press release only in german

U-Bahnhof Alexanderplatz / im Bereich zwischen der U8 und des S-Bahn-Übergangs (in der Nähe des Blumenladens)

Der Bahnhof Alexanderplatz lässt Passanten derzeit erleben, wie Baustellen über Nacht ihre Standorte wechseln, Zu- und Ausgänge, die noch gestern frequentiert werden konnten, plötzlich gesperrt sind, und andere Wege als gewohnt beschritten werden müssen. Zwar fordert jede künstlerische Intervention in der Öffentlichkeit, ihr Umfeld nicht statisch zu begreifen, sondern auf seine Transformationen zu reagieren. Das Ausstellungsprojekt „U2 Alexanderplatz“ ist darüber hinaus in diesem Jahr mit prozessualen Dimensionen konfrontiert, die einem öffentlichen – und sehr urbanen – Transitraum inhärent sind: Hier schaffen Mobilität und Schnelllebigkeit permanent neue Situationen; die aktuellen Bauarbeiten evozieren außerdem Unruhen und Wirren: Alles ist in Bewegung!

Auf Grund von Sanierungsarbeiten auf der Linie U2 im Bahnhof Alexanderplatz wird der seit 1992 im jährlichen Turnus von der NGBK ausgeschriebene künstlerische Wettbewerb in diesem Jahr ausgesetzt. Drei international renommierte Künstler realisieren im September/Oktober 2006 Interventionen in anderen Bereichen des U-Bahnhofs: Die Arbeiten von Ay?e Erkmen, Christine Hill und Thomas Hirschhorn stellen sich diesen Herausforderungen, indem sie während ihrer vierwöchigen Präsenz im U-Bahnhof Entwicklungen befördern, für deren Ausmaße und Qualitäten diejenigen Impulse stiften, an die sie adressiert sind: die Gäste des „Bahnhof Alexanderplatz“. Ay?e Erkmen ist für Installationen bekannt, die durch ihren ephemeren Charakter besonderes Aufsehen erregen: sie hinterlassen keine Spuren – außer im Kopf des Betrachters.

Auf dem Bahnsteig der Linie U8 im Untergrund des Alexanderplatzes präsentiert die Künstlerin – in Istanbul geboren und heute sowohl dort als auch in Berlin lebend – erstmalig eine Klanginstallation: Trailermelodien, wie man sie aus Fernsehserien der Machart „Dallas“ und Co. kennt, kündigen auf beiden Bahnsteigseiten die einfahrenden Züge in jeweils anderen Variationen an. Die Melodien, von der Künstlerin in einem kommerziellen Musikarchiv in Istanbul entdeckt, erzeugen – wie zu Beginn einer Soap – melodramatische Spannung. Der Zug wird „main character“ eines Films, dessen Kulisse nicht allein der Bahnhof ist: Die Stadt als Ganzes offenbart sich als Inszenierung.

Mit dieser Installation verkettet und konfrontiert Ay?e Erkmen die unterschiedlichen Ebenen von Film und Realität, dramatisch übersteigerter Erwartung und profanem Alltag – und hinterfragt sie gleichzeitig.

Wie auch in ihren anderen Arbeiten verbindet die Künstlerin dabei Strategien der Minimal- und Konzeptkunst mit kulturellen Herkunftsfragen. 1997 etwa ließ sie für die Skulptur.Projekte figürliche Plastiken aus dem 15. und 17. Jahrhundert an Hubschraubern befestigt über Münster fliegen; in Frankfurt/M. brachte sie 2001 für ein Projekt der Deutschen Bank ausländische Schiffe dazu, wie Fährschiffe den Rhein zu queren. Ohne auf eine „persönliche Handschrift“ oder medialen Wiedererkennungswert zu setzen, widmet sich Ay?e Erkmen bei ihren Interventionen im öffentlichen Raum ganz dem Ort des Geschehens: präzise Beobachtungen führen sie zur Wahl des Themas und der Mittel, es zu bearbeiten.

Die Klanginstallation „U8“ von Ay?e Erkmen ist bei jedem einfahrenden Zug auf dem Bahnsteig der Linie U8 im Bahnhof Alexanderplatz erlebbar.

Der amerikanischen Künstlerin Christine Hill, die in New York und in Berlin lebt, geht es in ihren Arbeiten um die Verbindung zwischen zeitgenössischer Kunst, Konsum und Alltagswelt. So spielt auch ihr Beitrag im Untergrund des Alexanderplatzes auf Popkultur und Werbeparadigmen an. In der Passage zwischen den Bahnhöfen der Linien U2 und U8, wo eine kuriose Vielfalt anachronistisch anmutender Läden angesiedelt ist, erschafft Christine Hill ein eigenwilliges Leitsystem aus Schrifttafeln, Plakaten, handgemalten Schildern und bunt kopierten Flyern: Reiselektüre für die Großstädter, Impulse im Vorübergehen – Slogans fürs Leben. Die Textfragmente und Sentenzen lehnen sich an vertraute Formen und Formeln an, wie sie im Dienstleistungsbereich zum Einsatz kommen. Sie verkünden Optimismus, und sie stiften Sinn für eine teilweise verlassen wirkende Umgebung. Ähnlich wie die Geschäfte in der Unterführung scheinen auch sie ein wenig wie aus einer anderen Zeit und erinnern an die Reklame aus der Ära des Deutschen Wirtschaftswunders oder an Bildsprachen und Anzeigenkultur der DDR.

Christine Hills Installation imitiert subversive Strategien der urbanen Öffentlichkeit, lässt die Grenzen zwischen Kunst und Subkultur verwischen und zielt dabei ganz offensichtlich auf einen Prozess des stetigen Entfernens, Auswechselns und Hinzufügens von Elementen.

„Welt der Weisheit“ erstreckt sich im gesamten Transitbereich zwischen der U2 und der U8. Mit dem „Ingeborg Bachmann Altar“ erschafft Thomas Hirschhorn im Bahnhof Alexanderplatz einen Ort der Ehre und des Andenkens an die verstorbene Schriftstellerin. Niedergelegte Blumen, Kerzen, Plüschtiere und andere Gaben erwecken den Eindruck eines Straßendenkmals, einer spontan entstandenen Sammlung von Beileidsbezeugungen für eine Person, die an dieser Stelle gestorben sein könnte.

Altäre wie dieser können überall entstehen: in verschiedenen Städten, am Straßenrand, auf Plätzen, an Hauswänden. Immer sind sie einem bestimmten Menschen gewidmet, doch die Stellen, an denen man diesem Menschen gedenkt, können wechseln: Der lokale Ort des Andenkens wird durch seine Kraft zum universellen Ort der Erinnerung. Weil sie prekär sind, besitzen die mit scheinbar Profanem bestückten Altäre Kraft und plastische Energie – weder Passanten noch Ordnungshüter würden es wagen, sie zu entfernen. Nur die Zeit lässt sie wieder verschwinden: Ein Straßendenkmal ist hochaktuell – und deshalb auch vergänglich.

Vier verstorbenen Künstlern und Schriftstellern hat Thomas Hirschhorn, der in Bern geboren wurde und heute in Paris lebt, temporäre Straßenaltäre gewidmet und in verschiedenen Städten aufgebaut: für Piet Mondrian, Otto Freundlich, Raymond Carver und Ingeborg Bachmann.

Der „Ingeborg Bachmann Altar“ befindet sich im Bereich des Übergangs von der U8 zur S-Bahn.

Das Projekt wird durch die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur Berlin (Referat Stipendien und Projektförderung) finanziert und von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) und der VVR-Berek unterstützt..

Pressetext

only in german

Alexanderplatz U2
Künstlerische Interventionen im Bereich des U-Bahnhofs Berlin-Alexanderplatz

Ayse Erkmen: U8
Christine Hill: Welt der Weisheit
Thomas Hirschhorn: Ingeborg Bachmann Altar