlerin bunte Fäden durch den Raum und hängt daran Fotografien ihrer Reise – erst auf den zweiten Blick werden hier thematisch-ambivalente Stränge sichtbar, die auf die Vielschichtigkeit und gleichzeitig die Gefährdung der tibetischen Kultur hinweisen, aber auch auf die Stärke und den Glauben der Tibeter/innen an die eigene Kultur.

Smadar Dreyfus und Lennaart van Oldenborgh präsentieren ihre Video-Arbeit „360 Degrees“: 26 min. in Echtzeit gefilmt während des Sonnenuntergangs am Strand zwischen Tel Aviv und Jaffa. Der 360°-Schwenk der Kamera beginnt und endet in einem Café am Meer, es werden Szenen am Strand eingefangen, Mütter tragen ihre Kinder, Menschen schwimmen im Wasser und schlendern an der Strandpromenade – ein friedliches Treiben in der eintretenden Dunkelheit in einem zerrissenen Land.

Im Garten des Schlosses Roskow zeigt Markus Keibel eine Außen-Installation: Ein Metallgestell mit 18 Glastiegeln, die jeweils für einen eingeäscherten Band der Brockhaus-Enzyklopädie von 2005 stehen. Die Hälfte der Asche vermischt er mit Acryl und schafft zwei große Schüttbilder, die auf dem Treppenabsatz des Schlosses hängen. Mit der anderen Hälfte färbt er die Glastiegel ein. Keibel übt mit seinem Werk Kritik an den Lesegewohnheiten unseres Zeitalters, hinterfragt den inflationären, digitalen Informationskonsum und bietet eine Diskussionsplattform, in dem er provokant inszeniert und das alte Medium Buch vernichtet.

Passend zur derzeit laufenden Fußball-WM kickt Robert Lucander für Rohkunstbau aus jeder Ecke seines Raumes Farbdosen quer durch das Zimmer, deren Inhalt sich über den Boden verteilt. Die leuchtenden Farbstreifen erinnern an verschlungene Wege, die Aktion auch an Farbbeutelwerfen und Proteste. Ergänzend zeigt er Arbeiten mit aktuellen Motiven aus der Fußball-WM und übt damit sogleich Kritik am Massenkonsum der überfinanzierten FIFA-Welt.

Alicja Kwade hinterfragt mit ihren Skulpturen und Installationen die Wahrnehmung der Betrachter/innen: In einem Fenster steckt ein Stein, als wäre er gerade auf einer Demonstration geworfen worden. Passend dazu hängt an der Wand eine Uhr, die in die falsche Richtung läuft. Einen Tisch hat die Künstlerin zersägt und um Spiegelplatten herum wieder zusammengesetzt, sodass die Illusion perfekt ist: Der Tisch ist ein Tisch ist ein Tisch… Ein Spiel mit Zeit und Raum.

Die Künstler/innen des XX. Rohkunstbau sind: Nevin Aladağ (D) Installation, Skulptur / Eva Castringius (D) Malerei, Fotografie, Installation / Smadar Dreyfus (IL), Lennaart van Oldenborgh (NL) Video / Ruprecht von Kaufmann (D) Malerei / Markus Keibel (D) Installation, Malerei, Skulptur / Alicja Kwade (D) Installation, Skulptur / Robert Lucander (FIN) Malerei, Zeichnung / Erik Schmidt (D) Malerei, Video / Ion Sur (D) Malerei, Soundinstallation / Nasan Tur (D) Fotografie, Video, Installation Performance: Nezaket Ekici (D/TR) Performance, Video

Direktor: Dr. Arvid Boellert, Kurator: Mark Gisbourne, Co-Kuratorin: Ulrike Grelck Veranstalter: Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg e. V.

Schloss Roskow, Dorfstraße 30, 14778 Roskow Eröffnung am 05. Juli um 14 Uhr, Ausstellung vom 06. Juli bis 21. September 2014, Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag, 12-18 Uhr Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 5 Euro