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Mit der Ausstellung "Doppelgarage" des Schweizer Künstlers Thomas Hirschhorn führt die Schirn ein Novum in ihr Programm ein. Anhand einer Reihe von Einzelpräsentationen aktueller Künstler sollen herausragende und wegweisende Werke, die nur kurze Zeit in der Öffentlichkeit zu sehen waren und danach in private Sammlungen oder Museumsdepots gelangten, einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Der Arbeit von Thomas Hirschhorn, die bis zum 11. Januar 2004 gezeigt wird, folgt ab 16. Januar 2004 die Installation "DR. NO’S DIAMANTENPLANTAGE ..." von Jonathan Meese.

Seit Mitte der 1990er Jahre erregen die raumgreifenden Skulpturen und begehbaren Raumassemblagen des 1957 in Bern geborenen und seit 1984 in Paris lebenden Künstlers Thomas Hirschhorn große Aufmerksamkeit. Hirschhorns Werke bestehen stets aus einfachen, alltäglichen gefundenen und bearbeiteten Materialien wie Klebebändern, Plastikfolien, Pappkartons, Silberfolien oder Zeitungen. Bretter, Holzböcke, Neonleuchten, Videostills, Plastikblumen und vor allem Schriften runden das Materialrepertoire ab. Der Griff zu "armen" Werkstoffen ist bei Hirschhorn ebenso eine bewusst politische Entscheidung im Sinne eines demokratisch-egalitären Vorgehens wie das Transferieren bestimmter Werke in den öffentlichen Raum. Hier baut Hirschhorn "Altäre", "Kioske" oder "Monumente", die er Schriftstellern, Philosophen und Künstlern wie Robert Walser, Ingeborg Bachmann, Meret Oppenheim oder George Bataille widmet. Inhalt seiner Arbeiten sind stets die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und Lebensfragen dieser Welt. Der Künstler betont sein politisch-soziales Engagement, unterstreicht aber, dass seine Werke nicht politisch seien. Er will keine politische Kunst machen, sondern politisch Kunst: "Ich mache Kunst auf politische Art."

Auch die aktuelle Ausstellung "Doppelgarage", die bisher nur einmal für zehn Wochen in der "Galerie Arndt & Partner" in Berlin zu sehen war, konfrontiert mit der Wirklichkeit. Die Garage wird als Bastelraum, Abstellkammer, als moralfreier Raum benutzt, in dem Beobachtungen gemacht werden, die im Wohnzimmer, im Schlafraum, in der Küche nicht gemacht werden können. Sie wird als Metapher des Verarbeitens politischer und religiöser Gewalt, des Todes und der Zerstörung inszeniert, die den Staatsbürgern täglich ins Wohnzimmer geliefert werden. In dem mit greller Neonbeleuchtung ausgestatteten Raum, dessen Wände mit Betonbausteinmuster versehen sind, stehen unterschiedlichste Requisiten einer Bastlerwerkstatt samt Pin-up-Girls Bildern und Objekten zerstörter Städte, verletzter Männer und verhüllter Frauen gegenüber. In einer bergigen Landschaft auf vier Sockeln schießen überdimensionale Pilze hoch, und Modelleisenbahnen drehen ihre Runden. Eine lange, mit braunem Klebeband, einem der vorherrschenden Materialien der Installation, umwickelte und auf Holzböcken liegende Röhre teilt den Raum.

Thomas Hirschhorn bezieht sich in seinem Text zu der Arbeit "Doppelgarage" auf die Ereignisse des 11. September. In der privaten Atmosphäre des Bastelraums wird der Anschlag auf das World Trade Center ohne Anspruch auf Öffentlichkeit "verarbeitet". Hirschhorn fühlte sich durch die Bilder des 11. September an die Bilder aus dem 1. Golfkrieg erinnert, an die Autokolonnen aus Kuwait fliehender Iraker, die zu Tausenden "abgefackelt" wurden, als die amerikanische Armee die Kolonnen bombardierte. Hirschhorn betrachtet den Anschlag des 11. September als Racheakt des Iraks, als Vergeltungsaktion für den Jahre zuvor verlorenen Krieg. Die Installation versucht dies ohne moralische Entrüstung und ohne Besserwisserei zu thematisieren. Marcus Steinwegs philosophische Reflexionen über Nietzsche in Form verstreut angebrachter Worte und Textpassagen thematisieren Zusammenhänge von Macht und Verantwortung und versuchen Nietzsches Brisanz für die heutige politische Diskussion neu zu aktivieren.

"Doppelgarage" steht durchaus auch in Bezug zu Hirschhorns Reihe von Monumenten, die 2002 im "Bataille-Monument" als einem der meistdiskutierten Beiträge zur "documenta XI" ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Diese dem französischen Philosophen, Dichter, Kunsttheoretiker und Anthropologen Georges Bataille gewidmete Arbeit ist das dritte von vier Monumenten für vier Philosophen. Im Jahr 2000 entwickelte Hirschhorn in der Kulturhauptstadt Avignon ein Monument über den französischen Philosophen Gilles Deleuze. 1999 entstand in Amsterdam das "Spinoza-Monument"; ein letztes wird für Antonio Gramsci sein. Dass sich Hirschhorn mit seinen einfachen Werkstoffen im Fall der Monumente auf Philosophen von Spinoza bis Gramsci und im Fall der aktuellen Arbeit auf Nietzsche bezieht, zielt auf die Aufhebung gesellschaftlicher Hierarchien. Seine Arbeiten sind stets Metaphern für den aktuellen Zustand der Welt. "Für mich", sagt Thomas Hirschhorn "ist Kunst ein Werkzeug, um die Welt kennen zu lernen; Kunst ist ein Werkzeug, um mich mit der Realität zu konfrontieren; Kunst ist ein Werkzeug, um die Zeit, in der ich lebe, zu erfahren." Pressetext

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Thomas Hirschhorn – Doppelgarage
Raumassemblage