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Wandfotografien…? Fotografische Wandbilder? Womöglich denkt man dabei an die Fototapeten, die in den siebziger Jahren Mietwohnungen in polynesische Strandlandschaften oder herbstliche Lärchenwälder verwandelten. Im Normalfall lebt die Fotografie in der Horizontalen. Der grösste Teil professioneller Fotos wird gemacht, um gedruckt und in Zeitungen, Zeitschriften oder Büchern betrachtet zu werden. Und so haftet Ausstellungen von klassischer Fotografie etwas Linkisches an. Ein wenig verlegen, wie blossgestellt, stehen die intimen Abzüge gerahmt und passepartouriert an den Wänden Spalier. Und mancher Besucher, der sich durch eine grosse Ausstellung historischer Fotografie bewegt, mag sich schon auf den Katalog freuen, der ihm die Bilder zu Hause ohne Gedrängel in einem angemesseneren Rahmen präsentieren wird.

Als die Fotografie Ende der achtziger Jahre mit grossen Formaten die Wände der Galerien, Kunsthallen und Museen zu erobern beginnt, reagieren die Kunstkritik und auch die klassische Fotowelt polemisch. Das Kleine und Stille ist sympathischer als das Gigantische und das Laute, und so versucht man erst mal, das Grosse klein zu machen: Trivial ist dabei der Verweis auf die blosse technische Machbarkeit; auf die Möglichkeit, sehr grosse Abzüge in hoher Qualität herzustellen und sie in makelloser Weise aufzuziehen und zu rahmen. Gewiss ist dies die notwendige handwerkliche Bedingung, hinreichend ist sie nicht, um zu erklären, weshalb jüngere Künstler sich so intensiv und zahlreich mit Grossfotografie abzugeben beginnen. Gerne werden solche Arbeiten sodann auch mit dem Schlagwort «Ausstellungskunst» als blosse marktkonforme Zurüstung von Fotografie «entlarvt». Fotografen würden in dieser Weise lediglich versuchen, sich ihren Anteil am lukrativen Kunstgeschäft zu sichern.

Der Hinweis auf die Ausstellung führt allerdings auf die richtige Spur. Dem Kern der Grossfotografie nähert man sich, indem man die Fotografie nicht als Gegenspielerin, wie die Theorie dies gern tut, sondern als die jüngere Schwester der Malerei erkennt. Ausstellung bedeutet Präsenz im Raum, an der Wand. Man muss nun gar nicht bis zu den steinzeitlichen Höhlenmalereien zurückgehen. Auch die Entwicklung und die Vollendung der neuzeitlichen europäischen Malerei vollzieht sich – von Giottos drei grossen Freskenzyklen in Assisi, Padua und Florenz über Piero della Francesca bis hin zur Sixtinischen Kapelle und Raffaels Stanzen des Vatikans – wesentlich an der Wand und nicht auf der Staffelei: monumentale Synthese von Farbe und Form in der Fläche, wo sich die perspektivische Welt dem Realraum ihrer architektonischen Umgebung stellt. Die höchste Aufgabe der Malerei ist in der Zeit ihrer höchsten Blüte die Gestaltung der Wand. Mit der lakonischen Bemerkung, sie habe «… die ursprüngliche Bestimmung, leere Wandflächen auszufüllen», weist ihr noch Hegel ihre eigentliche Aufgabe im Ensemble der bildenden Künste zu.

So betrachtet ist das Grossformat für die Fotografie die aufgrund technischer Hindernisse erst spät in ihrer Geschichte mögliche Gewinnung einer ursprünglichen Aufgabe zweidimensionaler, perspektivisch-illusionistischer Kunst. Erst im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert kann sich die Fotografie dem Zentralproblem der Integration von zweidimensionaler Bildarchitektur in die Totalität des realen Raums stellen. Erst jetzt wird das Grundproblem, das die auf eine einzige Bildebene beschränkte Malerei von der Skulptur und der Architektur unterscheidet, die Doppelnatur des Werks als Ding und als Bild, fotografisch behandelbar.

Aber wer je selbst in einer Dunkelkammer an der Kurbel des Vergrösserungsapparats gedreht hat, weiss, dass nicht jedes Bild jede Vergrösserung erträgt. Gute Grossfotografie entsteht nicht, indem man gute Fotografien vergrössert. Gute Grossfotografie entsteht, indem man von Anfang an auf Vergrösserung komponiert. Unter diesem Gesichtspunkt wurden die Arbeiten für die Ausstellung ausgewählt: Fotografie, die sich nicht indem sie in Textur und Faktur «malerisch» wird, sondern genuin fotografisch mit einem der ursprünglichsten malerischen Probleme konfrontiert, eben dem, «leere Wandflächen auszufüllen». Sie bewahrt sich dabei traditionell fotografische optische Tugenden: ein gewisses Pathos der Präzision, einen sachlichen Blick, eine distanzierte Schärfe, eine kalkulierte Genauigkeit des Zugriffs. Sie stellt sich dabei die spezifisch künstlerische Aufgabe, mit diesen ihren ureigenen Mitteln in der Ebene Bildarchitekturen zu komponieren, welche ihre volle Wirkung erst in der Eingliederung in die Dreidimensionalität des Raums entfalten.

In ihrem Ausgreifen in den Raum verlassen die Künstler allerdings oft die traditionellen technischen Gehege der Fotografie. Hintergrund sind hier Tendenzen der europäischen Nachkriegskunst. Die Pop Art, speziell Warhol, hatte, wenn auch in schütterer malerischer Verbrämung, schlichte Alltagsfotografie serialisiert und ins Raumfüllende aufgeblasen. Auch die Raumbesetzungen von Environment und Installation begründen einen neuen Werkbegriff. Der traditionell die fotografische Ästhetik bestimmende Essentialismus, der das auratische Einzelbild sucht, rückt in den Hintergrund, die funktionale Besetzung des Raums, ja selbst der sozialen Situation gewinnt an Bedeutung. Und so wachsen die Mauerblümchen aus allen Wänden. Fotografie wird zu einer räumlichen Kunst, und ihre herkömmlichen Mittel fügen sich dazu ein in ein offenes Spektrum neuer Techniken. Die Grenzen zum Film und zur Videokunst beginnen sich zu verwischen. Mischtechniken zwischen fotografischem, gemaltem und elektronischem Bild, Skulpturen auf fototechnischer Basis, Grossdiapositive in Leuchtkästen, raumgreifende Mehrfach-Diaprojektionen und installative Präsentationen serieller Grossformate potenzieren die räumliche Präsenz fotografischer Kunst.

Unsere Ausstellung geht zwar aus von der Sammlung des Kunsthauses, ist aber nur sehr bedingt eine Sammlungsausstellung. Zwar soll sie einen Eindruck vermitteln, welche Art von Fotografie in diesem Museum gepflegt wird und in Zukunft gepflegt werden soll. Denn alle Künstler sind auch in der Sammlung des Kunsthauses vertreten, und einige wichtige Neuerwerbungen und selten gesehene Highlights wurden integriert. Vielmehr soll sie aber das Werk der Künstler anhand ausgewählter Werkgruppen, zum Teil mit neuen, noch nie präsentierten Arbeiten (so von Stefan Banz, Jeff Wall, Balthasar Burkhard, Thomas Struth) in umfassenderer Weise vorstellen, als dies die Sammlungsbestände tun könnten, und auf diese Weise einen repräsentativen Einblick in die raumgreifende Fotokunst der neunziger Jahre und der Gegenwart geben.