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Ulrich Strothjohann sucht nicht, er findet. Sein schweifender Blick macht sich an bedeutungsarmen Winkeln einer Stadt fest, er sammelt in Schrottcontainern und im Sperrmüll herumliegende Möbel, Fundstücke und Metallabfälle zusammen. Seiner Überzeugung nach fördert körperliche Bewegung geistige Beweglichkeit, sie macht frei, sie hilft, Gedanken zu sichten und zu ordnen. Ausgerechnet beim gedankenverlorenen Wandeln reifen Vorstellungen heran, werden Ideen geboren, und Ideen können ihrerseits nunmehr Gestalt annehmen. Nicht zuletzt bietet sein Atelier eine Fundgrube in Gestalt eines anregend ungeordneten Ambientes. In der Tat sind die neueren Arbeiten Strothjohanns weitgehend vom Moment der Bewegung geprägt, gemächlicher sowie rascher, nie aber rastloser Bewegung, denn Muße und Innehalten scheinen seinen Schöpfungsprozess zu beflügeln, ganz nach dem Motto „manchmal führt Nichtstun zu etwas“. Dem Betrachter dürfte es nicht schwer fallen, dieses kreative Werden nicht nur nachzuvollziehen, sondern das Produkt auch zu eigenem Gewinn zu nutzen und auszuwerten. Die Skulpturen sind offensichtlich entweder so konzipiert, dass der Besucher ihrer mechanisch in Gang gesetzten Bewegung folgt. Oder aber er hat sich selbst auf den Weg zu begeben und einen Parcours zu durchwandern, der ihn seine eigenen Ideen reifen lässt. Bei beiden Methoden ist wohlgemerkt das Moment des Statischen aufgehoben zugunsten eines auf relative Bewegung und unberechenbare Wandelbarkeit hin angelegten Kunstwerks. Strothjohann hat für beide Facetten Beispiele geschaffen. Die „Partner des Fortschritts“ genannten Stellagen sind nicht etwa schnurgerade angelegt, sondern als kantiges Zickzack oder fließende Kurvatur. Nur ein ganz knappes Stück schickt den Besucher wie durch eine kurze Schlucht, um ihn, angesichts des augenblicklichen Wechsels von hier nach da, die Plötzlichkeit eines Gedankenblitzes erleben zu lassen. Es ist kein weiter Weg, um diese Handlungsobjekte zu einer temporären Skulptur performativen Zuschnitts umzudeuten. Dieses Beispiel gibt eine Vorstellung davon, wie Strothjohann mit dem Phänomen Skulptur umgeht. Bewusst sei nicht von seinem Begriff von Skulptur gesprochen, weil der Künstler alles Einordnen und Festlegen akribisch meidet und damit eine Offenheit erzeugt, die unterschiedlichen Interpretationen genügend Spielraum lässt. Die Objekte stehen einerseits sicht- und greifbar als autonome Objekte im Raum, sind aber gleichzeitig als Modelle ihrer selbst angelegt, sowohl, was die Materialien angeht wie auch inhaltlich im Sinne von Denk-Modellen. Diese Tendenz mag daher rühren, dass Strothjohann der Generation von Künstlern angehört, die Mitte der 80er Jahre als sogenannte Modellbauer bekannt wurden. Er ist 1954 geboren, hat aber erst Jahre später in der Öffentlichkeit Fuß gefasst. Die Modellbauer waren in erster Linie angetreten, die Kunst, insbesondere die Plastik aus musealer Isolierung wie Verwertbarkeit herauszulösen und wieder in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zurückzuführen. Ein Schwerpunkt lag für sie darin, städtebauliche und architektonische Maßnahmen zu reflektieren und wieder in sie eingebunden zu werden. Der Architekt war für sie Herausforderer und Komplize zugleich. Sie befragten die Architektur und antworteten mit Anleihen an sie. Es gibt Berührungspunkte zwischen diesen Künstlern und Strothjohann, wenn man allein an das Modellhafte der Entwürfe und deren provisorische, vielfach aus umfunktionierten Materialien gewonnene Gestalt denkt. Doch Strothjohanns Arbeitsfelder greifen weiter. Der öffentliche Raum spielt bei ihm als Reibungsfläche eine Rolle, und zwar ebenso als Fundort von Materialien und Fotomotiven wie auch als Austragungsort seiner Handlungsskulpturen. Letztlich leben die Arbeiten jedoch weit stärker aus dem Spannungsfeld zwischen ihrer realen Faktizität und einem lebensnahen philosophischen Denkraum. Strothjohann geht weder strategisch noch konsequent vor, vielmehr ereignet es sich gewissermaßen, dass seine Aufmerksamkeit von einem Gegenstand in Anspruch genommen wird oder dass sich ein Gedanke in einer unbesetzten Zone, einer ‚Leerstelle‘ seines Gehirns einnistet. Es ist nach Vilém Flusser „entscheidend, daß es keine Körpererfahrung ohne eine gedankliche gibt, und keine gedankliche ohne Körpererfahrung.“ Dem vagabundierenden Denken dieses Philosophen scheint Strothjohann mental verwandt zu sein. Leerstelle, Loch oder Lücke sind in der Tat für Strothjohann zentrale Begriffe mit zahllosen Möglichkeiten sie auszulegen. Beziehungen zwischen manueller und intellektueller Tätigkeit erzielen auch zwischen den einzelnen Werkgruppen erstaunliche Wechselwirkungen. Dies um so mehr, als es Strothjohann ja nicht darum geht, ein singuläres Werk zu erstellen, sondern ein Netzwerk zu knüpfen, das dem natürlichen, vielfach verästelten Rhythmus des Lebens nahe steht. So verwendet er Materialien in unterschiedlichen Zusammenhängen, womit sich auch deren Aussage ändert. Unverdrossen folgt er der Einschätzung von Elias Canetti, dessen Aufzeichnungen ihm besonders nahe stehen, wenn dieser beispielsweise konstatiert: „Man wird keine unbekannten Gegenstände mehr finden. Man wird sie machen müssen, wie trostlos!“ Dennoch trotzt Strothjohann der Mutmaßung mit der Methode, insbesondere dem Phänomen nachzuspüren, wie sich die Dinge selbst und deren Konstellationen untereinander im Laufe der Zeit und abhängig vom Raum verändern. Das Ergebnis scheint nie gesichert, wenn man wiederum Canetti Glauben schenken will, der folgende Überlegung anstellt:„Man weiß nie, was daraus wird, wenn die Dinge plötzlich verändert werden. Aber weiß man denn, was daraus wird, wenn sie nicht verändert werden?“ Der Sprache kommt in Strothjohanns Werk eine für einen bildenden Künstler, wenn er nicht gerade der Konzeptkunst nahe steht, außergewöhnliche Bedeutung zu. Und dies bezieht sich nicht nur auf die Wechselwirkung von Skulptur und Titel, sondern zeigt sich in Gestalt eigener aphoristischer Findungen von Worten und Sätzen sowie in Übernahmen fremder Texte. Erstere müssen nicht streng durchdacht und schriftlich fixiert sein, um sich sprachlich zu konkretisieren, sondern sie können sich durchaus auch ‚absichtslos‘ im Gespräch ergeben. In dem Sinne etwa, in welcher sich Strothjohann aber von ihm verwendete, aber eigentlich reichlich nutzlose Gegenstände äußert: „Man braucht sie vielleicht noch, weil sie so bedeutungslos sind.“ Vielleicht ließe sich behaupten, dass das unberechenbar schwebend Wuchernde, das zwischen Gedanke und Objekt hin und her manövriert, den eigentlichen Fundus von Strothjohanns Schaffen darstellt. In besagtem Zwischenfeld sind auch die Leuchtkästen angesiedelt, die der Künstler sinnvollerweise „Abschweifungen“ nennt. Jene, der gebräuchlichen Stadtreklame entlehnten Objekte sind mit Worten besetzt, deren Buchstaben einerseits wie in konkreter Poesie ein Eigenleben beanspruchen, die sich andererseits lose zu Worten zusammenfinden, die durch ihre hierarchielose Anordnung teilweise mehrdeutig zu lesen und zu verstehen sind. Er deutet an, wie sich Strothjohanns Werk zwischen sich bewusst dilettantisch gebärdender Bastelei und souveränem Selbstläufertum bewegt. Eindeutige Festschreibungen kommen in Strothjohanns Werk nicht vor und würden seiner Kunstvorstellung nach auch das Ende kreativen Tuns bedeuten. Vielmehr gilt es seiner Meinung nach, das Widersprüchliche unterschiedlicher Wertvorstellungen aufzuspüren und auszuhalten. Dies betrifft seine Vorgehensweise ebenso wie seine Rolle als Künstler. Nicht von ungefähr wird Strothjohann der „unbekannteste bekannte Künstler“ genannt, denn wenngleich er auf Grund seiner jahrelangen Tätigkeit im Atelier Kippenberger in bestimmten Kreisen eine hohe Wertschätzung genoss, war er bislang einer breiteren Öffentlichkeit, was seine eigene Identität betrifft, nicht sonderlich präsent. Strothjohann repräsentiert einen bemerkenswerten Begriff von Künstlerdasein. Gemeint ist eine Autorenschaft, die nicht auf heroischem Einzelkampf besteht, sondern die sich auch in partnerschaftlicher Zusammenarbeit manifestiert, bei der sich Künstler – der Metapher der Sänfte vergleichbar – mal in dienende, mal in leitende Rolle hineinfinden. Hierarchien sind diesem Kunstverständnis nach weitgehend ausgeschlossen.

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Ulrich Strothjohann
Sonnenblenden und Laufgänge