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Wüste und Eis. Ödlandschaften in der Fotografie. Das Thema der Ausstellung bezieht sich auf die Wechselwirkung von Natur und Zivilisation. Den inhaltlichen Schwerpunkt bilden besondere geografische Zonen der Erde, Wüsten- und Eisregionen, die sich seit jeher gegen die Vereinahmung durch den Menschen widerspenstig zeigen. Wir stehen diesen unwirtlichen Gegenden meist sehr unentschieden gegenüber. Wüste und Eis sind Gebiete, die als unbehausbar und unbezähmbar gelten und wahrscheinlich gerade deshalb eine Faszination auf uns ausüben. Es sind dies Gegenden, die im Namen der Menschheit, im nationalen Stolz besiegt werden oder den Wissenschaften als Herausforderung dienen. Ihnen wird aber auch verehrende Bewunderung für ihre bizarren Eigenarten und sterilen Landschaftsformen entgegengebracht. Lange galten sie als die letzten Reservate der noch nicht zivilisierten, leblosen Natur. Seit der Moderne bleiben sie jedoch vom verwertenden Zugriff nicht unberührt. Seit diesem Zeitpunkt sind sie Gegenstand umfangreicher wissenschaftlicher und ökonomischer Erschließung sowie ästhetischer Verklärung. Nicht zuletzt ist die unbewohnte, gleichsam menschenfeindlich minimale Natur auch als sozialer Raum zu verstehen, dessen Eingliederung oder Vernachlässigung evidente gesellschaftliche Konsequenzen zur Folge hat. Die Ausstellung „The Waste Land“, der Titel ist einem Gedichtzyklus von T. S. Eliot entborgt, versucht diese Orte, die Extremes darstellen und gerade deshalb vieles offen legen, am Beispiel von Beiträgen aktueller Fotografie zu erörtern. Neun Positionen wurden ausgewählt, darunter auch das Werk des in den 60er und 70er Jahren tätigen Robert Smithson, welches den thematischen Kern und theoretischen Ausgangsort des Projektes bildet.

Kartografie: Fotografie als Instrument. Die Geschichte der Fotografie deckt sich weitgehend mit der Geschichte der Erkundung dieser fremdartigen Regionen. Von Anfang an waren Fotoapparate technisches Pioniersbehelf, als es darum ging, Ansichten von Gebieten zu liefern, die kaum erschlossen waren, die viele fürchteten und noch mehr bewunderten. Als erste Forschungen und Vermessungen durchgeführt wurden, und alte mythische Erzählungen auf ihren empirischen Wahrheitsgehalt hin überprüft werden konnten, war das Foto erstmals sichtbarer Beleg für diese erstaunlichen Gebiete. Die neuen fotografischen Techniken halfen, die Entfernungen zu überwinden und in die unkultivierten Regionen vorzudringen. Sie berichteten von den fremden Orten wie zuvor nur der elitäre Tourismus, dessen Wurzeln ebenso wie die Erfindung der Fotografie in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Die Reiselust der Romantik, in deren Früh- und Hochperiode das Wandern in heimischen Gefilden empfohlen wurde, führte – durch das neue Bildmedium angeregt – nun auch hinaus in das schlichte Abseits gegenwärtiger Zivilisationen. „Ich folgte dem Ruf einer romantischen und perfekten Vergangenheit, die mich mehr interessierte als die unnatürliche und unruhige Gegenwart“, belegte Francis Frith sein Interesse am Vorderen Orient.1 Die Fotografie war auch Promotor der positivistischen Wissenschaft. Auf den Expeditionen in unwegsame Gebiete, in die historische Wüsten Nordafrikas und das Eismeer, waren die fotografischen Apparate stets fixer Bestandteil der technischen Ausrüstung. Die Verlockungen von Wüste und Eis präsentierten sich jedoch auf unterschiedliche Weise. In den Polarregionen fand man den Raum, der keine Spuren menschlichen Eingriffs aufzuweisen hatte. Sollten mit den Polen Punkte eines abstrakten Gradnetzes erobert werden, die weniger kulturhistorische als vielmehr erd-geschichtliche Sensationen zu bieten hatten, so suchte man in den Wüsten des Orients nach den Resten vergangener Hochkulturen. Die Fotografie, die selbst Ausschnitt aus der Zeit ist, beglaubigte als archäologisches Dokument die Existenz von Vergangenem. In den Texten von Maren Gröning und Yi-Fu Tuan wird deutlich, welche zentrale Rolle der Darstellung des Unbekannten zufiel. Die Sonderstellung der Fotografie lag im Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit technisch produzierter Bilder und in der Nähe zum naturwissenschaftlichen Messgerät begründet. In den folgenden Jahrzehnten führte die Trennung vom dokumentarischen und künstlerischen Interesse zu einer entsprechenden Funktionsteilung des Mediums zwischen instrumenteller und ästhetischer Nutzung. Es überrascht daher kaum, dass vor allem das Militärwesen das neue Bildmessverfahren immer häufiger zum Einsatz brachte. Militärgeografische Aufnahmen dokumentierten die entferntesten Gebiete, zuerst nur von höher gelegenen Orten aus. Später ab den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts setzte sich die sogenannte Aero-Fotogrammetrie durch, die im 19. Jahrhundert noch vom Ballon aus, später aus dem Flugzeug der Welt ihre Bilder lieferte. Wesentlich für diesen Bezug zur Landschaft war die allmähliche Eroberung einer tatsächlichen Vogelschau. Je eher es gelang, den Luftraum zu erobern, desto mehr rückte die Landschaft in die Flächenansicht, – übrigens eine Voraussetzung für die exakte Übersetzung der Landschaft in die Landkartendarstellung.2 In diesem Konstruktionsprinzip der Distanz kam es zur Nivellierung der Landschaft, und einem Blick, der sich mit potenzieller All-Übersicht ausstattete. Die gemeinsame Geschichte von Fotografie, Kartografie (Landkartenwesen) und Geodäsie (Erdvermessung) ist ein wesentlicher Aspekt des fotografischen Landschaftsbildes, der jedoch selten Beachtung findet, obschon er bis heute die Basis für strategisches Planspiel, die Logik für eine alles überblickende und beherrschende Beobachtung der Wirklichkeit liefert.

Imagologie: Die Fotografie als ideales oder erhabenes Bild. Die Wahl des richtigen Standpunktes sollte zum Fundament der Unterscheidung werden. So sehr im 19. Jahrhundert die wissenschaftlich-technische Nutzung der Fotografie von Bedeutung war, so wesentlich war nämlich auch der durch die älteren bildgebenden Medien geschulte Blick. Es ist unbestritten, dass Malerei und Grafik Sehweisen vorgebildet hatten, die die Fotografie weiter tradierte. Selbst wenn die vordergründigen Aufgaben der wissenschaftlichen Erkundung galten, waren die Fotografen einem vorhandenen ästhetischen Wahrnehmungskatalog verpflichtet. Dieser war – wie deutlich von Dirk Tölke in diesem Band dargelegt wird – zu Beginn von den anderen Bildkünsten geprägt, die ihrerseits wiederum aus Erzählungen und Abenteuerberichten Anregungen empfingen. In weiterer Folge, gegen Ende des Jahrhunderts, kam es vermehrt zur Trennung der Aspekte „Genuss“ und „Wissen“, so wie auch die Idealtypen der Betrachterstandpunkte auseinander traten. Während in der Kartografie der Horizont zugunsten einer grundrisshaften Wiedergabe der Erde verschwand, sank er in der Landschaftskunst in das untere Bilddrittel und gab einen weiten Himmelsraum für luftperspektivische Illusionen oder malerische Wolkenstudien frei. Noch vor dem Aufkommen der Fotografie, im Landschaftsbild des 18. Jahrhunderts, konkurrierten die Vorstellungen von einer idealen und einer erhabenen Natur. Während die eine darauf abzielte, ein vollständiges und in sich geschlossenes Bildnis der Landschaft zu entwerfen, ging die andere von der eigentlichen Undarstellbarkeit und uneinholbaren Größe der Natur aus. Es ist verständlich, dass sich im idealisierten Landschaftsbild der Blick aus einem horizontalen Gegenüber formierte. Als vornehmste Eigenschaft wurde ja grenzenlose Weite empfunden und diese konnte weder durch die Darstellung von hochstehenden Horizonten noch durch schräge Draufsichten errungen werden. Mit dem Erlebnis des Erhabenen, das sich im 18. Jahrhundert als ästhetischer Wert etablierte, wurde die Blickrichtung allerdings verschoben, der Augenpunkt zumindest psychologisch vertieft. Das so provozierte Gefälle zwischen betrachtendem Subjekt (Mensch) und zu betrachtenden Objekt (Landschaft) führte zu einer Selbsterniedrigung angesichts der Natur. Besonders Wüsten und Eis wurden zur moralischen Instanz und zum offenkundigen Beleg für die eigene Nichtigkeit. Nichtsdestoweniger war mit dem Sublimen eine ästhetische Kategorie gefunden, die – eng verschwistert mit der Einbildungskraft – Schönheit im Schrecklichen und Überwältigenden entdeckte. „Erhaben nennen wir das“, so meinte etwa Kant, „was schlechthin groß ist“, „was über alle Vergleichung groß ist“.3 In diesem Konzept wurde die Natur durch eine ihr zugeschriebene Übermacht zu einem psychologischen Bezugspunkt für den Menschen. Es kam zu einem Wechselspiel von sinnlicher Wahrnehmung und staunender Projektion, die die innere Einheit des Gesehenen transzendierte.4 Kant meinte, dass es nicht die Eigenschaft der Dinge sei, die wir als erhaben erleben, sondern eben die Zuschreibungen an sie. Das Unüberschaubare löste dennoch eine Lust zur Bewältigung aus. Denn die Furcht und die Tatsache, dass der Mensch im Anblick des Schrecklichen in den zur Verfügung stehenden Wissensinstanzen keine ausreichende Stütze fand, stärkte auf der anderen Seite seine Autorität als Vernunftwesen. Obwohl es sich um eine ästhetische Bestimmung handelte, wurde das Erhabene nicht in der Ästhetik alleine gehandelt. Die Überwindung der natürlichen Barrieren, die Eis und Wüste gegen die Ausbreitung der Zivilisation darboten, beflügelte die Einbildungskraft bis hin zum massen-psychologischen Phänomen. Ihr metaphernreiches Vokabular drang in viele gesellschaftliche Bereiche ein. Bereits in der Malerei und in der Folge auch in der Fotografie wurde bei aller Darstellung von Eis, Fels und Sand selten auf die Gegenwart der menschlichen Figur verzichtet. Speziell im 19. Jahrhundert waren die Ödlandschaften auch Schauplatz heroischer Protokolle. Denn im Eis ging es nicht nur um Regionen, sondern auch um Helden, die als Speerspitze der Zivilisation in die Schnee- und Eiswüsten vordrangen. Für die extremen Entbehrungen der Forscher fanden sich die selben Adjektive wie für die rauhen, kargen Welten, denen sie sich aussetzten. Der noch unreife, wagemutige Forschergeist und die technischen Bedingungen der jungen Apparatekunst erlaubten oft nur wenige Aufnahmen. Sie galten dennoch immer als Sieg der Kultur über die Natur, als Triumph der Wissenschaft über die Schöpfung, nicht zuletzt der Furchtlosigkeit gegenüber einer namenlosen Angst, die das vorige Jahrhundert gequält und angezogen hatte. Kulturhistorisch ist dies bemerkenswert, denn die Fotografie gewann den romantischen Schauer und seine typische Artikulationsarmut zurück. Sobald die Ästhetisierung sich vom wissenschaftlich erschließenden Blick abspaltete, fand sie sich in einem Zustand wieder, von dem sie ihren Ausgang nahm: die ästhetische Dimension des Erhabenen. Das heißt, dass auf die zunehmende Entmythisierung, zu der die Fotografie wesentlich beitrug, eine Re-Mythisierung durch ihre bildhafte und romantisierende Darstellung folgte. So gesehen kann das Erhabene am Ende des 19. Jahrhunderts gewissermaßen als Rückwärtsbewegung gelesen werden, in deren Gefühlsboden bereits säkularisierte Räume ihre neuerliche Ästhetisierung erfuhren. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden kollektive Krisenerfahrungen mit arktischer Entfremdung beschrieben. Die Vorstellung einer plötzlichen Vergletscherung der Erde war etwa rund um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts die populärste Bildform der Endzeit-Erwartung. Die Metapher des Kälteschocks wurde dazumal für unterschiedliche Szenarien bemüht: zum Beispiel der Prozess der Modernisierung, der die Menschen von symbiotisch gedachten Umwelten entfremdete, Traumata wie das Geburtsdrama oder der sich durchsetzende Kapitalismus.5 Noch Robert Smithson entwarf für ein naturgeschichtliches Museum Horrorvisionen von der totalen Vereisung der Welt.

Ökonomie: Fotografie als Reportage. Beide Sehweisen, Wüste und Eis – einmal als wissenschaftlich zivilisierbare und ein anderes Mal als eindrucksgebietende Landschaft –, wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts noch durch eine dritte Vorstellung ergänzt. Es war dies die Erkenntnis, dass sich unter Dünen und Eisdecken wertvolle Bodenschätze verbergen. Regionen, die eigentlich vom Menschen kulturell nicht genutzt werden, können tatsächlich von höchstem ökonomischen und machtpolitischen Interesse sein. Die Bedeutung der Ödnisgebiete als industrielle Ressource ist nicht zuletzt durch den Falklandkrieg während der 80er und den Golfkrieg der frühen 90er Jahre bestätigt. Wüsten und vereiste Inseln waren ausreichender Grund für Einberufung und kriegerische Besitzergreifung. Es war die gewaltsame Vereinnahmung von Landstrichen, in der sich schon früher imperialistische Gebietsaufteilungen manifestierten. Doch erst im 20. Jahrhundert wurden diese Zonen vor allem wegen ihrer Rohstoffe begehrt. Die fragile Machtbeziehung zwischen Subjekt und Natur, wie sie sich im Erhabenen ausdrückte, und die Verheißung, die die wissenschaftliche Erkenntnis versprach, wurden durch ein unbekümmert pragmatisches Eingreifen ersetzt, das punktuell dort zum Tragen kommt, wo Ausbeutung möglich ist. Es ist auffallend, dass die Mittel hierzu technisch-industrielle sind. Auf die sensiblen Messinstrumente folgen Bohrwerkzeuge, Caterpillar und riesige Verarbeitungsanlagen. Megalomane Maschinen überwinden mit Hebel- und Motorenkraft die Widerständigkeit des Geländes und die öden Raumdistanzen. Sie, die die Erde bewegen und die Landschaften umwälzen, sind nun das Furchteinflößende geworden. Die Fotografie, die dagegen geradezu eine intime Apparatur ist, vermag dies nur zu zeigen. Ihr Aufklärungswert, in dem sich die Unterlegenheit des Sehens gegenüber dem gewinnorientierten Handeln äußert, beschränkt sich auf die Reportage der industriellen Besitznahme. Bei aller Schwäche liegt ihr Vorteil in der Distanz, die sich aus der bildnerischen Dokumentation ergibt, denn die ökonomische Eroberung der Ödnis sieht allein die Verwertbarkeit der Regionen. Sie denkt die öden Gebiete nicht von ihrer Erfahrbarkeit her, sondern penetriert ihre Oberflächen. Ihr endogener Blick reißt die Erdkruste auf und dringt in das Innere der Minen vor, in einen Bereich jenseits alles Sicht-baren und Nachahmungswürdigen.

Smithson als Ausgangspunkt. Interesselose, unverzerrte Wahrnehmung ist nicht möglich. Gerade die Aufnahmetechnik der Fotografie und ihre Annäherung an die Landschaft belegen dies. In Robert Smithsons Arbeiten finden sich viele der genannten Aspekte des Fotografischen gegenüber der Ödnis antizipiert. Aus diesem Grund wird ihm in der Ausstellung ein besonderer Stellenwert eingeräumt und die gegenwärtigen Arbeiten als Reflexe auf sein Werk interpretiert. Smithson arbeitete als Theoretiker und Künstler. Seine Texte, die fast immer von illustrativem Bildmaterial unterstützt wurden, vereinten die verschiedenen Interessenslagen von Kartografie, Ökonomie und Ästhetik und schufen so eine gemeinsame Basis von Bezügen und Querverweisen. Ausgangspunkt war die öde Landschaft: das verwüstete Land. Kennzeichnend ist, dass Smithson keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Gegenden machte, die durch industrielle Nutzung umgeformt wurden, und Gegenden, die unberührt blieben. Die Veränderungen, die vom Menschen herrühren, werden als gleichwertige Teile einer universalen erdkundlichen Natur verstanden. So betrachtete er Vorfälle der Geologie als kulturelle Entwicklungen und umgekehrt Eingriffe des Menschen als erdzeitlich relevante Vorgänge. Ebenso sehr zeigte er sich von Naturkatastrophen und globalen Bedrohungen fasziniert. Erdbeben in Alaska, Vulkanausbrüche in Island, der zu erwartende Niedergang Venedigs oder die rumorenden Plattenverschiebungen des Andreasgrabens zogen seine Aufmerksamkeit an. Sehr oft waren es langsame manchmal sogar unmerkliche Vorgänge, die er unter dem Begriff der „Entropie“ fasste. Eigentlich wird mit dem physikalischen Term die Verlaufsrichtung eines Prozesses in Richtung chaotischer Unordnung bezeichnet. Smithson erweiterte die Bedeutung des Begriffes insofern, als er damit alle vorstellbaren Veränderungen beschrieb, die irreversibel sind und letztlich in den Kollaps münden. Er übertrug die Denkfigur des entropischen Prozesses sogar auf die Wahrnehmung und die Erkenntnisbefähigung des Menschen. Für ihn waren es dieselben Gesetze, die die materielle Wirklichkeit und die Bewusstseinsströme des Menschen organisieren.

Durch diesen Kunstgriff, die Geologie als tertium comparationis zu verstehen, werden Kartografie, Landschaftsbild und Industriereportage zusammengeführt, und zwar in der Weise, dass ihre jeweilige Spezifik zwar nicht aufgehoben, ihre Besonderheiten aber selbstreflexiv herausgearbeitet werden. So wird die Draufsicht der geohistorischen Auffassung (gleich am Beginn des Films „Spiral Jetty“, 1971 aber auch in „Aerial Art“, 1969)6 ebenso erörtert wie die klare Horizontleiste des idealen Landschaftsbildes (im Text über Frederick Law Olmsted, 1973)7 und die Idee der Bildreportage, d. h. die Dokumentation der Industrialisierung der Landschaft (am deutlichsten in „The Monuments of Passaic“, 1967)8. In Smithsons erdkundliche Metaphern mengten sich immer wieder Reflexionen zu Funktion und Bestimmung der Medien. Dabei ist zu vermerken, dass er mediale Aufnahmetechniken wie Fotografie und Film ungeachtet ihrer apparativen Grundlage im Zusammenhang mit den Naturkräften interpretierte. Dies war eine besondere Originalität seines Denkens, das keine Vorläufer besaß, sieht man davon ab, dass Carl Gustav Carus erdzeitliche Überlegungen zum Ausgangspunkt seiner Kunst und Naturphilosophie machte.9 Auf der Blende fänden sich die Zeichen für Wolke und Sonne, so Smithson. Sie seien Zeichen für maschinelle Funktionen aber auch für elementare Kräfte. Zudem bedeutet die Sonne auf der Brennweitenskala „unendlich“, eine Sichtweise, die denkmöglich ist, aber letztlich nicht visualisiert werden kann.10

Die Ausstellung. Den Schwerpunkt der Ausstellung, die Werke der Gegenwartskunst versammelt, bildet die Frage, welche Rolle die Fotografie bei der Aufzeichnung der öden Landschaften heute einnehmen kann. Zum Beispiel über welche Mittel das Medium Foto verfügt, um die Erfahrung eines besonderen Ortes und seine Veränderungen in seinen Darstellungen zu analogisieren. Wie werden Erdbewegungen, menschliche Nutzung und Abnutzung, Ein- und Ausgrenzung, Urbarmachung, Verwertbarkeit und Abwirtschaftung über die Fotografie vermittelt und welche ästhetischen Voreinstellungen werden dafür getroffen? Wie werden nicht sichtbare Eigenschaften dieser Landschaften zur Darstellung gebracht, zum Beispiel ökologische Besonderheiten, ökonomische Interessen, geologische Vorgänge und nicht zuletzt das Streben des Menschen, im Unwirtlichen zu bestehen? Schließlich, in welcher Weise formieren sich die drei angesprochenen Aspekte der Ödnis: die kartografische, die ästhetische und die ökonomische? Die Ausstellung, die durchwegs internationale Positionen der aktuellen Kunst präsentiert, hofft gleichsam im Umkehr-schluss, in dem sie Fotos zu diesen Fragen zeigt, Aufschlüsse über die kulturelle Bestimmung dieser besonderen Regionen zu gewinnen. Denn gerade die Charakteristika des öden Landes bieten ein reiches Experimentierfeld für das Medium der Fotografie. Über die Besonderheit des kargen Gegenüber entfaltet es Grenzüberschreitungen und Selbstbestimmungen und legt zugleich die fremde Eigenart dieser Gebiete frei.

Kaucyila Brooke (US) bearbeitet etwa die Devastierung eines Parks in Los Angeles, Olafur Eliasson (ISL/D) die Satellitensicht auf die zur Abstraktion erstarrte Landschaft Islands, Joachim Koester (DK) die Poesie von Eisformationen in Bild und Sprache, Walter Niedermayr (I) die Auswirkungen der Zivilisation im alpinen Hochgebirge. Roman Signer (CH) betreibt ironisierende Experimente, die Naturkräfte zur Schau stellen. Margherita Spiluttini (A) beschäftigt sich mit Steinbrüchen und der Ästhetik maschineller Rohstoffgewinnung, Lois Weinberger (A) mit der sozialen Dimension von verwüsteten Bezirken und Peripherien, die Geschwister Wilson (GB) beschreiben die Auswirkungen der Technologie im Ödland der abbruchreifen sowjetischen Raketenstationen Kasachstans.

Thomas Trummer

1 Francis Frith, zitiert nach: Ansichten der Ferne. Reisephotographie 1850 – heute, hrsg. von Klaus Pohl, S. 9. 2 Eine innige Verbindung zwischen Bildkunst und Kartografie existierte von der Frühzeit bis weit in das 17. Jahrhundert, in die Blütezeit der niederländischen Malerei. 3 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: Werke in 10 Bänden, Wilhelm Weischedel (Hrsg.), Bd. 8, Darmstadt 1968, S. 333, S. 348. 4 „Aber das Gemüt fühlt sich in seiner eigenen Beurteilung gehoben, wenn [...] es sich in der Betrachtung derselben [...] der Einbildungskraft überläßt [...].“ ebda. S. 343. 5 So bei C. G. Jung, Erinnerung, Träume, Gedanken von C.G. Jung, A. Jaffé (Hrsg.), Zürich 1962, Bei Nietzsche wird der Eiszeit-Topos positiv gesetzt, als Überwindung der zivilisatorischen Krisen, siehe Friedrich Nietzsche: Der Antichrist. Fluch auf das Christentum, in: ders., Werke in drei Bänden, Karl Schlechta (Hrsg.), Bd. III, S. 1164. 6 „Aus der Luft gesehen, ist die Welt abstrakt und illusionär“, R. S.: Aerial Art, in: Studio International, Jg. 1975, Nr. 89, Februar/April 1969, wiederabgedruckt in: R. S., Gesammelte Schriften, Eva Schmidt und Kai Völker (Hrsg.), Kunsthalle Wien und Köln: Verlag der Buchhandlung König 2000, S. 143. 7 Frederick Law Olmsted and the Dialectical Landscape, in: Artforum, Jg. 11, Nr. 6, Februar 1973, R. S., Ges. Schriften, a.a.O., S. 192-204. 8 A Tour of the Monuments of Passaic, in: Artforum Dezember 1967, Jg. 4, Nr. 7, R. S., Ges. Schriften, a.a.O., S. 256-267. 9 Carl Gustav Carus, Andeutungen zur einer Physiognomik der Gebirge, in: ders., Briefe über Landschaftsmalerei (Faksimile der 2. vermehrten Auflage von 1835), Heidelberg 1972. 10 R. S., Kunst durch das Kamerauge, in: R. S., Ges. Schriften, a.a.O., S. 170-173, S. 171.

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The Waste Land
Wüste und Eis
Ödlandschaften in der Fotografie

Künstler: Kaucyila Brooke, Olafur Eliasson, Joachim Koester, Walter Niedermayr, Roman Signer, Robert Smithson, Margherita Spiluttini, Lois Weinberger, Jane & Louise Wilson