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Der öffentliche Raum ist Bühne, Treffpunkt, Kommunikation und ein Territorium voller Beschränkungen und Geschichte. Wie nutzen wir diesen? Und wie teilt sich dieser auf? Die KünstlerInnen der Ausstellung beobachten den öffentlichen Raum, intervenieren und handeln häufig innerhalb sozialer, politischer und soziologischer Fragestellungen.

Roman Ondak (Bratislava) beobachtet seit mehreren Jahren Warteschlangen und sammelt Bilder von diesen in unterschiedlichen Zusammenhängen. Mit dem Thema des Wartens verbindet jeder eine andere Geschichte. Die Psychologie der Schlange ist vielfältig. Neugier, Mangel, Geduld, Sehnsucht und Zeit sind nur einige der assoziierbaren Phänomene der alltäglichen Performance im öffentlichen Raum. Ondak inszeniert entweder das Warten als Performance vor dem Kölnischen Kunstverein 2003 oder er implantiert gesammelte Fotos der Wartenden in Tageszeitungen und setzt diese somit in neue Zusammenhänge. Arunas Gudaitis’ (Vilnius) Video The Meeting Pointist das Resultat einer langen Beobachtung junger Männer, die sich allabendlich in gleicher Formation an einer Straßenkreuzung in Vilnius treffen. Auffallend ist, dass sie in einem archaisch anmutenden Kreis stehen und reden. Sie sind, wie der Künstler sagt, stolz, aggressiv, heterosexuell und mutig. Was sie besprechen, erfährt man nicht. Auch nimmt man sie eher als Schatten denn als Individuen wahr. Sie stecken hier ihr Territorium im öffentlichen Raum bedrohlich dicht ab – ein Eindringen erscheint unmöglich bis gefährlich. Igor Tosevski (Skopje) installierte 2004 in der Innenstadt Skopjes so genannte free territories, die sich mittels Begrenzungslinien von der sonstigen Umgebung abhoben. Jede Handlung, die innerhalb der Fläche durch PassantInnen geschah, wurde von Tosevski als freie künstlerische Äußerung definiert. Die freien Territorien markieren ein Stück öffentlichen Raumes und erklären diesen als freie Denk- und Kunstzone. Tosevski wird auf dem Gelände der Galerie ein free territoryabstecken und durch Plakate darauf hinweisen, was innerhalb dessen erlaubt und was verboten ist.

Audrius Novickas (Vilnius) zeigt in seinem Film VIP Sightseeing Tour of Vilnius diverse Besuche von Staatsoberhäuptern in Vilnius. Das gefundene Filmmaterial legt offen, was gewöhnlich im Archiv verschwindet. Gerhard Schröder, Jacques Chirac, der norwegische König und seine Frau laufen durch die sanierten Stadtteile, die wie Tourkulissen wirken. Das Protokoll der Besuche plant Zufälliges bereits mit ein. So gibt Schröder einem Bettler litauisches Kleingeld, welches er zufällig dabei hat. Die Präsidenten-Routemacht aus der Innenstadt von Vilnius ein Spielfeld mit strengen Regeln.

Am 10.05.1979 fand auf dem Balkon von Sanja Ivekovic (Zagreb) eine 18-minütige Performance statt. Präsident Tito besuchte die Stadt. Die Parade führte an Ivekovics Haus vorbei. Sie selbst befand sich auf dem Balkon und konnte nur von dem Wachposten des gegenüberliegenden Hauses gesehen werden. Die Parade ignorierend, trinkt die Künstlerin Whisky, liest ein Buch und beginnt zu masturbieren – oder zumindest sieht es so aus, als würde sie es tun. Kurze Zeit später versucht man, an der Haustür klingelnd, sie daran zu hindern. Ivekovic agiert an der Schnittstelle zwischen privatem und öffentlichen Raum und nutzt sie als politische Plattform.

Tadej Pogacar (Ljubljana) ist mit den Arbeiten Kings of the Streetund dem Spiel Monapolyin der Ausstellung vertreten. In Kings of the Streetzeigt Pogacar Obdachlose, die er für die Dauer seines Projektes zurück in die Innenstadt Ljubljanas bringt. Die im Zuge der Stadtsanierung verdrängten Randgruppen erobern auf Podesten sitzend kurzzeitig ihr altes Territorium zurück. Die Performance hinterfragt soziale Gerechtigkeit, Disbalance und Handlungsmöglichkeiten innerhalb strikter werdender Ökonomien. Das Spiel Monapolyversteht sich als neue, kritische Version von Monopoly. Der Inhalt des Spiels beschäftigt sich mit der Situation von sex workers in der Zeit des Spätkapitalismus und Globalisierung. Das Spiel resultiert aus Pogacars langjähriger Beschäftigung mit der Situation von sex workers weltweit. Dass hierbei der öffentliche Raum und Territorien eine maßgebliche Rolle spielen, ist Teil der Diskussion.

Milica Tomic (Belgrad) macht mit ihrer Arbeit Belgrade Remembers...auf das Schweigen der Belgrader während der Greueltaten gegen PartisanInnen im 2. Weltkrieg und dadurch indirekt auch auf das Nicht-Protestieren gegen das Regime und den Krieg der 90er Jahre aufmerksam. In der Innenstadt Belgrads, die sich heute als liberal bezeichnet und sich damit brüstet, wurden in den 40er Jahren PartisanInnen öffentlich gehängt. Die BewohnerInnen schwiegen. Tomic nutzt die Geschichte, um mit einer Performance politisch auch auf die jüngere Vergangenheit aufmerksam zu machen. Der öffentliche Raum dient hierbei als Kommunikator und Bühne. Maja Bajevic (Sarajewo/Paris) engagierte 1999 für ihre Arbeit Women at Work - Under Constructionfünf Flüchtlingsfrauen, die mit ihr fünf Tage lang jeweils fünf Stunden auf dem Gerüst der National Galerie von Bosnien-Herzegowina arbeiteten. Die Frauen sollten in das Baunetz Stickereien anbringen. Einerseits thematisierte Bajevic die Galerie mit all ihrem Erbe und die Vergangenheit. Gleichzeitig symbolisierte die Handlung der Frauen die Notlage des Landes in der Gegenwart. Die Frauen eigneten sich den exponierten Raum auf diese Weise in einer sehr weiblich konnotierten Art und Weise – stickend – an, allerdings vor den Augen der Öffentlichkeit.

Die Ausstellung findet im Rahmen der Kulturellen Territorien statt, einem Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes in Zusammenarbeit mit der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig.

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Ungleiche Platzverteilung

künstler:
Roman Ondák, Arunas Gudaitis, Igor Tosevski, Audrius Novickas, Sanja Ivekovic, Tadej Pogacar & P.A.R.A.S.I.T.E., Milica Tomic, Maja Bajevic

kuratoren:
Suzana Milevska, Julia Schäfer